Im Juni wurde der Milieuschutz im Moabiter Stephankiez aufgegeben. Die Aufhebung des Milieuschutzgebietes Friedrich-Wilhelm-Stadt ist ebenfalls in der Vorbereitung. Die Begründungen könnten kaum unterschiedlicher sein: Während im Stephankiez festgestellt wurde, dass ein Aufwertungsdruck, vor dem die Bevölkerung geschützt werden müsste, nicht mehr besteht, ist in der Friedrich-Wilhelm-Stadt die Aufwertung schon so weit fortgeschritten, dass kaum noch eine schutzbedürftige Mieterschaft dort wohnt.
Das 1991 aufgestellte Milieuschutzgebiet Stephankiez – das erste in Berlin – ist Geschichte. Eine Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass kein Aufwertungsdruck mehr besteht. 92 Prozent der 5900 Wohnungen hätten Vollstandard, nur noch sieben Prozent seien ohne moderne Heizung. Die Modernisierungstätigkeit sei weitgehend eingeschlafen, so dass der Milieuschutz kaum noch seine Wirkung entfalten könne.
Mit der Aufstellung des Milieuschutzes für die Friedrich-Wilhelm-Stadt hat sich dagegen der Bezirk Mitte in den 90ern jahrelang Zeit gelassen, obwohl allen klar war, dass die Bewohner des Stadtteils zwischen Luisen-, Invaliden-, Chaussee-, Friedrichstraße und Schiffbauerdamm spätestens mit dem Hauptstadtumzug einer enormen Verdrängungsgefahr ausgesetzt sein würden. Als Ende 2000 endlich die Verordnung erlassen wurde, war es für viele Mieter schon zu spät.
Mit der Aufhebung folgt der Bezirk Mitte dem Berliner Verwaltungsgericht (Aktenzeichen 19 A 89.03 und 19 A 120.04), das am 14. März 2007 die Auffassung vertrat, „dass dem Bezirk dringend anzuraten ist, die Erhaltungsverordnung aufzuheben.“ Das Gericht beruft sich dabei auf ein Gutachten des Stadtforschungsbüros „Topos“, das allerdings auch weiterhin einen „anhaltenden Aufwertungsdruck“ festgestellt hat. Mehr als ein Drittel der 1450 Mietparteien seien verdrängungsgefährdet. Aus der Aufhebung des Milieuschutzes würde ein „zusätzlicher Verdrängungsschub resultieren, von dem auch Haushalte mit mittlerem Einkommen betroffen sein werden.“ Das Gericht interpretierte dieses jedoch als „normale Fluktuation“ und konnte die notwendigen städtebaulichen Gründe für den Milieuschutz nicht mehr erkennen.
Der Berliner Mieterverein (BMV) kritisiert die Aufhebung. In der Friedrich-Wilhelm-Stadt werde der Patient für tot erklärt und die Therapie abgebrochen, obwohl durchaus noch zu schützende Bewohner da sind, so BMV-Hauptgeschäftsführer Hartmann Vetter. „Mit solchen Begründungen kann man natürlich jedes Instrument ad absurdum führen.“
Kein Schutz im Einzelfall
Die beiden Fälle zeigen die Grenzen des Milieuschutzes, der ausschließlich bei Modernisierungsmaßnahmen greift. Wenn, wie im Stephankiez, kaum noch saniert wird, gibt es für das Bezirksamt keine Möglichkeit, preistreibende Modernisierungen zu versagen und somit die Mietsteigerungen zu dämpfen. Das Mietniveau kann derweil trotzdem durch übliche Mieterhöhungen oder teurere Neuvermietungen steigen. Bei Gebieten mit starken Aufwertungstendenzen wie in der Friedrich-Wilhelm-Stadt wirkt der Milieuschutz nur, wenn er rechtzeitig und konsequent angewandt wird. Da nicht der einzelne Mieter, sondern nur die „Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ in ihrer Gesamtheit geschützt wird, entfällt die Legitimierung der Verordnung spätestens dann, wenn die eigentlich zu schützende Einwohnerschaft mit geringem Einkommen in die Minderheit gerät. Die verbliebenen Geringverdiener bleiben dann schutzlos in einem Milieu von Regierungsbeamten, Verbandslobbyisten und Medienleuten. Der BMV fordert deshalb eine gesetzliche Verbesserung des Milieuschutzes. „Aber die vorhandenen Instrumente einzusetzen, wäre ja auch schon mal was“, ergänzt Hartmann Vetter.
Jens Sethmann
MieterMagazin 9/07
Für die Friedrich-Wilhelm-Stadt kam der Milieuschutz zu spät
Foto: Christian Muhrbeck
Was ist Milieuschutz?
Der Milieuschutz ist eine Erhaltungsverordnung nach § 172 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 des Baugesetzbuchs, mit der aus städtebaulichen Gründen die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung geschützt werden kann. Im Geltungsbereich einer solchen Satzung benötigen Umbauten, Abrisse oder Nutzungsänderungen eine gesonderte Genehmigung, die mit Auflagen versehen werden kann. Nach einer Gesetzesänderung von 1998 werden jedoch Modernisierungen, mit denen lediglich „der zeitgemäße Ausstattungszustand einer durchschnittlichen Wohnung“ hergestellt wird, immer ohne Auflagen erlaubt. Mietpreisbeschränkungen sind in solchen Fällen auch nicht mehr möglich. Der Milieuschutz ist damit stark geschwächt worden.
js
16.07.2013