Das umstrittene Antidiskriminierungsgesetz ist Mitte August endlich in Kraft getreten. Man darf gespannt sein, ob es zu der von Kritikern befürchteten Klageflut kommt oder ob es sich um einen Papiertiger handelt.
Die wichtigste Änderung gegenüber dem gescheiterten Gesetzentwurf der rot-grünen Koalition ist die Umbenennung in „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“. Ansonsten unterscheidet sich das Gesetz nur unwesentlich vom rot-grünen Entwurf. Ohnehin war die Bundesregierung verpflichtet, ein solches Gesetz zu verabschieden. Die EU-Kommission hatte wegen der Nichtumsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien bereits Klage gegen die Bundesrepublik eingereicht und drohte mit Vertragsstrafen. Die Gegner des Gesetzes hatten lange Zeit darauf gehofft, dass die Regierung Merkel sich darauf beschränken würde, die EU-Vorgaben „eins zu eins“ umzusetzen. Doch während die EU-Richtlinie für das Zivilrecht lediglich den Schutz vor Diskriminierung auf Grund von Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht vorsieht, sind nun ausdrücklich auch Alter, Behinderung, sexuelle Identität und Weltanschauung mit aufgenommen worden. Das heißt: Auch zum Beispiel Lesben, Juden oder ältere Menschen können sich zur Wehr setzen, wenn sie im Alltags- oder Arbeitsleben benachteiligt werden. Lokale, die keine Schwarzen bedienen oder Fitness-Studios, die keine Schwulen aufnehmen wollen, droht künftig eine Klage auf Schadensersatz. Der Schwerpunkt des Gesetzes liegt im beruflichen Bereich, aber auch bei der Vermietung von Wohnungen greift der Diskriminierungsschutz.
Der Deutsche Mieterbund (DMB) begrüßte das „längst überfällige“ Gleichbehandlungsgesetz: „Der Schutz vor Diskriminierung muss in unserer Gesellschaft selbstverständlich sein“, meinte Dr. Franz-Georg Rips, Direktor des DMB. Lesben- und Schwulenverbände sowie die Migrantenorganisationen erhoffen sich von dem Gesetz eine wirksame Handhabe gegen Rassismus und unwürdige Behandlung. Im Großen und Ganzen zeigt man sich mit der nun vorliegenden Regelung zufrieden. Den Betroffenen sei ein Instrumentarium in die Hand gegeben worden, mit dem sie sich bei Ungleichbehandlungen aktiv zur Wehr zu setzen können, meint etwa das Antidiskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg.
Immobilienverbände befürchten Bürokratiemonster
Heftige Kritik kam ursprünglich vor allem von den Wirtschafts- und Immobilienverbänden. Hier sah man die Vertragsfreiheit gefährdet. Es könne nicht sein, dass Vermieter sich ihre Mieter nicht mehr aussuchen dürfen, empörte sich der Eigentümerverband „Haus & Grund“. Es werde ein neues Bürokratiemonster geschaffen, und auf die ohnehin total überlasteten Gerichte würde eine neue Klagewelle zurollen, so das Schreckensszenario von Haus & Grund.
Die zum Teil jahrzehntelangen Erfahrungen aus anderen Ländern bestätigen diese Befürchtungen nicht. In fast allen europäischen Ländern existieren mittlerweile Antidiskriminierungsgesetze. Hier ist es keinesfalls zu einer Flut von Klagen gekommen, schon gar nicht von unberechtigten. Meist landen nur die krassen Fälle vor Gericht.
Trotzdem waren die Proteste der Vermieter-Lobby zumindest teilweise erfolgreich. So enthält der ausgehandelte Kompromiss einige Ausnahmeregelungen, die den Diskriminierungsschutz verwässern. Insbesondere wird nicht jede Vermietung von Wohnraum als so genanntes Massengeschäft eingestuft – jedenfalls dann nicht, wenn ein Vermieter weniger als 50 Wohnungen hat. Bei Massengeschäften spielt das Ansehen der Person keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Die Folge: Kleine Vermieter müssen lediglich darauf achten, dass sie hinsichtlich der Merkmale Rasse und ethnische Herkunft keine Diskriminierung begehen. Wohnen Mieter und Vermieter auf einem Grundstück, greift das Gesetz ohnehin nicht.
Zur großen Erleichterung der Wohnungsunternehmen steht es einem Vermieter zudem auch künftig frei, ausländische Bewerber mit dem Hinweis auf sozial ausgewogene Nachbarschaften abzulehnen. Der „Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen“ (GdW) begrüßt daher die jetzt gültige Regelung, für die man sich drei Jahre lang eingesetzt habe. „Es wäre absurd gewesen, eine verantwortungsvolle Mieterauswahl zu unterbinden und damit die Sicherung funktionierender Nachbarschaften zu gefährden“, meint der GdW-Präsident Lutz Freitag.
