Berlin ist eine grüne Metropole. Doch die Stadt droht, ihren grünen Ruf zu verlieren. Der Baumbestand schrumpft seit Jahren, die Grünflächenämter haben kaum noch Geld und Personal, um die Parks in Ordnung zu halten, und die Bürger gehen teilweise erschreckend geringschätzig mit dem städtischen Grün um.
Die Grünanlagen leiden sehr unter dem großen Personal- und Geldmangel der bezirklichen Grünflächenämter. Für die Grünpflege erhalten die Bezirke vom Senat eine jährliche Mittelzuweisung, die sich nach der Größe der vorhandenen Grünflächen richtet. Die Innenstadtbezirke bekommen dabei einen höheren Satz pro Quadratmeter als die Außenbezirke, wo die Parks weniger intensiv beansprucht werden. Die Mittelzuweisungen des Senats sind aber nicht zweckgebunden. Jeder Bezirk kann also selbst entscheiden, ob er mehr oder weniger Geld für die Pflege der Grünanlagen ausgibt. Da die Grünflächen nur eine schwache Lobby haben, dient der Etat oft als „Steinbruch“, um anderswo Haushaltslöcher zu stopfen.
So hat Spandau für die Grünpflege nur 1,2 Millionen Euro im Jahr bereitgestellt. Baustadtrat Carsten-Michael Röding hält aber 1,5 Millionen Euro für notwendig. Sein Grünflächenamt hat noch 136 Mitarbeiter. Vor 15 Jahren waren dort 300 Leute beschäftigt. Ähnlich sieht es in Mitte aus. In den letzten zehn Jahren wurde die Belegschaft halbiert und der Etat auf 1,3 Millionen Euro zusammengestrichen.
Andere Bezirke haben die Pflege der Grünanlagen komplett an Fremdfirmen abgegeben und verfügen selbst nur noch über eine Rumpf-Mannschaft. „Von ehemals 500 Mitarbeitern habe ich noch zwölf“, klagt Rainer Sodeikat, der für die Grünflächenunterhaltung in Nord-Neukölln zuständig ist. Die Arbeit in den Parks wird dort fast ausschließlich von sogenannten Ein-Euro-Jobbern erledigt. Für die Grünpflege stehen in Nord-Neukölln 350 000 Euro zur Verfügung. „Davon gehen 150 000 Euro allein für die Müllentsorgung in der Hasenheide drauf“, rechnet Sodeikat vor. Die eigentliche Pflege kommt zwangsläufig zu kurz.
Kahlschlagpflege?
Immer wieder ist zu beobachten, dass Pflegearbeiten zwar selten, dafür aber umso radikaler ausgeführt werden – manchmal mit schlimmen Ergebnissen. So wurden im Januar im Britzer Akazienwäldchen die Sträucher nicht nur zurückgeschnitten, sondern knapp über dem Boden abgesägt. „Mit Pflegemaßnahmen dieser Art, unnötiger Laubbeseitigung und Wildkrautbekämpfung werden die gerade in der Innenstadt so nötigen Lebensräume für Stadtvögel abgeräumt“, kritisiert Christian Hönig, Baumschutzreferent beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).
Der Bezirk Pankow hat die Pflegemaßnahmen im Volkspark Prenzlauer Berg bewusst auf ein Minimum zurückgefahren. Die stark bewaldete Grünanlage wird weitgehend der Natur überlassen, was positive ökologische Effekte hat. Auf den Wiesen können Disteln, Kornblumen und Brennnesseln ungestört hüfthoch wachsen, Insekten und Vögel haben hier einen Lebensraum, der in der Stadt selten ist. Das funktioniert aber nur, weil der weitläufige Park etwas abseitig liegt und vergleichsweise wenig frequentiert wird.
Im Mauerpark wäre das unvorstellbar. Er ist der Prototyp eines Parks, der nicht mehr der ruhigen Erholung im Grünen dient, sondern immer mehr als Ort für Events aller Art wahrgenommen wird. Der wöchentliche Flohmarkt wächst langsam in den Park hinein, inoffizielle Konzerte und eine regelmäßige Karaoke-Veranstaltung ziehen Kiezbewohner und Touristen in Massen an. Der Hauptweg ist meist mit Scherben übersät, auf der Wiese haben es selbst robuste Gräser schwer, sich gegen die unzähligen festgetretenen Kronkorken durchzusetzen. Der Bezirk muss jährlich 100.000 Euro nur für die Reinigung des Mauerparks ausgeben.
Undenkbar ist in den Bezirken, aus eigenen Mitteln neue Grünanlagen zu schaffen oder auch nur Bäume zu pflanzen. Investitionen werden praktisch nur noch über Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen finanziert: Wenn für Bauvorhaben Bäume gefällt, Hecken gerodet oder Flächen versiegelt werden, müssen die Investoren nach dem Berliner Naturschutzgesetz entweder vor Ort für einen Ersatz sorgen oder eine Zahlung leisten.
