Dass ausgerechnet die DDR für die geistige Elite bevorzugt Wohnraum gebaut hat, mag überraschen. Noch erstaunlicher ist, dass der Arbeiter- und Bauernstaat den Kunstschaffenden und Wissenschaftler:innen ursprünglich sogar Eigenheime in Privateigentum zur Verfügung stellen wollte. Dass es dann doch anders kam, ist ein weiteres Kapitel der bemerkenswerten Geschichte der Berliner Intelligenzsiedlungen.
Wer von der belebten Heinrich-Mann-Straße in die Beatrice-Zweig-Straße einbiegt, findet sich unvermittelt in einem beschaulichen Idyll aneinandergereihter Häuschen wieder. Rechts und links der kleinen Straße in Pankow-Niederschönhausen sieht man Häuschen mit gepflegten Vorgärten, in denen Magnolien blühen und Hollywood-Schaukeln stehen. Keine Gedenktafel erinnert daran, dass dies eine der drei Berliner Intelligenzsiedlungen ist, die ab den 1950er Jahren von bekannten Persönlichkeiten bewohnt wurden.
„Intelligenzsiedlungen“ wurden sie übrigens von den Bewohner:innen nie genannt, weiß Thomas Flierl. Der ehemalige Berliner Kultursenator wohnt zwar nicht in der Siedlung, aber als Vorsitzender der Max-Lingner-Stiftung und Architekturhistoriker kennt er sie gut. Das Haus der Stiftung in der Beatrice-Zweig-Straße 2 wurde früher von dem Maler und Grafiker Max Lingner bewohnt, einem 1949 aus Frankreich heimgekehrten Widerstandskämpfer. Direkt gegenüber steht das Atelierhaus der Bildhauerin Ruthild Hahne. Sie war zur Zeit des Nationalsozialismus in der Widerstandsgruppe Rote Kapelle aktiv und konnte in die Sowjetunion fliehen. Für genau solche Remigranten und NS-Verfolgten wurden die Häuser gebaut. „Menschen, die aus dem Exil oder dem KZ kamen, hatten ja nichts, daher wurden die Häuser möbliert vergeben“, erklärt Flierl.
Doch wie kam es überhaupt zu einem speziellen Wohnungsbauprogramm für die „schaffende Intelligenz“? Damals, in einer Zeit riesiger Wohnungsnot nach dem Krieg, war das durchaus umstritten. Die Privilegierung war politisch gewollt, schreiben Bettina und Hans-Joachim Asmus in ihrem Buch über die Intelligenzsiedlungen in Ost-Berlin. Künstler:innen und Schriftsteller:innen wurden für den Aufbau des antifaschistischen Staates gebraucht, sie sollten den „sozialistischen Geist mitschaffen“. Für die neugegründete DDR, so die beiden Autoren, war es lebensnotwendig, die Intelligenz im Land zu halten sowie sozialistisch orientierte Wissenschaftler:innen und Künstler:innen aus dem Ausland zu gewinnen. Mit dem Bau von insgesamt 93 attraktiven Eigenheimen wollte man zudem den ab 1949 einsetzenden Exodus gen Westen stoppen.
Nicht zufällig in der Nähe zur Macht
Der Startschuss für das Förderungsprogramm fiel 1950. In Ost-Berlin wurden drei Siedlungen gebaut, zwei in Pankow – nicht zufällig fußläufig zu den Villen der SED-Politprominenz am Majakowskiring – und eine in Grünau. Schon auf den Bauplänen waren die Namen der künftigen Bewohner:innen vermerkt, wobei es in manchen Fällen anders kam. So war ein Haus für den Rückkehrer Heinrich Mann vorgemerkt, der aber vorher verstarb (an seiner Stelle zog der Schriftsteller Arnold Zweig ein). Andere, wie etwa Alfred Döblin oder Lion Feuchtwanger entschieden sich gegen die Rückkehr nach Deutschland. Ein eigens eingesetzter Förderungsausschuss entschied darüber, wer in die begehrten Häuser einziehen durfte. „Verdiente Persönlichkeiten“, die mit den Werktätigen verbunden waren, sollten es sein.
