Trotz gesunkener Preise an der Strombörse verlangen die großen Energiekonzerne von ihren Haushaltskunden bis zu eine Milliarde Euro zu viel. Zu dieser Einschätzung kommt ein Gutachten des Energiewirtschaftlers Gunnar Harms im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen.
Den Anstoß, die Strompreisentwicklung zu begutachten, gab eine Preiserhöhung des Versorgers RWE zum 1. August 2010 um 7,3 Prozent oder 1,5 Cent pro Kilowattstunde. Das Unternehmen begründete die Preissteigerung mit höheren Beschaffungskosten an der Strombörse und der gestiegenen Umlage für die Förderung der erneuerbaren Energien (EEG-Umlage). Die EEG-Umlage ist tatsächlich zu Jahresbeginn auf 2,05 Cent pro Kilowattstunde gestiegen und damit nach RWE-Angaben um 55 Prozent. Das entspricht nach Berechnungen des Gutachters Gunnar Harms allerdings lediglich Mehrkosten von 0,73 Cent pro Kilowattstunde. Gleichzeitig seien die Preise an der Strombörse in den letzten zwei Jahren um 30 bis 40 Prozent gesunken. Deshalb wäre statt einer Preiserhöhung sogar eine leichte Preissenkung um durchschnittlich knapp einen Cent pro Kilowattstunde angemessen gewesen, schlussfolgert Harms. Die seit Herbst 2008 drastisch gesunkenen Beschaffungspreise wurden also nicht an die Haushaltskunden weitergegeben. Stattdessen mussten diese seitdem sogar im Schnitt 7 Prozent mehr für ihren Strom zahlen.
Ingrid Nestle, Sprecherin für Energiewirtschaft von Bündnis 90/Die Grünen, sieht darin ein Symptom des nicht funktionierenden Wettbewerbs und eine reine Abzocke durch die Stromkonzerne. Als Reaktion auf das Gutachten erwartet der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) von der Bundesregierung gesetzliche Maßnahmen, die mehr Transparenz bei der Strompreisbildung schaffen. Stromkunden werden zudem aufgefordert, den Stromanbieter zu wechseln, wenn dieser ungerechtfertigt die Preise erhöhe. „Wenn den Konzernen die Kunden weglaufen, werden sie sich unverschämte Preisaufschläge in Zukunft sparen“, ist vzbv-Vorstand Gerd Billen überzeugt.
Die Stromindustrie selbst wies die Vorwürfe indes zurück und verwies auf den harten Wettbewerb auf dem Strommarkt. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) betonte außerdem, dass der Stromeinkauf bis zu drei Jahre im Voraus und deshalb zu teils höheren Preisen erfolge.
Kristina Simons
MieterMagazin 9/10
Kritiker bemängeln die mangelnde Transparenz bei der Strompreiskalkulation
Foto: Alex Yeung/Fotalia
Download des Kurzgutachtens
von Gunnar Harms unter
www.gruene-bundestag.de
01.06.2013