Nachdem der Berliner Mietendeckel vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde, heißt das nicht, dass nun jede geforderte Miete rechtmäßig ist. Die Rechtsberatung des Berliner Mietervereins hat festgestellt, dass ein Großteil der „Schattenmieten“ gegen die Mietpreisbremse verstößt. Für die Mieterinnen und Mieter der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften hat der Senat die Mietendeckel-Regelungen fortgeschrieben.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 15. April verkündet hatte, dass der Berliner Mietendeckel verfassungswidrig ist, war die Verunsicherung unter Berlins Mieterinnen und Mieter groß. In der Rechtsberatung des Berliner Mietervereins (BMV) stiegen die Anfragen sprunghaft an. „Anfangs ging es oft um Fragen der Rückzahlungspflicht“, berichtet Wibke Werner, stellvertretende BMV-Geschäftsführerin. „Dann spielte zunehmend die Überprüfung der ursprünglichen Miete wegen Verstoßes gegen die Mietpreisbremse eine Rolle.“
Weil das Verfassungsgericht das als „Mietendeckel“ bekannte Berliner „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen“ (MietenWoG) für nichtig erklärt hatte, mussten Mieter die abgesenkten Mieten an die Vermieter nachzahlen. Wann man diese Nachzahlung in welcher Höhe leisten muss, ob man eine Aufforderung des Vermieters abwarten sollte und ob eine Kündigung droht – das waren zunächst die häufigsten Fragen.
Viele BMV-Mitglieder sind mit der neuen Situation pragmatisch umgegangen, denn sie hatten vorsichtshalber für den Fall des Mietendeckel-Scheiterns den eingesparten Betrag beiseite gelegt. Nach den Erfahrungen des Mietervereins beliefen sich die Nachforderungen in der Größenordnung zwischen 300 und 1000 Euro, manchmal auch über 2000 Euro.
Für Mieter, die die eingesparte Miete nicht zurücklegen konnten und deshalb nicht imstande waren, fällige Nachzahlungen zu leisten, hat der Senat eine „Sicher-Wohnen-Hilfe“ aufgelegt: Die Investitionsbank Berlin gibt ein zinsloses Darlehen aus, das die Mieter innerhalb eines Jahres zurückzahlen müssen. Der Senat hatte geschätzt, dass 40.000 Haushalte Probleme hätten, die Nachzahlungen auf einen Schlag zu überweisen. Nachdem die Sicher-Wohnen-Hilfe am 30. Juni ausgelaufen ist, hat sich herausgestellt, dass weit weniger Mieter die Unterstützung beantragt haben: Es waren genau 1551. Insgesamt wurden etwas mehr als 1,9 Millionen Euro bewilligt. Einigen Mietern war schon mit einem Kredit über 50 Euro geholfen, eine Mietpartei brauchte aber auch 10.950 Euro zur Überbrückung.
Unsicherheit über die geltende Miethöhe
Die zweite große Unsicherheit: Welche Miete gilt künftig? In der Regel ist die Miete in der Höhe vor der Absenkung zu zahlen. Bei neu abgeschlossenen Mietverträgen haben die Vermieter oft neben der mietendeckelkonformen Miete eine höhere „Schattenmiete“ in den Vertrag geschrieben, um sich für den Fall der Aufhebung des Mietendeckels Mietzahlungsansprüche zu sichern. Nach demselben Muster haben einige Vermieter auch während der Geltungszeit des Mietendeckels in bestehenden Mietverhältnissen Mieterhöhungen ausgesprochen, die sie nach dem Ende des Deckels einfordern wollten.
„Unserer Erfahrung nach verstoßen die Schattenmieten zu 80 bis 90 Prozent gegen die Mietpreisbremse“, so BMV-Vizegeschäftsführerin Wibke Werner. Die Mietpreisbremse besagt, dass neu vereinbarte Mieten – sofern keine der zahlreichen Ausnahmen greift – höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürfen. Manche Vermieter haben aber Schattenmieten in Fantasiehöhen geltend gemacht, die weit darüber liegen. Die Mietpreisbremse gilt natürlich unabhängig vom Mietendeckel weiter. Auch Mieterhöhungen müssen sich nach wie vor an die Kappungsgrenzen halten und im Rahmen der ortsüblichen Vergleichsmiete bleiben.
Bei seinen eigenen Wohnungen steht der Senat weiter zum Mietendeckel. Für die über 330.000 Mieterhaushalte der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen Degewo, Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land sowie WBM hat er eine Mietenregulierung getroffen, die dem Mietendeckel weitgehend entspricht.
