In die Diskussion um die angeblich verschwenderische Finanzierung von Mieten der Arbeitslosengeld-II(ALG II)-Empfänger durch den Berliner Senat hat sich jetzt auch der Berliner Mieterverein (BMV) eingeschaltet. Der BMV weist anhand von Modellrechnungen nach, dass die Miet- und Energiekostenentwicklung der letzten Jahre eine Erhöhung der Richtwerte dringend erforderlich macht. Ohne diese Anpassung würden ALG-II-Empfänger vor allem in Altbauten dem Druck eines erforderlichen Umzugs schon bald ausgesetzt.
Aufgrund der Kritik von Landesrechnungshof, Bundesrechnungshof und Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages an der Berliner Regelung über die Finanzierung der Mieten von ALG-II-Empfängern ist die Sozialverwaltung des Senats derzeit mit der Überprüfung der entsprechenden Ausführungsvorschrift (AV Wohnen) beschäftigt.
Im Mittelpunkt steht dabei die angeblich unzulässig lange Finanzierung von Wohnkosten, die nicht angemessen im Sinne der Verordnung von 2005 sind. Dieser Finanzierungszeitraum kann im Moment bis zu zwei Jahre betragen. Die Kosten der Unterkunft werden zunächst für die Dauer eines Jahres ab Beginn des Leistungszeitraumes in voller Höhe übernommen. Gilt die gezahlte Miete als nicht angemessen, dann muss der ALG-II-Empfänger in einem Zeitraum von bis zu sechs Monaten durch einen Wohnungswechsel oder anderweitig zur Wohnkostensenkung beitragen. Dieser Zeitraum kann in Härtefällen nochmals um sechs Monate verlängert werden.
Die Senatsverwaltung begründet dieses Verfahren damit, dass ALG-II-Empfänger einen Arbeitsplatz suchen und sich nicht um den Wohnungswechsel kümmern sollen.
Der BMV vermutet, dass ein nicht unerheblicher Teil „unangemessener“ Mieten nach der AV Wohnen als „Bugwelle“ vorweg geschoben wird. Viele Miethöhen dürften unangemessen sein, weil die Wohnung zum Beispiel wegen Haushaltsgrößenänderung zu groß ist oder weil wegen Miet- und Nebenkostensteigerungen in den letzten drei Jahren die Richtwerte überschritten werden.
Die Richtwerte sind inzwischen mehr als drei Jahre alt, sie basieren auf Mieten des Berliner Mietspiegels 2005 (Stichtag 1. Oktober 2004) und auf Betriebskosten aus dem Abrechnungsjahr 2003. Die Nettokaltmieten sind seit 2004 um circa 9 bis 12 Prozent durchschnittlich gestiegen. Die Energiepreise für Öl und Gas sind seit 2004 um 35 Prozent gestiegen, so die Analyse aus den dem BMV vorliegenden Heizkostenabrechnungen. Der Mieter einer 75 Quadratmeter großen Wohnung musste im Jahre 2007 im Durchschnitt rund 200 Euro mehr als 2004 für Heiz- und Warmwasserkosten aufbringen.
Die bestehenden Richtwerte fangen diese Erhöhungen und die derzeit gezahlten Mieten nur noch unzureichend auf und bedürfen auch wegen der zu erwartenden Energiepreis- und Mietsteigerungen in den kommenden Jahren der Anpassung. Der BMV kommt zu diesem Schluss aufgrund von Modellrechnungen auf Basis des Berliner Mietspiegels 2007.
Ergebnisse der Modellrechnungen
Die in der AV Wohnen 2005 festgelegten Richtwerte erfüllen den Anspruch, dass die Mietkosten in tatsächlicher Höhe übernommen werden, nur dann, wenn die vom Vermieter geforderte Miethöhe den Mittelwert des Mietspiegels nicht überschreitet und der ALG-II-Empfänger eine kleine Wohnung bewohnt. Überschreitet die gezahlte Miete den Mietspiegelmittelwert, dann sind auch in kleinen Wohnungen nur noch die Mieten in einfachen Wohnlagen angemessen, in den beiden anderen Wohnlagen aller Baualtersklassen und Wohnungsgrößen werden die Richtwerte überschritten. In Anbetracht der Miet- und Energiekostensteigerungen wirkt das System der Wohnkostenübernahme für ALG-II-Empfänger bei unveränderten Richtwerten segregationsfördernd. Für ALG-II-Empfänger steht zunehmend nur noch Wohnraum in einfachen Wohnlagen zur Verfügung. Da sich Altbauwohnungen zum großen Teil im innerstädtischen Bereich befinden, unterstützt die Wohnkostenübernahme ohne Anpassung der Richtwerte den Trend, Familien in die Stadtrandgebiete zu verdrängen.
Reiner Wild
MieterMagazin 9/08
Wohnkostenübernahme für ALG-II-Empfänger: Der BMV kritisiert die Sätze alszu niedrig
Foto: Kerstin Zillmer
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Annahmen der BMV-Modellrechnungen
Der Berliner Mieterverein legte seinen Modellrechnungen die folgenden Daten zugrunde
- Nettokaltmieten von 2006 für Normalstandardwohnungen (Baualter bis 1918, 1919 bis 1949, 1956 bis 1964, 1973 bis 1990 Ost, differenziert nach Wohnungsgrößen)
- zuzüglich einer sechsprozentigen Mietsteigerung von 2006 bis 2008
- Betriebskosten von 2,29 Euro pro Quadratmeter und Monat inklusive Heiz- und Warmwasserkosten (gemäß Berliner Betriebskostenspiegel im Jahre 2006)
- zuzüglich einer zehnprozentigen Heiz- und Warmwasserkostensteigerung von 2006 auf 2008.
rw
Die Modellrechnungen im Detail:
1. Hier wird angenommen, dass die Mieten Ende 2006 dem Mittelwert des Mietspiegels 2007 entsprachen
Modellrechnung 1 [PDF]
2. Hier wird angenommen, dass die Mieten Ende 2006 den Mietspiegelmittelwert 2007 um 40 % der Spanne von Mittelwert und Oberwert überschreiten
Modellrechnung 2 [PDF]
04.01.2017