Die DDR verfügte für ihre Bürger auch im Wohnungswesen Planwirtschaft und soziale Gleichheit: Wohnungen durften nur staatlicherseits vergeben werden, Mieten sollten für alle bezahlbar sein, die Einkommen nicht übers Wohnen entscheiden, kaum einem durfte gekündigt werden. Dazu startete sie 1973 ein großes Bauprogramm, das die Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990 lösen sollte. Als vor 25 Jahren die Mauer fiel, waren die Innenstädte marode – und viele Plattenbauten schon sanierungsbedürftig. Unsere Autorin erlebte das Wendejahr 1989 in einem Altbau im Bezirk Prenzlauer Berg.
Das Ziel unserer Wünsche lag in der Wichertstraße, Ecke Schönhauser, Vorderhaus, dritte Etage. Die Wohnung hatte 107 Quadratmeter, drei große Zimmer mit Flügeltüren, Stuck an der Decke, Balkon, eine Wohnküche – und vor allem ein Bad. Ich erinnere mich noch an den Jubel, als wir im Sommer 1986 die Zuweisung durch die Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) in den Händen hielten; sie kam uns vor wie ein Lotto-Gewinn. Dass die Fassade bröckelte, die Haustür kaputt war, der Belag im Treppenhaus Löcher hatte und es hier und dort durch das Dach tropfte, tat der Freude keinen Abbruch. Die Miete von 72 Mark der DDR spielte ohnehin keine Rolle. Aber endlich kamen wir mit den beiden Kindern aus der engen Zweizimmer-Hinterhofwohnung heraus.
Der Mangel an Wohnraum – er war bis zum Ende der DDR eines ihrer gravierendsten Probleme, das trotz staatlichen Verwaltungsmonopols, strikter Vergaberegeln und einem ehrgeizigen Wohnungsbauprogramm nie völlig gelöst werden konnte. Familien und erst recht Alleinstehende oder auch Geschiedene warteten in der Regel jahrelang auf eine größere oder auf eine eigene Wohnung. Dabei war die Ausgangsbasis nach dem Zweiten Weltkrieg im Osten noch besser gewesen als im Westen: „Drüben“ galten 21 Prozent der Wohnungen als völlig zerstört – im Osten waren es „nur“ 10 Prozent. Im Westen wuchs die Bevölkerung durch die Flüchtlingsströme in den Nachkriegsjahren um ein Viertel an, im Osten ging sie ab 1948 zurück.
Das Wohnen organisiert der Staat
Vielleicht waren gerade dies Gründe, dem Bau neuer Wohnungen in den 1950er Jahren keine große Priorität einzuräumen. Obwohl doch bereits im Juli 1950 ein Gesetz über den Aufbau der Städte in der DDR und der Hauptstadt Berlin erlassen wurde. Es vollzog einen entscheidenden Umbruch: Wohnungs- und Städtebau wurden Bestandteil der staatlichen Planwirtschaft. Bodenpreise wurden eingefroren und die Mietkosten auf den Stand von 1936 festgesetzt. Ein umfassender Mieterschutz ließ nur Eigenbedarf als Kündigungsgrund zu. Wohnungen wurden ab sofort von staatlichen Stellen vergeben.
Dass ein jeder DDR-Bürger das Recht auf eine Wohnung habe, war in der Verfassung festgeschrieben. Was aber nützte es, wenn außer einigen wenigen Prestigeobjekten wie beispielsweise in der Karl-Marx-Allee nicht gebaut wurde? Die Wohnungen dort gingen als Auszeichnungen an verdiente Arbeiter oder Funktionäre oder wurden auch über eine Aufbaulotterie verlost.
Die Investitionen im ersten Jahrzehnt der jungen Republik flossen erst einmal in den Ausbau der Industrie. Gerade deren Wachstum schrie jedoch bald nach neuen Wohnungen, denn schließlich sollten Tausende Arbeiter und ihre Familien nahe der Braunkohletagebaue oder den Metall- und Chemiestandorten untergebracht werden. Die Sanierung und der Ausbau bereits existierender Altstädte schien den Staatslenkern nicht geeignet; sie setzten von Anfang an auf Neubauten auf der grünen Wiese. Dort entstanden „sozialistische Wohnstädte“.
Gebaut wurde aber immer noch viel zu wenig: Im Jahr 1970 beispielsweise standen circa 76.000 neue Wohnungen einer Zahl von 600.000 Wohnungssuchenden gegenüber. Die kamen in der Regel aus Altbauten mit schlechtem baulichen Zustand: undichte Dächer, viele Wohnungen ohne Bad oder gar noch mit Außentoilette, zugige Fenster. Das Wohnungsbauprogramm von 1973, das massiv auf weiteren Neubau setzte, löste das Problem nicht. Zwar entstanden zwischen 1979 und 1989 fast eine Million neuer Wohnungen, aber die Folgen für die Stadtentwicklung waren gravierend: Innenstädte verfielen, die Wohnbevölkerung konzentrierte sich mehr und mehr auf die Stadtränder. Verständlich, dass immer mehr Menschen eine Neubauwohnung wollten. Verfügten diese doch über einen hohen Komfort: Fernwärmeversorgung, fließend kaltes und warmes Wasser, eine Einbauküche.
