Der „Wuhlegarten“ in Köpenick wirkt auf den ersten Blick wie eine Kleingartenkolonie. Doch hier tragen die Beete Namen wie „Italien“ oder „Ukraine“ und neben Kartoffeln und Lauch werden auch vietnamesischer Kürbis oder argentinische Zucchini angebaut. Die Parzellen sind nicht durch einen Zaun voneinander getrennt, und so ordentlich wie in einem Schrebergarten sieht es auch nicht aus. Denn hier gärtnern Menschen aus aller Welt, die voneinander lernen und miteinander ins Gespräch kommen wollen.
Der Wuhlegarten wurde im Juni 2003 eingeweiht und ist der erste interkulturelle Garten in Berlin. Auf gut 4000 Quadratmetern gibt es 18 Parzellen, die von Angehörigen aus 11 Nationen bewirtschaftet werden, darunter Kasachen, Ungarn und Vietnamesen. Auch drei Deutsche sind dabei, „denn sonst wäre es ja kein interkulturelles Projekt“, wie Carlos Leonhardt schmunzelnd sagt. Der gebürtige Argentinier hat selber die Erfahrung gemacht, wie heilsam der Kontakt zur Erde für Menschen im Exil ist: „Ich bin nach meiner Ankunft in Deutschland erst dann zur Ruhe gekommen, als ich drei Wochen lang in der Erde graben konnte.“ Dabei kommt er aus der argentinischen Millionenstadt Buenos Aires – weder er noch seine Frau kannten sich mit dem Anbau von Gemüse oder Kräutern aus. Das ist bei Tatjana anders. Sie hatte daheim, in der Ukraine, einen großen Garten hinter dem Haus. „Dort wächst alles besser, der Boden ist hier nicht so gut“, erzählt sie. Der Stolz auf ihren prächtigen Kohl und ihr gut gepflegtes Beet ist ihr trotzdem anzusehen. Gemeinsam feiern die Wuhlegärtner auch Feste, bauen zusammen einen Lehmofen oder geben sich gegenseitig Tipps zur Ungezieferbekämpfung. Für Migranten ist es eine ganz neue Erfahrung, dass sie den Deutschen mal zeigen können, wie man schöne Tomaten bekommt. Auch dass die gemeinsame Sprache Deutsch ist, hilft beim Zurechtfinden in der neuen Heimat. „Viele sind arbeitslos, das Gärtnern verbessert ihr Selbstwertgefühl und verschafft ihnen Kontakte“, erklärt Carlos, der Sprecher der Gruppe.
Für Selbstwertgefühl und Kontakte …
Vorbild für den Wuhlegarten ist der „Internationale Garten“ in Göttingen. Der wiederum entstand in Anlehnung an die „Community Gardens“ in New York. Die Fläche in Köpenick, eine ehemalige Brache, wurde vom Bezirk pachtfrei zur Verfügung gestellt und die Einrichtung des Gartens durch ABM-Stellen unterstützt. Der Wuhlegarten ist nämlich eng in die Lokale Agenda 21 mit ihrem Ziel der nachhaltigen Entwicklung eingebettet. „Eine wunderbare Möglichkeit der Integration“, findet Dr. Klaus Wazlawik vom Förderverein Lokale Agenda 21. „Wie die Pflanzen, so verwurzeln sich die Menschen in ihrer neuen Heimat, das ist das Ziel der Bemühungen.“ Parzellen werden nur an Einwohner von Treptow-Köpenick vergeben. Ohnehin sind derzeit alle Parzellen verpachtet. Wer bei dem Projekt mitmachen will, kann sich aber in den Gemeinschaftsbeeten beteiligen.
Der „Perivoli“ (griechisch für Garten) in Britz entstand dagegen auf Initiative griechischer Einwanderer. „Vor allem die Senioren, die zu uns kamen, haben uns immer wieder gesagt, wie sehr sie einen Garten vermissen“, berichtet Niki Reister vom Förderverein „To Spiti“, einem Beratungs- und Kulturzentrum für griechische Frauen und ihre Familien. Viele von ihnen seien in der Heimat Bauern gewesen. „Die Beschäftigung mit dem Boden ist ihnen vertraut, viele wollten auch gerne Kräuter und Gemüse anpflanzen, die sie aus der Heimat kennen“, so Reister. Schließlich fand sich im Jahre 2002 eine ehemalige Kolonie in Britz, die vom Bezirksamt Neukölln an den Förderverein verpachtet wurde. Im Frühjahr 2004 beschloss man, den Garten auch für andere Nationen zu öffnen. Seitdem ist die Belgierin Danielle Georges mit dabei. Von einer Bekannten hatte sie von dem Projekt gehört. „Mich hat gereizt, dass ich hier Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen kennen lernen kann“, erzählt sie. Ihre Gartennachbarn kommen unter anderem aus der Türkei, aus Kroatien oder Polen. „Die Atmosphäre ist sehr herzlich, wir feiern hier viele Feste“, so Danielle. Die anfänglichen Konflikte mit der gegenüberliegenden Gartenkolonie „Guter Wille“ sind längst beigelegt. Die deutschen Schrebergärtner konnten seinerzeit nicht begreifen, wieso sie die Mittagsruhe einhalten und sich an Grillverbote halten sollen, während es im Perivoli schon mal lauter zuging. Außerdem gab es Unmut, weil die Kolonie, die sich vorher an dieser Stelle befand, einem geplanten Schulbau weichen musste. Der wurde jedoch schon kurze Zeit später abgeblasen. „Allen war klar, dass wir dafür nichts können, aber die Vorbehalte waren eben da“, berichtet Niki Reister.