Die ersten zogen Ende 1951 in ihr vermeintliches Eigenheim. Dafür waren vom Staat Darlehen bereitgestellt worden. Diese sollten über 30 Jahre lang zinslos zurückgezahlt werden, anschließend sollten die Häuser in das Eigentum der Bewohner übergehen. Doch nur wenige Monate später ging den Bewohner:innen der Entwurf eines Mietvertrags zu. Dies, so die beiden Autor:innen, lag zum einen an einem zunehmend sozialistischen Verständnis von Eigentum, zum anderen aber auch daran, dass die ursprünglich veranschlagten Baukosten von 40.000 Mark pro Haus nicht zu halten waren und die Tilgungsraten daher entsprechend höher ausfielen. Viele legten ohnehin keinen Wert darauf, Eigentum zu erwerben. Der Mietvertrag sah ein lebenslanges Wohnrecht vor. Andere wie etwa der Physiker Prof. Ostap Stasiw pochten auf ihre schriftliche Vereinbarung mit dem Förderungsausschuss. Er schrieb: „Leider muss ich mich weigern, den von Ihnen festgesetzten Mietbetrag zu bezahlen.“ Er sei im Glauben, nach 30 Jahren Eigentümer zu werden, von Dresden nach Grünau gezogen. Moniert wurden von einigen auch die Miethöhe. Zwischen 150 und 180 Mark sollten die meisten Häuser kosten, im Einzelfall aber auch mehr. Klagen gab es auch wegen der zahlreichen Mängel.
Die „Intelligenzler“ waren keine homogene Gruppe
Kurioserweise gab es spätestens ab 1954 wieder die Möglichkeit, die Häuser zu kaufen. Doch davon wurde nur vereinzelt Gebrauch gemacht. So erwarb der Schriftsteller Stefan Heym in den 1980er Jahren sein Haus in Grünau.
Als eingeschworene Gemeinschaft darf man sich das Leben in den Siedlungen nicht vorstellen. Dafür war die Gruppe der Kulturschaffenden viel zu heterogen. Da gab es die „West-Emigranten“, die aus den USA oder der Schweiz zurückkehrten und die „Ost-Emigranten“, die die Nazi-Zeit in Moskau verbracht hatten. „Die sind vermutlich nicht immer gut miteinander klargekommen“, meint Flierl. Als freundschaftlich, aber eher distanziert beschreibt Klaus-Jürgen Neumärker in seinem Buch über die Intelligenzsiedlung in Berlin-Grünau das nachbarschaftliche Verhältnis. In Grünau gab es zudem Unmut unter den Alteingesessenen, weil hier „für die Bonzen“ gebaut worden war. Der Schriftsteller Karl Grünberg schildert seine Eindrücke: „Die neuen Bewohner waren bei der Grünauer Bevölkerung nicht sehr beliebt. Einerseits war es purer Neid, weil die ersten Eigenheime ausgerechnet für die Intelligenzler gebaut wurden, obwohl wir wirklich nur Mieter waren.“
Nach der Wende konnten die Bewohner:innen nach dem Modrow-Gesetz die Grundstücke zu einem sehr günstigen Preis erwerben. Ein Weiterverkauf war erst nach einer Sperrfrist von 30 Jahren nach Beurkundung möglich. Thomas Flierl rechnet daher mit einer baldigen Verkaufswelle. Er hofft, dass die künftigen Eigentümer:innen den besonderen Charakter der Siedlung erhalten werden.
Birgit Leiß
Trockenwohnen und Sonderwünsche
Mit der „Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen, demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz“ wurde im März 1950 der Bau von 94 Eigenheimen an drei Standorten in Berlin beschlossen. Dafür wurde ein Fonds von 10 Millionen Mark aufgelegt. Die „Heimstätte Berlin“ übernahm die Realisierung, die Bauausführung unterstand der Lichtenberger VEB Wohnungsbau Berlin. Hanns Hopp, Leiter der Abteilung Hochbau, war als Architekt zuständig. Er entwarf vier Haustypen. Die einkalkulierten 40.000 Mark pro Haus erwiesen sich schon bald als unrealistisch, zumal die künftige Bewohnerschaft allerlei Sonderwünsche hatte, etwa eine Garage fürs Auto.
Pünktlich zum Dezember 1951 waren die Häuser bezugsfertig, wobei sich etliche der Erstbezieher beklagten, dass sie noch „trocken wohnen“ mussten. Unter Denkmalschutz steht nur die Siedlung in Niederschönhausen. In den beiden anderen wurden zu viele Veränderungen vorgenommen.
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Zum Tag des offenen Denkmals am 7./8. September 2024 kann das Wohn- und
Atelierhaus der Bildhauerin Ruthild Hahne in der Beatrice-Zweig-Straße 1 besichtigt werden.
Infos unter www.tag-des-offenen-denkmals.de
Max-Lingner-Haus
Beatrice-Zweig-Straße 2, 13156 Berlin
info@max-lingner-stiftung.de
www.max-lingner-stiftung.de
Klaus-Jürgen Neumärker: Die Intelligenzsiedlung in Berlin-Grünau. Trafo-Verlag, 2023
Bettina Asmus, Hans-Joachim Asmus: Die Intelligenzsiedlungen in Ost-Berlin 1949–1961. BeBra Wissenschaft Verlag, 2024
28.08.2024