Fast 22 Jahre nach der Gründung der EU sind die europäischen Wohnungsmärkte noch immer heterogen und von nationalen und regionalen Besonderheiten geprägt. Das zeigt die aktuelle Studie „The State of Housing in the EU 2015“.
Die Kernaussagen der erstmalig durchgeführten Studie bieten wenig Anlass zu Optimismus: Der Wohnungsneubau hält in den Ballungsgebieten nicht mit der steigenden Nachfrage Schritt. Die Mieten steigen. Der Neubau von Sozialwohnungen geht in den meisten EU-Ländern zurück. Die Zahl der Wohnungslosen nimmt zu. Europaweit geben 20 Prozent der Mieter über 40 Prozent ihres Nettoeinkommens für das Wohnen aus.
Deutschland ist das einzige Land in der EU, in dem der Prozentsatz der Mietwohnungen (54,3 Prozent) höher ist als der des selbstgenutzten Wohneigentums (45,7 Prozent). 4,8 Millionen Haushalte, das sind 12 Prozent, sind heute Wohngeldempfänger. Als besonderes Negativ-Merkmal des deutschen Wohnungsmarktes nennt die Studie den hohen Anteil der Wohnkosten am Nettoeinkommen – in vielen Haushalten betragen die Wohnkosten über 40 Prozent. Bemängelt wird auch das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf lokaler Ebene und der schnelle Anstieg der Mieten in einigen Städten.
Niederlande noch immer Musterland
Die Niederlande gelten in Europa immer noch als Musterland, was den Wohnungsmarkt angeht. 60 Prozent wohnen dort in einem Eigenheim oder einer Eigentumswohnung, 33 Prozent im Sozialen Wohnungsbau – der höchste Anteil in Europa. 2015 hatten in den Niederlanden Haushalte mit einem Einkommen von weniger als 34.911 Euro pro Jahr Anspruch auf eine Sozialwohnung mit einer maximalen Miete von 710,68 Euro, für die man beim Finanzamt noch einen Zuschuss beantragen kann. Liegt das Einkommen über dieser Grenze, müssen Wohnungssuchende auf den „freien Sektor“ ausweichen. Heute haben Menschen mit mittlerem Einkommen aber bereits Probleme, eine entsprechende Wohnung zu finden.
In Spanien stehen viele Häuser und Wohnungen leer, weil sie seit der Finanzkrise den Banken gehören. 2011 waren das 687.523 Wohnungen. Die Kommunen bemühen sich, diese für den Sozialen Wohnungsbau zu rekrutieren, denn aufgrund fehlender staatlicher Förderung kam dieser 2012 völlig zum Erliegen. Ein neuer staatlicher Wohnungsplan sieht wieder die Förderung des Sozialen Wohnungsbaus und die Unterstützung von Mietern mit niedrigem Einkommen vor.
Bulgarien hat den höchsten Anteil von Menschen, die ihre Wohnung nicht angemessen beheizen können. In Estland befinden sich 70 Prozent der Wohnungen in Plattenbauten mit einer schlechten Energieeffizienz. In Rumänien verfügen lediglich 66,7 Prozent der Wohnungen über fließendes Wasser. In der Tschechischen Republik gab es 2013 – bei einer Bevölkerung von circa 10,5 Millionen – 100.000 bis 120.000 Wohnungssuchende. In Polen stehen pro 1000 Personen lediglich 360 Wohnungen zur Verfügung – der niedrigste Wert in der EU. In der Slowakei leben noch etwa 73 Prozent der 18- bis 34-Jährigen bei ihren Eltern, in Italien sind es 65 und in Portugal 60 Prozent.
Die EU-Kommission und die Europäische Investitionsbank werden einen neuen Europäischen Fonds für Strategische Investitionen (EFSI) auflegen. Das könnte einige Probleme mildern, für langfristige Lösungen fehlen jedoch noch immer Konzepte.
Rainer Bratfisch
www.housingeurope.eu/resource-468/the-state-of-housing-in-the-eu-2015
Housing Europe
Housing Europe, der Verfasser der Studie, ist der Europäische Verband der öffentlichen, genossenschaftlichen und sozialen Wohnungswirtschaft mit Sitz in Brüssel. Gegründet 1988, versteht er sich als Netzwerk von 43 nationalen und regionalen Verbänden, die insgesamt rund 43.000 Vermieter in 23 Ländern vertreten, die über 26 Millionen Wohnungen bewirtschaften. Das sind rund 11 Prozent des Mietwohnungsbestandes in der EU. Deutschland ist vertreten mit dem GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen.
Weitere Informationen: www.housingeurope.eu
31.08.2015