Mehr soziale Verantwortung und eine bessere Ressortvernetzung mahnt Dr. Franz-Georg Rips, DMB-Präsident und Vorsitzender des Berliner Mietervereins (BMV), bei den Politikern der rot-roten Koalition in Berlin an. Auch bei der Klimapolitik der Bundesregierung sieht er deutlichen Nachbesserungsbedarf.
MieterMagazin: Herr Dr. Rips, Sie sind seit gut 100 Tagen Vorsitzender des Berliner Mietervereins. Ist Ihnen anhand der konkreten Politik in dieser Stadt schon deutlich geworden, dass eine rot-rote Landesregierung hier Wohnungspolitik und Stadtentwicklung betreibt?
Dr. Rips: Ja und nein. Vergleicht man Berlin mit Baden-Württemberg, dann gibt es hier eine aktive Wohnungspolitik. Betrachtet man die Chancen und Möglichkeiten, die eine rot-rote Regierung hätte, so ist das Ergebnis eher enttäuschend. Soziale Elemente müssten sehr viel deutlicher im Vor-dergrund stehen.
MieterMagazin: Zurzeit wird der Berliner Mietspiegel 2009 vorbereitet. Was muss aus Ihrer Sicht gegenüber seinen Vorgängern anders werden?
Dr. Rips: Stimmen müssen die Spannenbreite und die Extremwertberichtigung. Wichtig wären auch eine stärkere ökologische Ausrichtung und eine deutlichere Bewertung der Lärmverhältnisse. Ich bin optimistisch, dass dies gelingt. Gerade hier in der Hauptstadt sollten wir ein Zeichen für das Instrument Mietspiegel setzen – allerdings lässt sich der Berliner Mieterverein mit dieser Grundposition auch nicht erpressen.
MieterMagazin: Können Sie uns eine Schmerzgrenze benennen, an der Sie sagen würden: Bis hierher und nicht weiter?
Dr. Rips: Wenn man Grenzen festsetzt, ist es immer schwierig, zu Ergebnissen zu kommen. Aber: Es muss in den angesprochenen Punkten Fortschritte geben, sonst gibt es keinen Grund, dem Mietspiegel zuzustimmen.
MieterMagazin: Die Bundesregierung hat mit den Meseberger Beschlüssen engagierte Ziele zum Klimaschutz formuliert. Doch durch die nun dem Bundesrat vorliegenden Entwürfe werden diese Energiesparziele wohl kaum erreicht. Wo muss wie nachgebessert werden?
Dr. Rips: Nach meiner Ansicht zielen die Entwürfe allzu sehr auf den Neubau, womit gerade einmal 200.000 Wohnungen im Jahr erreicht werden. Hinsichtlich der rund 37 Millionen genutzten Bestandswohnungen setzt der Gesetzgeber dagegen auf Vernunft und Freiwilligkeit bei den Vermietern. Damit werden wir die notwendigen klimapolitischen Ziele nicht erreichen. Wir brauchen den verpflichtenden stärkeren Einsatz von erneuerbarer Energie für die Produktion von Wohnungswärme und Warmwasser – aber natürlich auch, um Energiekosten und die Abhängigkeit von den Exportländern fossiler Brennstoffe zu vermindern.
MieterMagazin: Ein Praxistest des BMV im Juli zum Energieausweis hat ergeben, das dieser bei den Vermietern entweder unbekannt ist oder von ihnen nur ungern vorgelegt wird. Was muss passieren, damit der Energieausweis die ihm zugedachte Rolle auch ausfüllt?
Dr. Rips: Der Praxistest des BMV hat verdeutlicht, dass einige mit dem Energieausweis verbundene Befürchtungen berechtigt waren. Beispielsweise führt die Formulierung, dass der Energieausweis lediglich auf Nachfrage „zugänglich“, nicht aber zwingend vorgelegt werden muss, dazu, dass er nicht die Transparenzwirkung hat, die er haben sollte. Wir setzen uns daher für eine Vorlagepflicht ein und haben die Berliner Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer gebeten, dahingehend im Bundesrat initiativ zu werden.
MieterMagazin: Es hat sich gezeigt, dass viele Eigentümer schlechterdings eine Verweigerungshaltung gegenüber dem Energieausweis einnehmen. Sind da Sanktionen hilfreich?
Dr. Rips: Ich halte nicht viel von Bußgeldverfahren, zivilrechtliche Verpflichtungen lassen sich nicht überzeugend mit strafrechtlichen Mitteln durchsetzen. Kürzungen der abrechenbaren Heizkosten, wenn die Pflichten auch nach längeren Zeiten nicht eingehalten werden, sind da schon wirksamer.
MieterMagazin: Wenn Sie die Wohnsituation der Berliner mit der in anderen Städten vergleichen, wie schätzen sie diese ein?
Dr. Rips: Im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen wie Paris und London, aber auch München, haben wir in Berlin sehr erträgliche Verhältnisse. Aber damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. In vielen Stadtteilen steigen die Kaltmieten deutlich an. Alle Mieterhaushalte leiden unter der Explosion der Energiekosten. Die Bezieher von Arbeitslosengeld II laufen Gefahr, dass sie ihre Wohnungen wegen Unangemessenheit der Unterkunftskosten verlieren. Für Familien mit Kindern ist die Innenstadt nach wie vor nicht attraktiv genug. Es gibt also durchaus genug zu tun.