… Traditionspflege und Austausch der Kulturen
Doch mittlerweile ist der Vorsitzende der Kolonie „Guter Wille“ gern zu Gast im Perivoli und auch einige andere Laubenpieper sind dabei, wenn beispielsweise das griechische Osterfest gefeiert wird. Mit dem Experiment interkultureller Garten ist man daher bei To Spiti vollauf zufrieden. „Für die Menschen, von denen viele in engen Hinterhöfen leben, ist es ein Paradies“, sagt Pigi Mourmouri von To Spiti: „Sie können ihre Kultur und Traditionen pflegen und sich gleichzeitig mit anderen austauschen.“ Einziger Haken: Der Garten liegt relativ weit draußen und ist ohne Auto nur schlecht zu erreichen.
Der interkulturelle Garten in Kreuzberg, den es erst seit einem Jahr gibt, liegt dagegen unmittelbar hinter Wohnhäusern auf einer ehemaligen Brachfläche. „Die meisten von uns wohnen ganz in der Nähe und können abends mal schnell herkommen, um zu gießen“, erzählt Jürgen Kuhr. Die Fläche gehört zum Schulgelände des Oberstufenzentrums Handel in der Wrangelstraße. Über die Nutzung gibt es einen Vertrag mit der Senatsschulverwaltung. Für den „Initiativkreis Interkulturelle Gärten in Kreuzberg-Friedrichshain“ ist der Garten ein Pilotprojekt, dem andere folgen sollen. Konkret ist derzeit die Laskerwiese am Ostkreuz im Gespräch. Dort soll ein Bürgerpark entstehen. Auf einem Drittel der Fläche ist auch ein interkultureller Garten geplant. Auch in Lichtenberg und Oberschöneweide sind ähnliche Projekte in Vorbereitung. Die Idee von den Interkulturellen Gärten zieht also Kreise.
Birgit Leiß
MieterMagazin 9/05
Die Wuhlegärtner kommen aus elf Nationen: gemeinsam gebauter Lehmofen
Foto: Kerstin Zillmer
Die Wuhlegärtner kommen aus elf Nationen: ukrainisches Beet
Foto: Kerstin Zillmer
„Vertraute Beschäftigung mit dem Boden“: Auch der ursprünglich griechische „Perivoli“ ist mittlerweile international
Foto: Rolf Schulten
Informationen zu den drei Gärten:
Wuhlegarten
Förderverein Lokale Agenda Treptow-Köpenick e.V.,
Tel. 6557661,
E-Mail: agenda_ buero_koepenick @t-online.de
Perivoli
Förderverein To Spiti e.V.,
Morusstraße 18a, 12053 Berlin,
Tel. 68247715,
E-Mail: diakonie-no.tospiti@web.de
Kreuzberger Garten
Workstation Ideenwerkstatt Berlin e.V.,
Tel. 29772614,
www.workstation-berlin.org
Buchtipp:
Müller, Christa: Wurzeln schlagen in der Fremde, Internationale Gärten und ihre Bedeutung für Integrationsprozesse, oekom Verlag, München 2002
www.stiftung-interkultur.de
mit Informationen über interkulturelle Gärten im In- und Ausland
Ein Vorbild aus Göttingen
Die Idee zu den Internationalen Gärten in Göttingen kam 1995 von bosnischen Flüchtlingsfrauen. Ein Jahr lang dauerte es, bis eine geeignete Fläche – eine Lücke zwischen zwei Grundstücken – gefunden wurde. Mittlerweile ist aus dem Pilotprojekt ein viel beachtetes Musterbeispiel für gelungene Integration geworden. Hier kommen Einheimische und Zugewanderte aus ganz verschiedenen sozialen und kulturellen Milieus zusammen. Längst verbindet nicht nur die Gartenarbeit. Es gibt Sprachkurse, Seminare zu ökologischen Themen und ein Theaterprojekt.
bl
02.08.2013