Zur Entspannung des Berliner Mietwohnungsmarktes setzt Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) in erster Linie auf den Neubau. Eine große Rolle sollen dabei die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften spielen. Um die Erfolge der Wohnungsbauoffensive zu präsentieren, lud Müller die Presse zu einer Bustour ein. Gebaut wurde freilich noch nichts, zu sehen gab es vor allem Versprechungen. Die vorgestellten Baupläne zeigen, dass die Wohnungsbaugesellschaften zunächst die einfachsten und schnellsten Lösungen suchen – und nicht unbedingt die sinnvollsten. Um wirklich preisgünstige Wohnungen zu bauen, fehlt nach wie vor ein Förderprogramm, das diesen Namen verdient.
Vor einem Jahr hat der Senat mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ein „Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“ geschlossen. Darin haben sich die Gesellschaften verpflichtet, ihren Bestand durch Zukauf und Neubau um mindestens 30.000 auf insgesamt 300.000 Wohnungen zu erhöhen. Inzwischen sind fast 14.000 Wohnungen angekauft worden. Der Neubau braucht einen längeren Vorlauf und hinkt deshalb hinterher. Im Bau sind bisher nur 52 Wohnungen der Wohnungsbaugesellschaft Degewo in Marienfelde. Darüber hinaus sind 5600 Wohnungen stadtweit in der konkreteren Planung – für Michael Müller allein schon ein Erfolg.
Die Presserundfahrt des Senators führte zunächst nach Lichtenberg zum Lindenhof, einem ehemaligen Kinderkrankenhaus am Ende der Gotlindestraße. Die Geschäftsführerin des Wohnungsunternehmens Howoge, Stefanie Frensch, führte den Journalisten-Tross stolz über das parkähnliche Gelände. Die Howoge hat das Areal 2012 vom Liegenschaftsfonds erworben und plant, hier ab 2014 rund 400 Wohnungen zu errichten. Diese sollen sich auf drei Gebäude verteilen, die jeweils dreiseitig einen Hof umschließen. Damit wird die Form der denkmalgeschützten Krankenhausanlage zitiert. In den vorhandenen Altbauten können zusätzlich rund 45 Wohnungen eingerichtet werden. „Mindestens die Hälfte der Wohnungen wird familientauglich“, sagt Stefanie Frensch. „In zweieinhalb bis drei Jahren werden wir hier 1000 neue Bewohner haben.“ Dankbar ist Frensch dafür, dass die planerische Umwidmung des Klinikgeländes in ein Wohngebiet schnell und unkompliziert über die Bühne ging: „Das ist ein tolles Beispiel, dass das Bündnis für Wohnen funktioniert.“
Preiswert ist relativ
Bezahlbare Mieten kann die Howoge hier nur für einen Teil der Neubauwohnungen versprechen. Das gilt auch für die Bauvorhaben der anderen Wohnungsbaugesellschaften. Da es keine Fördergelder gibt, wollen sie innerhalb ihrer Neubauten Quersubventionierungen vornehmen: Die Dachgeschosswohnungen oder eventuell vorhandene Gewerbeflächen im Erdgeschoss sollen zum Höchstpreis, den der Markt hergibt, vermietet werden, damit man die übrigen Wohnungen zu Nettokaltmieten ab 7,50 Euro pro Quadratmeter anbieten kann. Zur Kaltmiete kommen noch rund 2,50 Euro an Heiz- und Betriebskosten. Michael Müller will mit diesem Modell erreichen, dass 20 Prozent der Neubauwohnungen „preisgünstig“ sind. Haushalte mit geringem Einkommen können sich Wohnungen mit einer Warmmiete von 10 Euro allerdings nicht leisten. An sie ist im Neubauprogramm auch nur ausnahmsweise gedacht: So will die Howoge bei ihrem Projekt an der Treskowallee zehn Prozent der Wohnungen Hartz-IV-tauglich machen.
Ab 2014 soll es dann ein kleines Förderprogramm geben: Senator Müller schreibt es sich als Erfolg zu, dass die 32 Millionen Euro, die der Bund dem Land Berlin jährlich für den Sozialen Wohnungsbau überweist, künftig tatsächlich für den Bau neuer Wohnungen ausgegeben werden sollen. In den letzten Jahren wurde das Geld nicht ganz zweckgetreu für die bestehenden Sozialwohnungen aufgewendet. Die 32 Millionen des Bundes werden durch Mittel des Landes Berlin verdoppelt. Wie die Förderung gestaltet wird, ist indessen immer noch nicht klar. Müller bevorzugt eine „Mischung aus Objekt- und Subjektförderung“, das heißt, es wird nicht nur das Gebäude subventioniert, es werden auch die Mieten unterstützungsbedürftiger Haushalte mit Fördermitteln herabgesetzt. Mit 64 Millionen Euro pro Jahr kommt man allerdings nicht weit.
