Was vor zehn Jahren noch oft als Selbstbeschäftigungstherapie für verhinderte Kleingärtner und unermüdliche Ökos belächelt wurde, hat sich zu einer Massenbewegung entwickelt: Das Begrünen von Baumscheiben greift in den Innenstadtbezirken immer weiter um sich. Es erfreut nicht nur das Auge, sondern erleichtert den Straßenbäumen auch das Überleben. Gerade im Sommer können die Berliner Bäume jede Hilfe gebrauchen.
„Weil mich die Hundescheiße geärgert hat, habe ich vor vier Jahren angefangen, die Baumscheibe vor dem Haus zu bepflanzen“, erzählt Christoph Müller. Der Rechtsanwalt, der auch für den Berliner Mieterverein arbeitet, war in der Kreuzberger Schleiermacherstraße der erste, der einen Straßenbaum mit einem Zäunchen umgab und Pflanzen einsetzte.
„Wenn ich da mit meinem Gartenschlauch stehe und gieße, bleiben oft Leute stehen und sagen: Toll, endlich macht mal einer was“, berichtet Müller. Mittlerweile werden eine ganze Reihe von Baumscheiben in der Straße beackert. „Einer muss eben anfangen“, sagt Müller.
Ein kleines „Zentrum der Bewegung“ ist das Friedrichshainer Samariterviertel. Hier haben im Jahr 2005 viele Ladeninhaber und Anwohner offizielle Pflegepatenschaften für eine Baumscheibe übernommen, der Bezirk bezuschusste die ersten Pflanzen. Innerhalb kurzer Zeit entstanden über 50 fantasievoll gestaltete Minibeete, die auch preisgekrönt wurden: Den Wettbewerb um Berlins schönste Baumscheibe, den der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) von 2004 bis 2006 ausgelobt hatte, gewannen jedes Jahr Baumscheiben aus der Samariterstraße. Nach dem großen Erfolg in diesem Quartier hat der Bezirk das Patenschaftsmodell auch in den anderen Altbaugebieten von Friedrichshain-Kreuzberg eingeführt.
Viele Quartiersmanagements fördern die Baumscheibenbegrünung, um das bürgerschaftliche Engagement der Anwohner zu wecken – oft mit sichtbarem Erfolg. Die meisten Bezirksämter begrüßen die Pflanzer-Bewegung am Straßenrand oder nehmen sie zumindest hin. Die Einfriedungen der Baumscheiben treffen jedoch in den Ämtern auf unterschiedliche Resonanz. Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg dulden keine Zäune, Steglitz-Zehlendorf hat wegen des Haftungsrisikos Bedenken und auch in Friedrichshain haben schon Ordnungsamtsmitarbeiter eigenhändig Bretter von einer Einfriedung abgeschraubt, damit sie nicht als Sitzgelegenheit dienen können.
Die Kleinstgärten sind nicht nur eine optische Bereicherung für das Straßenbild, sondern erfüllen auch eine wichtige ökologische Funktion. Die Pflanzen lockern den Boden auf, so dass Regenwasser besser versickern und die Baumwurzeln erreichen kann. Pflanzen, die den Boden beschatten, verhindern auch ein schnelles Austrocknen des Erdreichs. Gerade im Sommer leiden die Straßenbäume unter der Trockenheit. Ein kleines Zäunchen oder eine dichte Bepflanzung rund um den Stamm schützen den Baum zudem vor Hundeurin, der die Wurzeln stark angreift.
Bäume haben schweren Stand
Bäume haben in der verdichteten Stadt keinen leichten Stand. In Berlin hat der BUND einen fortschreitenden Schwund an Straßenbäumen festgestellt. Von 2005 bis 2007 wurden fast 15.000 Bäume gefällt, aber noch nicht einmal 8800 nachgepflanzt – ein Verlust von über 6000 Bäumen in nur zwei Jahren. An Berlins Straßen gibt es heute schon über 21.000 leere Baumscheiben, die – vor allem aus Kostengründen – nicht wieder bepflanzt werden. „Unsere Straßenbäume sind in Gefahr – nicht durch Stürme oder Klimaveränderungen, sondern in erster Linie durch eine kurzsichtige Sparpolitik“, sagt Anke Willharms vom BUND.
Jens Sethmann
MieterMagazin 9/09
Anwalt der Baumscheibe: Neben der Rechtspflege betreibt Christoph Müller auch die Grünpflege
Foto: Sabine Münch
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Nur der Flachwurzler ist erlaubt
Oberstes Gebot beim Begrünen einer Baumscheibe ist, dass der Straßenbaum nicht geschädigt oder in seinem Wuchs behindert werden darf. Der Baum, dessen Pflanzfeld man beackern möchte, sollte mindestens drei Jahre alt sein. Die Baumwurzeln dürfen in keinem Fall beschädigt werden. Erlaubt sind Blumen, Kräuter oder Sträucher, die nicht tiefer als 20 Zentimeter wurzeln. Die Pflanzen sollten auch nicht höher als einen halben Meter wachsen. Auf Kletter- und Schlingpflanzen sollte man verzichten. Wer unsicher ist, kann beim bezirklichen Grünflächenamt nachfragen. Dort erhält man auch Auskünfte, ob es im Bezirk Baumscheibenpatenschaften oder Zuschüsse für die Erstbegrünung gibt.
js
06.06.2013