MieterMagazin: Wie können diese Probleme gelöst werden?
Dr. Rips: Die Lösung liegt darin, das die Stadt mit dem Instrument der kommunalen Wohnungsunternehmen und durch die Verlängerung beziehungsweise Neuschaffung von Belegungsrechten eine ausreichende Anzahl an bezahlbaren Wohnungen in durchmischten Gebieten bereithält. In Berlin, wo die Arbeitslosigkeit und die Spreizung zwischen Arm und Reich sehr hoch ist, bleibt soziale Wohnraumförderung eine Daueraufgabe. Darüber hinaus brauchen wir eine Anpassung der Wohnungsbestände an die demografischen Veränderungen, also zum Beispiel mehr altersgerechte Wohnungen.
MieterMagazin: Wo sehen Sie Handlungsbedarf im Bereich der Stadtentwicklung?
Dr. Rips: Die Wohnungspolitik muss stärker mit der Bildungs- und der Armutsbekämpfungspolitik vernetzt werden. Ich habe den Eindruck, dass die zuständigen Berliner Senatsverwaltungen eher nebeneinander oder gegeneinander als miteinander an schlüssigen und nachhaltigen Konzepten für die Stadtentwicklung arbeiten. Das schönste Quartier wird nichts nützen, wenn Eltern dort Schulen vorfinden, in die sie ihre Kinder nicht schicken wollen, und die besten Schulen nützen nichts, wenn es in der Umgebung keinen geeigneten Wohnraum für Familien gibt. In solchen Fragen braucht es ganzheitliche Lösungen. Ich würde mir wünschen, dass Berlin sein Augenmerk weniger auf architektonische Leuchturmprojekte und mehr auf die hilfebedürftigen und einkommensschwächeren Haushalte richtet.
MieterMagazin: Wie sehen Sie als Vorsitzender des BMV diesen Verein – gemessen an anderen Großstadtvereinen – positioniert?
Dr. Rips: Unter den 322 Mietervereinen in Deutschland nimmt der Berliner Verein ohne Frage eine herausragende Stellung ein. Seine Stärke liegt darin, dass er dezentral aufgebaut ist und damit in die Kieze hineinwirken kann, dass er in der Rechtsberatung eine absolute Professionalität an den Tag legt und gleichzeitig politisch sehr aktiv ist. Nichts ist aber so gut, das es nicht noch besser werden könnte. Mit meinen Vorstandskollegen Edwin Massalsky und Dr. Regine Grabowski sowie der Vereinsgeschäftsführung arbeite ich an einer Aktivierung der politischen Interessenvertretung. Eine weitere Aufgabe wird es sein, dass wir mittelfristig eine neue geeignete Hauptgeschäftsstelle für den Verein finden.
MieterMagazin: Anlässlich Ihrer Wahl zum BMV-Vorsitzenden wurden Bedenken geäußert, dass Sie mit Ihren Funktionen als Präsident des Deutschen Mieterbundes und als Vorsitzender des Berliner Mietervereins in Interessenkonflikte geraten könnten. Wie sehen Sie das?
Dr. Rips: Der Berliner Mieterverein und der Deutsche Mieterbund vertreten völlig deckungsgleiche Interessen – nämlich diejenigen der Mieterinnen und Mieter. Interessenkonflikte sind mir bisher nicht untergekommen. Im Gegenteil: Beide Seiten, Verein und DMB profitieren von der bestehenden Konstellation. Übrigens: Mir machen beide Ämter Freude.
MieterMagazin: Dr. Rips, wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Gespräch führten die MieterMagazin-Redakteure Udo Hildenstab und Reiner Wild.
MieterMagazin 10/08
„Das Augenmerk nicht auf architektonische Leuchtturmprojekte richten, sondern auf die hilfebedürftigen Haushalte.“Dr. Franz-Georg Rips im MieterMagazin-Gespräch
Fotos: Christian Muhrbeck
Das Gespräch führten die MieterMagazin-Redakteure Udo Hildenstab und Reiner Wild
Foto: Christian Muhrbeck
Die BMV-Vorstandsmitglieder Dr. Franz-Georg Rips, Dr. Regine Grabowski und Edwin Massalsky
Foto: Sabine Münch
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An der BMV-Spitze
Dr. Franz-Georg Rips wurde im Mai dieses Jahres zum Vorsitzenden des Berliner Mietervereins (BMV) gewählt. Der Jurist, der seit 1995 beim Deutschen Mieterbund tätig ist – zunächst als Bundesdirektor, seit 2007 als Präsident der Organisation – war maßgeblich daran beteiligt, dass die Dachorganisation der deutschen Mietervereine von Köln nach Berlin übersiedelte. Der 59-Jährige ist seit 2001 Mitglied des Berliner Mietervereins. Rips führt den BMV zusammen mit Edwin Massalsky und Dr. Regine Grabowski.
uh
09.07.2013