„Schwarzwohner“
„Die quantitative und qualitative Dimension des DDR-Wohnungsbaus sind kein Zufall, sondern politisch-ideologisch begründet und Ausdruck einer klaren gesellschaftspolitischenZielsetzung“, schrieben die Stadtsoziologen Hartmut Häußermann und Walter Siebel. Dazu gehörte, dass ein jeder seine Wohnung bezahlen konnte, niemand auf die Straße gesetzt werden durfte und Beruf, Einkommen und sozialer Stand nicht darüber entschieden, wo und wie jemand wohnte. Aber all dies hatte eben auch Folgen: Die mit den Jahren immer knapper werdenden Mittel erzwangen Einsparungen und führten zu mangelhaftem Bau. Die niedrigen Mieten machten Reparaturen oder gar vorausschauende Erhaltung der Substanz unmöglich. Eine Sanierung der Plattenbauten war ohnehin nicht vorgesehen.
Außerdem zwangen der permanente Mangel an Wohnraum und die rigide Vergabepraxis zum Ausweichen: Studenten, Künstler, Alternative zogen „schwarz“ in leerstehende und heruntergekommene Wohnungen beispielsweise in Mitte oder Prenzlauer Berg. Der alleinerziehenden Mutter zweier kleiner Kinder, der man eine Wohnung in Erkner zugewiesen hatte, obwohl sie doch in Mitte arbeitete, blieben nur Tauschgeschäfte über viele Ecken, um dichter an ihrem Betrieb zu wohnen und ihren Alltag managen zu können. Und die Wohnung wurde eben doch eine Ware, auch wenn sie nur illegal gehandelt werden konnte: horrende Abstandszahlungen wechselten von einer Hand in die andere.
An unserem Wohnhaus im Prenzlauer Berg ist in den Jahren bis zur Wende nie etwas repariert oder erneuert worden. Neidvoll sahen wir nach nebenan zum Arminplatz oder gar zur Husemannstraße und zum Kollwitzplatz. Hier hatte man tatsächlich begonnen, die Altbauten zu sanieren, die Plätze zu gestalten, wieder Geschäfte und sogar mal ein Café unterzubringen. Uns war klar: Es würden die Vorzeigeobjekte bleiben – an eine Sanierung der gesamten Altbauten im Bezirk Prenzlauer Berg war nicht zu denken.
Rosemarie Mieder
MieterMagazin 10/14
alle Fotos: dpa
Das Wohnungsproblem wollte die DDR fast ausschließlich durch Neubau auf der grünen Wiese lösen
DDR-Regierungschef Honecker vermeldete regelmäßig Erfolgszahlen im Wohnungsbau (hier anlässlich einer Kundgebung am Arkonaplatz 1984)
Die Altbauten in der DDR verfielen (hier die Knaackstraße im Bezirk Prenzlauer Berg)
Der erste DDR-Neubau war das Prestigeobjekt in der Stalinallee
Zum Thema
1989 lebte jeder Dritte im Plattenbau
1990 befanden sich 41 Prozent aller Wohnungen in der ehemaligen DDR in privater Hand. Darunter waren viele Altbauten in Großstädten. Etwa jede vierte Wohnung in der DDR war dringend renovierungsbedürftig, circa eine Million Wohnungen galten als nicht mehr sanierungsfähig. Als die Mauer fiel, lebte jeder Dritte im Osten in einer Plattenbauwohnung. In der Bundesrepublik war es nur jeder Sechzigste.
rm
Zum Thema
Und so ging es weiter …
Nach der Wiedervereinigung meldeten sich die Vermieter unseres Wohnhauses in der Wichertstraße. Eine Erbengemeinschaft aus Hamburg hatte den einstigen Familienbesitz zurückerhalten und kündigte sofort eine grundlegende Sanierung an: Nach und nach wurden alle Installationen erneuert, Treppenhäuser und Fassaden renoviert, Fenster und Türen gestrichen – vor allem aber das Dach zu einem Wohngeschoss ausgebaut. Irgendwann hatte das Haus seine alte Gründerzeitschönheit fast zurück erhalten. Die Miete war in der Zeit auf ein Vielfaches gestiegen. Statt 72 Mark der DDR zahlten wir schließlich Ende der 1990er Jahre knapp 600 DM. Dennoch sind die meisten geblieben; einige der Mieter wohnen auch heute noch im Haus. Wir zogen 2001 fort von der lauten Ecke nach Biesdorf.
rm
07.11.2014