Seit 1990 hat sich Berlin mit seiner baulichen Bewegung und architektonischen Vielseitigkeit zum attraktivsten Drehort in Deutschland entwickelt. Ob für Werbung, Kino oder Fernsehen – heute arbeiten hier bis zu 40 Filmteams täglich. Mehr als 300 Filme werden jährlich in der Region produziert – und fast jedes Mal spielen angemietete Privatwohnungen eine wichtige Rolle.
„Ihr müsst etwas nach rechts rücken, ich habe euch nicht richtig im Licht“, winkt der Kameramann einem jungen Pärchen zu. Die beiden Models räkeln sich verspielt in einem großen Bett, das vor einer Fototapete mit riesigen Blumen platziert ist. Die Szene, für die hier in einem Kreuzberger Loft geprobt wird, ist demnächst in einem Werbespot zu sehen. Simone Schulz und André Kazenwadel beobachten die Dreharbeiten kritisch aus einiger Entfernung, schließlich ist es ihr Bett und ihre Mietwohnung, welche von einem 25-köpfigen Filmteam als Kulisse genutzt werden. Oft bringen Filmproduktionsfirmen ihre eigene Ausstattung mit, hin und wieder wird auch das Mobiliar vor Ort genutzt – alles eine Frage des Budgets. Normalerweise bietet das 120 Quadratmeter große Loft viel Platz, aber heute herrscht seit den frühen Morgenstunden ein Chaos. „Hier sollen nur zwei kurze Szenen gedreht werden, aber es wird wohl zehn Stunden dauern, bis alles im Kasten ist. Morgen wird dann geputzt, und hoffentlich ist dann alles wieder so wie es war“, sagt Simone.
Eine Monatsmiete Honorar
Als so genannte Motivgeber haben Simone und André eine Miete von 100 Euro pro Stunde ausgehandelt, das Gesamthonorar entspricht etwa einer Monatsmiete. Der Strom wird extra abgerechnet. „Unsere Nachbarn sehen das locker, und der Eigentümer ist auch zufrieden, da er Geld für die Nutzung des Innenhofs bekommt“, stellt André fest. Die Architektin und der Grafikdesigner haben ihr Loft der Agentur „Location Networx“ angeboten. Motiv-Agenturen nehmen die Fotos der Locations in ihre Datenbank auf und vermitteln die passende Kulisse an Fernseh-, Film- oder Werbeproduktionen.
Insgesamt 5000 Motive, davon allein 1000 Wohnobjekte, sind in der Datenbank von Location Networx gespeichert. Wohnungen oder Häuser, die von Mietern und Besitzern selbst angeboten werden, machen gerade ein Prozent des Fotoarchivs aus. „Alle anderen haben wir selbst gesucht und gefunden“, stellt Roland Gerhardt von Location Networx fest. „Wohnungen spielen in jedem Film eine Rolle. Insofern sind sie die wichtigsten Motive überhaupt.“ Gemeinsam mit drei Mitarbeitern betreibt der 39-Jährige seit fünf Jahren die Berliner Agentur, die schon für Filme wie „Resident Evil“ oder „Willenbrock“ Drehorte ausspähte. „Miefige, schimmlige Souterrainwohnungen sind genauso begehrt wie 800 Quadratmeter große Paläste“, sagt Gerhardt. Ein scharfes Auge und ein großes Laufpensum sind Grundvoraussetzung für einen Scout. Und man muss genügend Mut mitbringen, um bei fremden Leuten zu klingeln, denn nur die Hälfte der Mieter lassen den Scout zur Besichtigung in ihre Wohnung. „Die Filmaufnahmen werden zwar gut bezahlt, aber manchen ist die Privatsphäre eben wichtiger“, betont Gerhardt.
Sich schadlos halten
Zwischen Mieter und Produktionsfirma wird ein Motivnutzungsvertrag abgeschlossen, der die Höhe der Entschädigung festhält. Bei einer Drehzeit von ein bis zwei Tagen gilt als Richtwert eine Nettomiete pro Drehtag und die Hälfte für die Einrichtung des Sets und den Rückbau. Eine Pauschale wird dann ausgehandelt, wenn sich die Filmaufnahmen über mehrere Wochen hinziehen oder nur Stunden dauern. Der wichtigste Punkt ist sicherlich, dass die Produktionsfirma eine Haftpflichtversicherung hat und für alle eventuell entstehende Schäden aufkommt. „Es kann nicht schaden, sich die Versicherungspolice zeigen zu lassen“, rät Frank Maciejewski, Mietrechtsexperte beim Berliner Mieterverein (BMV). Wenn das Treppenhaus für Filmaufnahmen genutzt oder das Equipment auf dem Grundstück abgestellt wird, sind Dreharbeiten ohne Zustimmung des Hauseigentümers nicht erlaubt. In diesen Fällen muss die Produktionsfirma einen Nutzungsvertrag mit dem Eigentümer abschließen. Und für den Mieter gilt: „Die gewerbliche Nutzung der Wohnung ist ohne Einverständnis des Eigentümers nicht zulässig, denn man bekommt ja Geld dafür, dass man die Wohnung zur Verfügung stellt“, sagt Maciejewski. Ohne Einverständnis des Vermieters riskiere man mietrechtliche Konsequenzen bis hin zur fristlosen Kündigung.