Diese städtischen Unternehmen fordern keine Nachzahlungen ein. Bei ihnen wurden ab dem 23. November 2020 in 27.665 Wohnungen die Mieten reduziert – insgesamt um knapp 900.000 Euro im Monat. Diese Absenkungen bleiben bestehen. Erst ab dem 1. Januar 2022 dürfen die Mieten wieder angehoben werden – und das auch nur schrittweise. Sie werden um höchstens 2,5 Prozent im Jahr steigen, aber nicht über die ortsübliche Vergleichsmiete hinaus.
BMV begrüßt Konzept für die städtischen Wohnungsunternehmen
Andere Bestandsmieten dürfen die Unternehmen ab 2022 höchstens um ein Prozent im Jahr erhöhen, ab 2025 dann um den Prozentsatz der Inflationsrate. Bei Wiedervermietung soll die Miete maximal zehn Prozent unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen, wenn die Miete des Vormieters nicht schon höher war. In begründeten Ausnahmefällen können die städtischen Vermieter die ortsübliche Vergleichsmiete verlangen. Diese Regelungen gelten bis Ende 2025, also für den Zeitraum, der auch für den Mietendeckel vorgesehen war und werden vom BMV umso mehr begrüßt, als ein erstes Konzept von Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) und Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) zuvor noch viel zu wünschen übrig gelassen hatte.
Auch einige größere private Wohnungsunternehmen wie Vonovia und Heimstaden haben medienwirksam auf Nachzahlungen verzichtet. Der BMV hat beobachtet, dass „Adler Immobilien“ seinen Mietern beim Einfordern der Nachzahlung ein Absenken der laufenden Miete anbietet. Eine solche nachträgliche Vereinbarung könnte aber dazu führen, dass die Mietpreisbremse nicht mehr greift. „Hier muss man genau hinschauen, ob die Absenkung auch der Miethöhe nach der Mietpreisbremse entspricht“, sagt Wibke Werner.
Häufig haben Vermieter mit Kündigungen gedroht, falls die Nachforderungen und die höhere Miete nicht rechtzeitig und in voller Höhe gezahlt werden. Ausgesprochen wurden sie jedoch kaum – und sie dürften vor Gericht meist nicht standhalten.
Einige Vermieter drehen richtig auf. Eine Hausverwaltung hat Mieter, die ihre Miete gesenkt hatten, per E-Mail mit unflätigen Worten zum Auszug aufgefordert. Eine andere Eigentümerin schickte ihren Mietern ein langes Rückforderungsschreiben, in dem sie dem Senat „korruptes Verhalten“ vorwarf und ankündigte, ihren vom Mietendeckel verursachten Mehraufwand „bis zur letzten Instanz“ einzuklagen sowie gegen die ehemalige Senatorin Lompscher Strafanzeige zu stellen. „Diesen und ähnlich gesinnten Personen“ gegenüber müsse „ein so hart und grausam wie mögliches Exempel statuiert werden.“
Die Verwaltungsmitarbeiter, die für die Umsetzung des Mietendeckels eingestellt worden sind – 49 bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen sowie 28 in den Bezirksämtern –, werden nun für andere Aufgaben eingesetzt, vor allem für die Bearbeitung von Wohngeldanträgen und die Verfolgung von Zweckentfremdungsfällen. Zu tun gibt es für sie genug.
Jens Sethmann
Jetzt ist der Bund gefragt
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht den Mietendeckel an sich für verfassungswidrig erklärt, sondern lediglich dem Bundesland Berlin die Zuständigkeit für eine entsprechende Gesetzgebung abgesprochen. Der Bund dagegen könnte entweder selbst eine wirksame Mietenbegrenzung beschließen oder aber die Länder dazu ermächtigen. Vor der Bundestagswahl starteten mehrere Kampagnen für einen Bundesmietendeckel. Meinungsumfragen ergeben immer wieder breite Mehrheiten für eine Mietenbegrenzung. Zuletzt sprachen sich in einer Umfrage der ING-Bank 60,5 Prozent der Befragten für einen Mietendeckel auf Bundesebene aus, nur 10,7 Prozent dagegen. Selbst Wohneigentümer sind mehrheitlich dafür.
js
Informationen des BMV zur Mietendeckel-Abwicklung:
www.berliner-mieterverein.de/mietendeckel/fragen-und-antworten-zur-mietrechtlichen-rueckabwicklung-des-mietendeckels.htm
Der BMV unterstützt zusammen mit dem Deutschen Mieterbund und weiteren Verbänden die Kampagne für einen bundesweiten Mietenstopp:
mietenstopp.de
28.07.2021