Wohnen ohne Verkehrslärm und Abgase, ohne Angst, die Kinder zum Spielen auf die Straße zu lassen – für Bewohner autofreier Siedlungen ist dieser Traum Realität. In Berlin ist es jedoch immer noch nicht gelungen, ein solches Projekt zu verwirklichen. Nicht etwa, weil es nicht genügend Interessenten gäbe, sondern weil Politik und Verwaltung die Idee vom Wohnen ohne Pkw blockieren.
Mittlerweile gibt es eine lange Liste von Versuchen, die schon in der Planungsphase gescheitert sind, etwa in der Rummelsburger Bucht oder am Schlachthof Eldenaer Straße. Auch die „Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892“ hat ihre Pläne für ein autofreies Quartier in der Gartenstadt Falkenberg erst einmal zurückgestellt – aus internen Gründen, wie es heißt, und weil die Vermarktungschancen bei der derzeitigen Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht günstig sind. Und die anvisierte Fläche am ehemaligen Stadion der Weltjugend muss nun wohl endgültig ad acta gelegt werden. Auf das Gelände in der Chausseestraße soll der Bundesnachrichtendienst (BND) ziehen – ein herber Rückschlag für die „Arbeitsgemeinschaft Autofreies Stadtviertel an der Panke“, die lange Zeit für den Standort gekämpft hat. „Wir hatten eine Riesen-Interessentenliste, diese Fläche war einfach perfekt in Lage und Verkehrsanbindung“, sagt Architekt Markus Heller, der die Pläne für das autofreie Wohngebiet in Mitte entworfen hat. Dass es nicht gelungen ist, das Grundstück für ein autofreies Projekt zu sichern, läge an den Bremsern in der Verwaltung, so Heller. „Senatsbaudirektor Hans Stimmann wollte unbedingt seinen favorisierten Wettbewerbsentwurf von 1996 durchsetzen, und weil sich das so lange hinzog, kam der BND zuvor“.
Standortangebote in Berlin nicht optimal
Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Peter Strieder unterstützt die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer die Idee vom autofreien Wohnen. „Sie hat uns jetzt mehrere Ersatzstandorte angeboten, leider ist keiner ideal“, sagt Heller. In der Diskussion ist beispielsweise das RAW-Gelände in Friedrichshain sowie der Flughafen Tempelhof – bei beiden Flächen ist allerdings nicht klar, ob und wann sie verfügbar sein werden. Das gleiche gilt für das angebotene BVG-Busdepot in der Uferstraße in Wedding. In Frage kommt noch das Gleisdreieck.
Die Erfahrungen mit autofreien Wohngebieten in München, Hamburg, Freiburg und anderen deutschen Städten sind durchaus ermutigend. Vermietungsprobleme gibt es dort nicht. Gerade Familien wissen eine solche Wohnqualität zu schätzen.
Das von Kritikern immer wieder ins Feld geführte Negativbeispiel Bremen-Hollerland – 1996 gab es hier einen Planungsstopp – zeigt hingegen eher, dass von Anfang an eine sorgfältige Konzeption notwendig ist. So lag das geplante Viertel am Stadtrand und war schlecht an den Nahverkehr angebunden. In fast allen Kommunen müssen übrigens verwinkelte Konstruktionen gefunden werden, um die Stellplatzpflicht im Neubau zu umgehen – in Berlin gibt es dagegen eine solche Verpflichtung gar nicht. Dazu kommt, dass sowieso die Hälfte der Berliner Haushalte ohne Pkw lebt – ideale Voraussetzungen also für autofreies Wohnen. Dennoch gibt es in der Hauptstadt lediglich optisch autofreie Quartiere, zum Beispiel die Woltmannweg-Siedlung in Steglitz. Parken ist hier nur in Tiefgaragen oder am Rand der Siedlung möglich. Der Innenbereich bleibt autofrei.
Möglicherweise wird ausgerechnet ein CDU-Wahlsieg auf Bundesebene das erste autofreie Viertel in Berlin möglich machen. Bayerns Innenminister Günther Beckstein hat nämlich kürzlich angekündigt, als neuer Bundesinnenminister würde er den BND-Umzug stoppen.
Birgit Leiß
MieterMagazin 9/05
Zumindest teilweise autofrei: die Woltmann-Siedlung in Steglitz
Foto: Rolf Schulten
Was heißt autofreies Wohnen?
In einem autofreien Quartier gibt es keinerlei privaten Autoverkehr. Nur Feuerwehr, Polizei, Umzugswagen, Taxen und so weiter dürfen die Straßen befahren. Statt der bei Neubauvorhaben üblichen ein bis zwei Stellplätze gibt es nur 0,1 bis 0,2 pro Wohnung. Sie liegen am Rand der Siedlung und sind für Car-Sharing, Besucher, Behinderte und so weiter gedacht. Mieter, die in ein autofreies Quartier ziehen, müssen sich meist im Mietvertrag verpflichten, keinen Pkw anzuschaffen. Ausnahmen, zum Beispiel für Behinderte, sind geregelt. Es gibt bei den existierenden Wohnprojekten jedoch unterschiedliche Regelungen.
24.11.2016