Ortswechsel: Potsdamer Straße in Schöneberg. In der 240 Quadratmeter großen Altbauwohnung von Reinhard Bennecke wird eine andere Szene für den Werbespot gedreht. Der Medienschaffende ist ein alter Hase als Motivgeber und hat seine repräsentative Gründerzeitresidenz schon häufig für Aufnahmen zur Verfügung gestellt. Für den Dreh ließ der Regisseur seine Wohnung völlig umgestalten: Die Möbel wurden ausgetauscht, die Wände in ein warmes Ocker getaucht und ein Kamin eingebaut. Bennecke: „Das bedeutet natürlich Stress, wenn die eigene Wohnung total umgekrempelt wird. Aber anhand von Fotos, die im Vorfeld der Produktion geschossen werden, kann hinterher alles wieder so eingerichtet werden wie es war.“
Die Produktionsfirmen bieten einen Standardvertrag an, „aber man muss sich genau überlegen, was in den Motivmietvertrag noch aufgenommen wird“. Einmal wurde von außen schwarze Pappe an die Fensterrahmen getackert, wodurch das Holz porös wurde. Mittlerweile verbietet das ein Passus im Vertrag. Eine andere Filmcrew stellte im Treppenhaus einen Backofen auf, um Pizzabrötchen zu backen. Die damit verbundene Geruchsbelästigung bekamen die Nachbarn natürlich zu spüren. Timo Ehmke, der in der Bürogemeinschaft nebenan arbeitet, erinnert sich auch an Teams, die ihr Catering im Treppenhaus aufbauten und sich dort entsprechend lange aufhielten. „Wenn man das Gefühl hat, seine normalen Wege nicht mehr gehen zu können, nervt das schon“, sagt Ehmke, „aber das ist eher die Ausnahme.“ Manchmal stellt die Bürogemeinschaft den Balkon für ein Honorar zur Verfügung, damit dort Scheinwerfer positioniert werden können. „Wenn bei Nachtdreharbeiten Scheinwerfer in andere Wohnungen strahlen, hat der Nachbar das Recht auf eine Entschädigung. Eine kluge Produktionsfirma wird alle erst mal ansprechen und sollte sämtliche Nutzer des Hauses mit ins Boot holen“, resümiert Frank Maciejewski vom BMV.
Nicole Lindner/Gregory Verweyen
MieterMagazin 8/05
Filmteam in Kreuzberger Loft: Produktionsteams sind immer auf der Suche nach dem richtigen Drehort
alle Fotos: Nicole Lindner/Gregory Verweyen
Film-Equipment auf dem Hof: Produktionsteams sind immer auf der Suche nach dem richtigen Drehort
„Wohnungen spielen in jedem Film eine Rolle“: Location-Scout
Roland Gerhardt
Ob Palast oder miefiges Souterrain – gesucht wird alles: Gründerzeitwohnung von Reinhard Bennecke
„Gut überlegen, was in den Vertrag aufgenommen wird“: Reinhard Bennecke, Motivgeber
Rat und Tat
Welche Wohnungen kommen in Frage?
Die Wohnung sollte möglichst im ersten Stock liegen. Liegt sie darüber, muss es einen Aufzug geben. Das Motiv darf nicht kleiner als 80 Quadratmeter sein, denn das Team muss sich in den Räumen vernünftig bewegen können. Eine Zimmergröße unter 20 Quadratmeter ist eher ungeeignet. Wichtig ist, dass man die Wohnung gut beleuchten kann, am besten von außen, vom Vorgarten, vom Balkon oder einer umlaufenden Galerie. Ausreichend Parkmöglichkeiten sind eine weitere Voraussetzung oder zumindest eine Straße, die man absperren kann.
Motivagenturen mit nennenswerten Archiven in Berlin:
Location Networx,
Roland Gerhardt,
Zimmerstraße 88-91, 10117 Berlin,
Tel. 20679737, Fax: 20679742
berlin location,
Iris Lanz,
Tempelhofer Ufer 10, 10963 Berlin,
Tel. 788904-0, Fax: 788904-11,
mail@berlinlocation.com,
real:reel,
Anja Grünewald,
Torstraße 109, 10119 Berlin,
Tel. 28046556, Fax: 28046557,
26.05.2022