Künstler tragen maßgeblich zum Image und zur Attraktivität Berlins bei. Angesichts steigender Mieten verliert die Stadt diese Besonderheit – und der Senat schaut gleichgültig zu. Auch wenn sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit für das Stadtmarketing und zu Wahlkampfzwecken gern mit Künstlern schmückt – der Exodus der Kunstschaffenden ist in vollem Gange. Nur noch wenige gut verdienende Künstler können sich ein Atelier in der Innenstadt leisten.
Als das Gebäude Greifswalder Straße 212 noch der städtischen Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) gehörte, gab es hier 45 Ateliers – nach dem Verkauf sind alle weg. Nachdem das Haus Lindower Straße 18 in Wedding durch den Liegenschaftsfonds privatisiert wurde, verschwanden auch dort die 20 Ateliers. Das Wohnungsunternehmen Gewobag verwandelte das Atelierhaus Klausenerplatz 19 in Wohnlofts. Und auch die 16 Ateliers am Charlottenburger Ufer 17/18 sollen Lofts werden. In der Landsberger Allee 54 müssen demnächst rund 70 Ateliers und Projekträume luxuriösen Appartements weichen. Von der Schließung des Künstlerhauses „Tacheles“ sind auch die rund 40 Ateliers betroffen. Und 50 Ateliers in der Rosenthaler Straße 71 in Mitte werden demnächst zwecks Gewinnmaximierung in Hotelzimmer umfunktioniert.
Florian Schöttle, vom Senat finanzierter Atelierbeauftragter und in dieser Funktion Leiter des seit 15 Jahren bestehenden „Atelierbüros“, verweist auf über 700 Atelierverluste seit 2004. „Der gesamte Innenstadtbereich ist bereits heute praktisch kein Arbeitsort mehr für Künstlerinnen und Künstler“, so Schöttle. Potenzial sieht er lediglich noch in Weißensee und anderen Randbezirken.
Über 5000 Künstler suchen zurzeit in Berlin Atelierräume. Mit mindestens 12 Euro pro Quadratmeter warm liegen die Gewerbemieten in der Innenstadt jedoch beim Doppelten dessen, was die meisten Künstler bezahlen können. Laut einer Umfrage können 25 Prozent der Künstler maximal 150 Euro im Monat für die Ateliermiete aufbringen, für 60 Prozent sind 300 Euro die absolute Schmerzgrenze.
Über 70 Prozent der ateliersuchenden Künstler wohnen (noch) in der Innenstadt. Viele arbeiten in ihrer Wohnung. Wer ein Atelier in den Außenbezirken findet, muss einen langen Arbeitsweg in Kauf nehmen.
Künstler sind auf einen engen persönlichen Kontakt zu Museen, Galerien und Agenturen angewiesen, die ihren Sitz traditionell in der Innenstadt haben. Und schließlich ist die soziale und kulturelle Vielfalt auch für die Attraktivität des Stadtzentrums wichtig. „Doch vom damit verbundenen Profit und Image-Gewinn für die Stadt fließt wenig zu den Akteuren zurück – im Gegenteil: Die realen Arbeits- und Lebensbedingungen Berliner Künstler verschlechtern sich zusehends durch steigende Mieten und den Verlust selbstorganisierter Freiräume“, schrieben im letzten Jahr 200 Berliner Künstler in einem Offenen Brief an Klaus Wowereit. Eine Antwort haben sie nicht bekommen.
Die kulturelle Vielfalt muss bleiben
Interessierte Künstler mit begrenzten Einkommen können sich beim Atelierbüro auf mietpreisgebundene Atelierwohnungen oder auf mietbegünstigte Ateliers bewerben. Eine Fachjury wählt die Bewerber aus.
2011 standen dem Atelierbüro 1,1 Millionen Euro zur Verfügung. In diesem Jahr sind es 150 000 Euro mehr. Aber selbst wenn dieser Betrag 2013 noch einmal, wie geplant, kräftig aufgestockt wird, reicht er nicht aus, um auch nur die dringendsten Probleme zu lösen. Das Atelierbüro verfügt zurzeit über Belegrechte für rund 800 Ateliers, die aber allesamt vermietet sind. Jährlich gehen fast 900 neue Ateliergesuche ein.
2011 hat das Atelierbüro nur 21 öffentlich geförderte Ateliers ausschreiben und neu vergeben können – wesentlich weniger als in den Jahren zuvor. Schöttle: „Auch unter Förderbedingungen ist es zunehmend schwerer geworden, geeignete und preiswerte Standorte vom freien Markt anzumieten – Berlin muss umgehend seine verfügbaren räumlichen Potenziale zugänglich machen!“ Es gehe letztlich um die kulturelle Vielfalt, auf die Berlin bisher immer stolz war.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 9/12
In der Berliner Innenstadt werden Ateliers zunehmend in teure Wohnungen umgewandelt
Foto: Sabine Münch
Kulturwerk des BBK Berlin GmbH – Atelierbüro -,
Köthener Straße 44, 10963 Berlin,
Tel. 23 08 99 21
www.bbk-kulturwerk.de oder
www.kultur.berlin.de
Initiative KünstlerInnen gegen Verdrängung,
c/o Rolf Kuhl,
Körtestraße 35, 10967 Berlin,
Tel. 0174 993 98 63 oder 86 39 11 39,
E-Mail: kuhl.schuemer@gmail-com
Zum Thema
Sexy, aber ausgebucht
„Die Attraktivität Berlins für Künstlerinnen und Künstler ist subjektiv ungebrochen: Über 30 Prozent der konkreten Bewerbungen auf ein gefördertes Atelier kamen von neu zugezogenen Künstlerinnen und Künstlern. Fast 900 Neuanmeldungen gab es beim Atelierbüro 2011: 40 Prozent gaben an, bisher keine Arbeitsmöglichkeit zu besitzen und suchen zum ersten Mal einen Arbeitsort in Berlin. Die Zahl der Ateliergesuche ist 2011 dabei in einem Jahr um 22 Prozent gestiegen!“
Aus einer Marktanalyse des Atelierbüros
30.03.2013