Es war einmal ein Altbau in Wedding, mitten im so genannten Problemkiez. Bis vor zwei Jahren standen die meisten Wohnungen leer, sie galten als nicht vermietbar. Heute hat sich das Haus wieder mit Leben gefüllt – mit Mietern, die vor allem die gute Hausgemeinschaft und die schönen Wohnungen zu schätzen wissen. Kein Märchen, sondern ein Experiment, das Nachahmer sucht.
Angefangen hat alles mit der Idee „Wedding Windows“, einem Nachbarschaftsprojekt der beiden Architekten Ben Gundlach und Jürgen Breiter. Im Rahmen einer Ausstellung kamen sie mit dem Eigentümer der Malplaquetstraße 13 A ins Gespräch. „Wir haben uns gedacht, dass man aus dem Haus etwas machen kann und haben ihm angeboten, Mieter für seine Wohnungen zu suchen“, erzählen die beiden. Über Mundpropaganda wurden schon bald die ersten Interessenten gefunden. Entsprechend derer Wünsche wurde dann für jede Wohnung ein Sanierungskonzept erstellt. Die Mieter waren nicht nur an der Planung beteiligt, sondern erbrachten gegen ein ausgeklügeltes Vergütungssystem auch Eigenleistungen in Form von Tapezieren oder Fußbodenverlegen. „Wir wollten zeigen, dass Wohn- und Lebensqualität sowie die Mitbestimmungsmöglichkeiten des Eigentums auch im klassischen Mietverhältnis möglich sind“, erklärt Jürgen Breiter. Der Eigentümer ließ sich nach anfänglicher Skepsis von dem Experiment überzeugen. Bereut hat er es nicht. Mittlerweile sind alle Wohnungen vermietet.
Die Mieter mussten sich für drei Jahre verpflichten. Wer früher ausziehen will, muss einen Nachmieter stellen. Durch Anpassung der Grundrisse sind großzügige, individuelle Wohnungen entstanden. „Diese Wohnungen heben sich von der Konkurrenz ab und werden daher auch langfristig vermietbar sein“, meint Ben Gundlach, der ebenso wie sein Kollege selber im Haus wohnt.
Verzicht auf teuren Schnickschnack
Viele Mieter wollten keine fertigen Wohnungen mit Standardeinbauküche und Raufasertapete, sondern Räume, die sie selber gestalten können.
„Mich hat die schöne Wohnung überzeugt, von Wedding war ich zuerst weniger begeistert“, erzählt Hannes, ein Verwaltungsangestellter. Im November 2005 ist er mit seiner Frau in die frisch sanierte Wohnung gezogen. Mittlerweile ist ihnen die gute Hausgemeinschaft so wichtig, dass sie trotz Trennung beschlossen haben, beide im Haus wohnen zu bleiben. Den Ex-Kreuzberger Jan reizte dagegen von Anfang an das Zusammenleben: „Ich wollte nicht mehr in eine Wohngemeinschaft, aber auch nicht in ein anonymes Haus, wo man mit seinen Nachbarn gar nichts zu tun hat“, erklärt er. „Ich kann die Tür hinter mir zumachen, aber ich kann auch etwas mit meinen Nachbarn unternehmen“, formuliert es eine Bewohnerin.
Obwohl durch die schrittweise Sanierung der Wohnungen zwei Jahre lang Baulärm zu ertragen war, sind die meisten Altmieter geblieben. Die Mieten sind mit 3,80 Euro nettokalt im Hinterhaus sowie 4,20 Euro im Vorderhaus erstaunlich niedrig. Möglich ist dies, weil die Architekten versucht haben, bei der Sanierung unnötige Ausgaben zu vermeiden.
Verzichtet wurde allerdings darauf, die Mitspracherechte der Mieter, etwa bei der Auswahl neuer Mitbewohner, auch vertraglich abzusichern. Sowohl zur Hausverwaltung als auch zum Eigentümer bestehe ein enges Vertrauensverhältnis. „Warum sollte der Eigentümer etwas verändern, solange es gut läuft?“, meint Breiter.
Ben Gundlach und Jürgen Breiter sind davon überzeugt, dass ihr Modell übertragbar ist. „Das kann auch bei anderen Mietshäusern funktionieren, setzt aber ein Umdenken voraus, weil sich Mieter und Verwaltung als Team begreifen müssen“, meint auch Jost Haberland von der Hausverwaltung. „Das Modell ist zwar zeitaufwändiger, der große Vorteil für uns sind aber zufriedene Mieter, die sich mit ihrer Wohnung identifizieren.“
Birgit Leiß
MieterMagazin 10/06
Vom leeren Haus zum Musterprojekt: In der Malplaquetstraße kommen die Mieter auch mal zum Spielen zusammen
Foto: privat
Kontakt und Infos: Wedding Windows,
Agentur für alltägliches Stadtleben,
Malplaquetstraße 13 a, 13347 Berlin,
Tel. 39827394,
www.wedding-windows.de,
info@wedding-windows.de
Baugruppenmodell
Wo es um Schaffung von Eigentum geht, liegt gemeinschaftliches Bauen und Wohnen im Trend. Insbesondere das Baugruppenmodell wird immer beliebter. Dabei schließen sich mehrere Bauherren zusammen und planen mit einem Architekten die Gestaltung ihrer Wohnung, des Gebäudes und der Freiflächen. Auch in der Bauphase sind sie aktiv beteiligt. Das senkt die Kosten und fördert eine aktive Nachbarschaft. Im Mietwohnungsbereich haben solche Modelle Seltenheitswert. Hauptargument der Eigentümer: Die Wohnungen müssen auch künftigen Mieter gefallen, daher könnten individuelle Wünsche bei Sanierung oder Neubau nicht mit einbezogen werden.
bl
22.11.2016