Das Haus Calvinstraße 21 ist seit über zehn Jahren Schauplatz der wohl härtesten und längsten Auseinandersetzung zwischen Bewohnern und Vermietern in der Stadt. Der Eigentümer hat es nicht nur geschafft, fast alle Mieter zu vergraulen, sondern auch seine Luxussanierung durchzuziehen – ungeachtet der Vorgaben des Milieuschutzes. Wie ist das möglich?
Bundesweite Schlagzeilen machte die Calvinstraße erstmals 2010, als einer Mieterin Bad- und Küchenfenster zugemauert wurden. „So etwas ist nach wie vor fast normal hier“, sagt Roman Czapara sarkastisch – er ist der letzte Mieter im Haus. Als er vor einiger Zeit nach Hause kam, war plötzlich die Balkonbrüstung weg.
über die Geschehnisse in der Calvinstraße 21.
Weitere Informationen dazu unter MieterMagazin zu Calvinstraße 21
Sämtliche Mieter vor den Bauarbeiten geflüchtet
Der Eigentümer, die Terrial Stadtentwicklung GmbH, will den einfachen, aber funktionstüchtigen 1960er-Jahre-Bau komplett umbauen. Von einer Modernisierung könne keine Rede sein, meint Czaparas Anwalt Christoph Müller. 19 Mal hat das Ehepaar Czapara gegenüber dem Eigentümer vor Gericht gewonnen. Doch das ändert nichts an den unerträglichen Zuständen. Inzwischen sind alle anderen Mieter vor Lärm, Dreck, dem nicht-funktionierenden Fahrstuhl und anderen Schikanen geflüchtet.
Nachdem das Landgericht 2013 entschieden hatte, dass die verbliebenen Mieter die Modernisierung nicht dulden müssen, wurde das Baugerüst abgebaut, und es war ein paar Jahre lang Ruhe. Doch im April 2020, mitten im ersten Lockdown, wurde mit ohrenbetäubenden Fräs- und Stemmarbeiten begonnen – und das, obwohl nach wie vor kein gerichtlicher Duldungstitel vorlag.
Die Senatsverwaltung für Umwelt lehnte ein Einschreiten zunächst ab. Erst auf Drängen des Anwalts wurden die lärmintensiven Arbeiten auf zweieinhalb Stunden am Tag begrenzt – ohne dies jedoch zu kontrollieren. „Ich habe mir ein Messgerät gekauft, und das zeigte dann Werte von über 90 Dezibel“, berichtet Roman Czapara. Wegen der mehrfachen Verstöße gegen den Lärmschutz wurde schließlich gegen den Bauherrn ein Strafbefehl erlassen. Die Presse schaltete sich ein. Die Reaktion der Terrial: eine fristlose Kündigung mit Räumungsklage (hierzu unsere Infobox).
Rechtsanwalt Müller spricht von einem „Komplettversagen“ der Verwaltung: „Die Berliner Justiz hat im Wesentlichen ihren Job gemacht, aber das Bezirksamt setzt den Machenschaften des Investors wenig Widerstand entgegen.“ So werden derzeit in den Leerwohnungen, die dem Milieuschutz unterliegen, Fußbodenheizungen eingebaut. Das ist im Milieuschutz nicht genehmigungsfähig und wurde von der Terrial auch gar nicht beantragt. „Alleine kann man das nicht durchstehen, ohne die Unterstützung durch den Mieterverein und Rechtsanwalt Müller wären wir schon lange weg“, sagt Roman Czapara. Sogar der Richter habe ihm gesagt: „Sie müssen hier raus, das ist unzumutbar!“, erzählt er fassungslos.
Birgit Leiß
Sieg für die Meinungsfreiheit
In Interviews mit dem rbb und Spiegel-TV hatte Roman Czapara die unzumutbaren Zustände im Haus geschildert und die Vermutung geäußert, dass die Terrial bewusst die Corona-Pandemie ausnutzen würde, um Druck auszuüben. Wegen „wahrheitswidriger Tatsachenbehauptungen“ kündigte ihm der Vermieter daraufhin Ende April 2020 fristlos. Das Amtsgericht wies die Räumungsklage zurück. Es handele sich um zulässige Meinungsäußerungen. Die einzige Tatsachenbehauptung, nämlich dass der Fahrstuhl seit Herbst 2019 nicht funktionsfähig ist, entspräche der Wahrheit, so das Gericht. Die Äußerung seines Anwalts „Da steckt eine Strategie dahinter“ müssten sich die Mieter nicht zurechnen lassen (AG Mitte vom 27. April 2021 – 3 C 184/ 20). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Terrial hat Berufung eingelegt.
bl
28.08.2021