Eine Reduzierung des Baustandards und der Ausstattung, um die Baukosten und damit die künftigen Mieten zu reduzieren, kommt für die Wohnungsbaugesellschaften nicht in Frage. „Wir bauen Strukturen, die 100 Jahre Bestand haben sollen“, sagt Stefanie Frensch. Michael Müller ergänzt: „Wenn man am Anfang spart, muss man über die Jahre mehr investieren.“
Dass man keine Halbheiten bauen möchte, ist nachvollziehbar. Dass aber beim Lindenhof zur Umsetzung des ambitionierten Neubaukonzepts erst einmal vorhandener Wohnraum abgerissen werden soll, ist doch reichlich absurd: Unverständlicherweise konnten die Architekten das ehemalige Gästewohnheim aus den 70er Jahren, das heute bewohnt wird, nicht in ihren Plan einbinden. Deshalb wird dort, ohne mit der Wimper zu zucken, bezahlbarer Wohnraum abgerissen, um neue Wohnungen zu bauen. Ähnlich verhält es sich mit einem anderen Vorhaben der Howoge: An der Ecke Frankfurter Allee/Möllendorffstraße will sie einen Neubau mit 150 bis 200 Wohnungen hochziehen. An dieser Stelle hat die Howoge selbst vor knapp zehn Jahren ein 18-geschossiges Hochhaus mit 136 Wohnungen abgerissen.
Vor dem Neubau steht der Abriss
Die Presserundfahrt führte schließlich nach Weißensee zu einem Projekt der Wohnungsbaugesellschaft Gesobau. Sie will im dicht bebauten Komponistenviertel ihren Bestand weiter verdichten. In der Gounodstraße 25 plant sie, nicht nur die Lücke zwischen ihrem freistehenden Zeilenbau aus den frühen 60er Jahren und einem benachbarten Altbau mit einem fünfgeschossigen Neubau zu schließen, sondern auch in dem kleinen Garten hinter dem Haus sechs Einfamilien-Reihenhäuser zu errichten. Dem Plus von 16 Wohnungen steht eine Reihe von Nachteilen gegenüber: Die Häuschen würden im Hinterhof nicht viel Platz haben und inmitten der viergeschossigen Bebauung auch wenig Sonnenlicht abbekommen. Gleichzeitig würden die Bewohner des Zeilenbaus ihr Gartenidyll mit dem dichten Baumbestand verlieren.
Dass man den Wohnungsmangel nicht mit gnadenloser Verdichtung bekämpfen muss, zeigte Müllers Pressetour nebenbei auch: Der Bus fuhr an zahlreichen leerstehenden Wohnhäusern und voll erschlossenen, ungenutzten Gewerbeflächen vorbei. Im Stadtentwicklungsplan Wohnen listet die Senatsverwaltung sogar Bauflächen für 220 000 neue Wohnungen auf. Darunter sind genug Grundstücke, auf denen man bauen kann, ohne vorher die Abrissbirne oder die Kettensäge einzusetzen. Es ist natürlich anstrengender, Brachen für den Wohnungsbau nutzbar zu machen, als Grundstücke, die sich schon im Besitz der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften befinden, weiter vollzuquetschen. Und Eigentümer zur Vermietung leerstehender oder zweckentfremdeter Wohnungen zu zwingen, ist auch nicht so öffentlichkeitswirksam wie das Präsentieren von hübschen Neubauprojekten. Michael Müller befand sich während der Busfahrt in einem angeregten Smalltalk mit den Journalisten. Für die am Busfenster vorbeiziehenden Potenziale hatte er kein Auge.
Jens Sethmann
MieterMagazin 9/13
Fotos: Nils Richter
Stadtentwicklungssenator Müller zeigt den Hauptstadt-Journalisten, wo es mit seiner Baupolitik lang geht und sonnt sich mit den Spitzen der kommunalen Wohnungsunternehmen in künftigen Erfolgen
Nachverdichtung in Planung: Lichtenberger Lindenhof (oben), Weißenseer Komponistenviertel (unten)
15.11.2013