Integrationsmaßnahmen erforderlich
Beim Berliner Mieterverein (BMV) hält man die Einschränkung dagegen für problematisch. Es sei zwar grundsätzlich vernünftig, eine soziale Auswahl der Mieter zuzulassen, um eine Ghettobildung zu vermeiden. „Aber es wird im Gesetz überhaupt nicht definiert, welche Voraussetzungen vorliegen müssen“, kritisiert der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Reiner Wild. Der vage Hinweis auf die berühmte „soziale Mischung“ könne sonst im Grunde von jedem Vermieter ins Feld geführt werden. Der BMV plädiert daher für eine klare Eingrenzung. „Unser Vorschlag ist, dass diese Ausnahmeregelung nur in ganz bestimmten Gebieten gelten soll“, so Wild. Im Übrigen solle sie nur mit der Auflage an die Vermieter erteilt werden, Maßnahmen zur Integration durchzuführen oder zu begleiten.
Eine andere Befürchtung der Wohnungsunternehmen wurde nicht zerstreut. Sie müssen künftig belegen können, dass zum Beispiel bei der Vermietung einer Wohnung keine Diskriminierung stattgefunden hat. Vermutet ein abgelehnter Bewerber, dass er nur wegen seiner Hautfarbe die Wohnung nicht bekommen hat, kann er den Vermieter verklagen. Für die Unternehmen sei dies eine Bürokratisierung, die erhebliche zusätzliche Kosten verursacht, so der GdW. Wegen der notwendigen gerichtsfesten Dokumentation müssten pro Jahr rund 3,5 Millionen Vorgänge aufwändig erfasst werden, um etwaige später erhobene Ansprüche abwehren zu können. Beim Bundesjustizministerium weist man diese Befürchtungen zurück. Auch die immer wieder behauptete Beweislastumkehr gebe es nicht. Dem Gericht müssen konkrete Hinweise vorliegen, dass eine Diskriminierung stattgefunden hat. Das können zum Beispiel abfällige Äußerungen sein, die bei der Wohnungsbesichtigung gefallen sind. Dies muss aber, etwa durch Zeugenaussagen, glaubhaft belegt werden. Erst dann kehrt sich die Beweislast um, das heißt der Gegner muss beweisen, dass keine Ungleichbehandlung stattgefunden hat.
Abzuwarten bleibt, welche Rolle das neue Gesetz in der Praxis spielen wird. Denn offene Ablehnungen kommen im Gegensatz zu früher nur selten vor („Wir vermieten nicht an Ausländer“). Meist ist es daher schwer zu beweisen, warum man den Job oder die Wohnung nicht bekommen hat. Ein Argument gegen den längst fälligen Schutz vor Benachteiligung ist dies freilich nicht.
Birgit Leiß
MieterMagazin 9/06
Mitte August ist das Antidiskriminierungsgesetz in Kraft getreten:
Minderheiten können sich gegen Benachteiligungen im Alltag jetzt auch gerichtlich wehren
Foto: Paul Glaser
Problematische Ausnahme im Gesetz:
Mit Hinweis auf die „soziale Mischung“ können Wohnungsbewerber abgelehnt werden
Foto: Christian Muhrbeck
Diskriminierung im Wohnungsbereich:
Wo gilt das Gesetz?
Mieter, die zum Beispiel bei der Wohnungssuche diskriminierende Erfahrungen machen, können sich auch künftig nicht in jedem Fall zur Wehr setzen. Es gilt drei Konstruktionen zu unterscheiden:
Fall 1: Mieter und Vermieter wohnen zusammen in einem Haus. Hier greift das Gesetz nicht. Auch künftig darf der Vermieter ganz offen zum Beispiel lesbische, behinderte oder ausländische Bewerber ablehnen.
Fall 2: Der Vermieter hat einen Wohnungsbestand von maximal 50 Wohnungen. Hier greift nur die Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft, nicht aber wegen sexueller Identität, Religion und so weiter. Das heißt: Wer benachteiligt wurde, weil er Araber oder Schwarzer ist, kann sich wehren. Alle anderen haben keine Handhabe.
Fall 3: Es handelt sich um eine Wohnungsbaugesellschaft oder einen Eigentümer mit mehr als 50 Wohnungen. Hier gilt grundsätzlich ein umfassendes Diskriminierungsverbot. Aber: Die sozial ausgewogene Zusammenstellung der Mieterschaft ist als Auswahlkriterium zulässig.
bl
Das Gesetz im Wortlaut
§ 1: Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen … Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. … Bei der Vermietung von Wohnraum ist eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig.
29.07.2013