Hecken und Büsche haben einen schweren Stand
Jede Neu- und Umgestaltung einer Grünanlage steht unter der Vorgabe: Pflegeleicht muss es sein. Hecken und Büsche haben deshalb in der heutigen Landschaftsplanung einen schweren Stand, ein dichter Baumbestand steht ebenfalls nicht hoch im Kurs. Aktueller Streitfall ist der Kleine Tiergarten in Moabit. Im Ostteil des schlecht gepflegten und teilweise verwilderten Parks sollen 100 Bäume gefällt, Sträucher ausgelichtet und die Hecken an den Parkrändern gerodet werden. Begründet wird das auch mit der Sicherheit: Dunkle Ecken sollen verschwinden. Nach dem gleichen Muster wird zurzeit der Westteil des Tiergartens umgestaltet, der benachbarte Ottopark hat diese Radikalkur bereits hinter sich. Die Naturschützer der Verbände NABU und BUND halten eine Neugestaltung des Kleinen Tiergartens zwar für notwendig, kritisieren aber in einer gemeinsamen Erklärung die aktuellen Pläne: „Im Ergebnis zeichnet sich eine übersichtliche Parkanlage ab, in der Sitzkübel wichtiger sind als stadtökologische Aspekte.“
Straßenbäume dagegen werden in der Regel nur gefällt, wenn der Baum krank und dessen Standfestigkeit nicht mehr gewährleistet ist. Dass mit einem Pflegeschnitt einzelne Bäume vielleicht doch noch länger stehen könnten, steht auf einem anderen Blatt. Sich um einen Baum intensiv zu kümmern, kostet Geld, seine vorzeitige Fällung spart schlicht Kosten. Laut aktuellem BUND-Baumreport hat Berlin von 2005 bis 2011 insgesamt 10.336 Straßenbäume verloren – allein deshalb, weil nicht für jeden gefällten Baum ein neuer gepflanzt wurde. Der Trend hat sich allerdings verlangsamt, und in den Bezirken Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg gibt es inzwischen mehr Nachpflanzungen als Fällungen.
Der Senat will mit der Kampagne „Stadtbäume für Berlin“ bis Ende 2017 erreichen, dass 10.000 zusätzliche Straßenbäume gepflanzt werden. 1000 Euro kostet ein neuer Baum, die Hälfte davon sollen Spender aufbringen. Und weil es heute eher funktioniert, sich mit einem konkreten Baum zu identifizieren als mit dem städtischen Allgemeingrün, kann man sich „seinen“ zukünftigen Baum auf einer Standortkarte im Internet aussuchen.
Dass den Spendern ihr Baum ans Herz wachsen wird, liegt auf der Hand. Wenn nun aber auch die Hundehalter, parkenden Autofahrer, Sperrmüllentsorger und Wintersalzstreuer umdenken könnten, wäre das so etwas wie eine kleine Alltagsrevolution in Berlin – und die Voraussetzung dafür, dass den Straßenbäumen ein längeres Leben beschieden ist. Denn nicht zuletzt haben die heißen Tage in diesem Sommer gezeigt, was unter anderem die Qualität dessen sein kann, was so schlicht als Straßenbegleitgrün bezeichnet wird: eine baumbestandene Straße ist um bis zu sechs Grad kühler als eine baumlose.
Jens Sethmann
MieterMagazin 10/13
Fotos: Nils Richter
Grünpflege heißt in den beliebten innerstädtischen Parks vor allem eines: Sauber machen (oben: Görlitzer Park, unten: Mauerpark)
10.000 Straßenbäume hat die Stadt in den letzten Jahren verloren – jetzt gibt es einen verstärkten Trend zu Neuanpflanzungen
Übersichtlich soll es sein: Ottopark in Moabit (oben), Umbau des Kleinen Tiergartens (unten)
Stadtbaumkampagne des Senats:
www.berlin.de/stadtbaum
Tel. 90 25-12 34
Initiative „10.000 neue Bäume für Berlin“ des BUND:
www.baeume-fuer-berlin.de
Tel. 78 79 00-58
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So grün ist Berlin
Berlin hat rund 3300 Grün- und Erholungsanlagen, vom kleinen Baulückenspielplatz bis zum Großen Tiergarten.
Sie nehmen fast 6300 Hektar ein – das entspricht sieben Prozent der Stadtfläche. Kleingärten, Friedhöfe und sonstige Grünanlagen nehmen noch einmal dieselbe Fläche ein. Berlin besteht damit zu 14 Prozent aus öffentlichen Grünanlagen. Die umfangreichen Wald-, Wasser- und Landwirtschaftsflächen, die zusammen 29 Prozent der Stadtfläche ausmachen, sind darin noch nicht eingerechnet. Die Berliner Stadtstraßen werden von 439.000 Bäumen gesäumt, rechnerisch sind das 82 Bäume pro Kilometer.
js
15.11.2013