Draußen war Schwitzen, drinnen Frösteln im Luftstrom der Klimaanlage angesagt – unter diesen Bedingungen kamen am 15. August im Neuköllner Hotel Estrel die 105 gewählten Delegierten der zwölf Mietervereins-Bezirksgruppen zusammen. Mehr als vier Stunden beriet das Vereinsgremium über das zurückliegende Geschäftsjahr und stimmte über wichtige Belange des Berliner Mietervereins (BMV) ab.
Zur Eröffnung brachte der Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten, die Anwesenden mit wohltuenden Worten auf Betriebstemperatur. Er lobte den BMV als aktivsten Verein im DMB. Dann kritisierte er die Unterstützungspolitik des Bundes in der jetzigen Energiekrise: „Wir brauchen keine Zuschüsse für alle Menschen in gleicher Höhe, sondern für diejenigen, die solche Hilfen nötig haben.“
Eher kühl nahmen die Delegierten dagegen die Rede von Bausenator Andreas Geisel auf. Da der Gast verhindert war, wurde sie von Berlins Staatssekretärin für Mieterschutz, Ülker Radziwill (SPD), verlesen. Der Senator bedauere, dass der BMV den Text des Wohnungsbündnisses nicht unterschrieben habe: „Lieber für 100.000 Wohnungen etwas schaffen als gar nichts!“
Zu viel Schaum
BMV-Geschäftsführer Reiner Wild konterte – dabei die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey im Auge: Der Mieterverein habe sich ein Glas gewünscht, dessen Inhalt nicht zur Hälfte aus Schaum besteht. So sei der Senatsweg, die Mieten bei Überschreitung von 30 Prozent des Einkommens nur bei Härtefällen zu kappen, keine Lösung: Erfahrungsgemäß würden die meisten berechtigten Mieterinnen und Mieter ihr Einkommen aus Scham nicht offenlegen. Dass der Bausenator dem Mieterverein mangelndes Verantwortungsbewusstsein unterstellt habe, sei daher unredlich. Man werde dennoch ein konstruktiver Gesprächspartner bleiben.
Der Vorsitzende des BMV, Rainer Tietzsch, kritisierte vor allem die mangelnde Verbindlichkeit des Bündnisses. Wichtiger seien Gesetze. Ob Wiedereinführung der neuen Wohnungsgemeinnützigkeit, Neuregelung des 2021 vom Bundesverwaltungsgericht gekippten Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten oder die Auflage für Investoren, bei Neubauprojekten mehr Sozialwohnungen zu errichten – Baustellen gebe es genug.
Die Berliner Mieterschaft erwartet diesen Einsatz. So wächst der BMV nach wie vor, wenn auch mit 1,3 Prozent weniger als im Geschäftsjahr 2020 (2,9 Prozent). Immerhin: Kein anderer Mieterverein unter dem Dach des Mieterbundes hat jährlich mehr Beitritte als der BMV, betonte Schatzmeisterin Jutta Hartmann.
Für Reiner Wild war seine 42ste Delegiertenversammlung die letzte, die er als Geschäftsführer des Mietervereins unter viel Applaus in den Ruhestand verließ. Am Rednerpult versäumte niemand, seine Verdienste hervorzuheben. „Wir hoffen, auf seinen Sachverstand zurückgreifen zu können“, so der Vorsitzende Tietzsch. Reiner Wild widersprach nicht, zumal er bis Mitte 2023 DMB-Vizepräsident bleibt. Er verabschiedete sich gewohnt bescheiden: „Ich hoffe, den Mieterinnen und Mietern der Stadt eine Stimme gegeben zu haben.“ Diesen Erfolg wolle er nicht allein für sich reklamieren. „In Berlin leben 84 Prozent zur Miete, das macht die Arbeit etwas leichter.“ Sein Wunsch, vor allem an das künftige Dreierteam in der Geschäftsführung: Es sollten mehr jüngere Mitglieder dafür gewonnen werden, sich im BMV zu engagieren. Ein jüngst angeschobenes Pilotprojekt in ausgewählten Kiezen könnte dafür eine Weiche gestellt haben.
Sebastian Bartels
Eine Satzungsreform und diverse Beschlüsse
Die Delegierten verabschiedeten einstimmig eine Satzungsreform, an der ein Jahr lang gefeilt worden war. Die Reform regelt zum Beispiel erstmals pauschale Aufwandsentschädigungen für das Ehrenamt. Zudem können nun Nichtmitglieder in die Bezirksarbeit und in Ausschüsse des Beirats einbezogen werden.
Zudem forderten sie per Beschluss den BMV auf, sich beim DMB und beim Berliner Senat für eine restriktivere Regelung des Eigenbedarfs einzusetzen, etwa durch einen Kündigungsausschluss für Menschen über 70 oder bei einer Wohndauer von mehr als zehn Jahren. Einstimmig angenommen wurde auch der Antrag, Nebenkostenabrechnungen größerer privater Bestände auf systematische Fehler hin zu untersuchen.
sb
30.08.2022