Der Kompromiss zwischen der Initiative Mietenvolksentscheid und dem Senat ist nun auf dem Wege, Gesetz zu werden. Berlin verpflichtet sich darin zu einer Wohnungspolitik, die die Einkommensschwächeren wieder mehr berücksichtigt. Direkt betroffen sind die circa 125.000 Sozialwohnungen und die rund 290.000 Wohnungen der landeseigenen Wohnungsunternehmen. Für Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel ist der Kompromiss ein „Meilenstein“.
Am direktesten profitieren Sozialmieter mit geringen Einkommen. Sie müssen künftig nicht mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Nettokaltmiete ausgeben, sofern die Wohnung nicht zu groß ist. Welche Wohnfläche als angemessen gilt, wird zugunsten der Mieter verändert. So gelten für einen Zweipersonenhaushalt 65 Quadratmeter als angemessen. Gezahlt wird höchstens ein Zuschuss von 2,50 Euro pro Quadratmeter. Der Senat rechnet damit, dass 22.600 Haushalte den Mietzuschuss bekommen. Insgesamt sind 40 bis höchstens 45 Millionen Euro pro Jahr dafür eingeplant.
Energiekosten werden jetzt berücksichtigt
Der Berliner Mieterverein (BMV) bemängelte den Bezug auf die Nettokaltmiete. „Eine Kappung bei 30 Prozent Nettokaltmiete bedeutet, dass man den Mietern fast 50 Prozent Warmmietenbelastung zumutet. Die zugemutete Sozialmiete liegt, bevor die Härtefallregelung greift, zum Teil bei mehr als 5 Euro pro Quadratmeter nettokalt. Das ist immer noch kein Sozialer Wohnungsbau“, erklärte Reiner Wild vom BMV.
Die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen werden nicht in Anstalten öffentlichen Rechts umgewandelt. Allerdings wird ihre Aufgabe, preisgünstigen Mietwohnraum zu bieten und besonders benachteiligte Haushalte mit Wohnraum zu versorgen, im Gesetz festgeschrieben. Es wird eine neue Anstalt öffentlichen Rechts gegründet, die Leitlinien für die Wohnungsbaugesellschaften entwickelt und deren Einhaltung kontrolliert. Sie hat ein Vetorecht und kann somit auch Wohnungsverkäufe verhindern. Bei jeder Wohnungsbaugesellschaft wird ein Mieterrat eingerichtet, aus dessen Reihen je ein Sitz im Aufsichtsrat besetzt wird.
Bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen müssen die Städtischen mindestens 55 Prozent an Mieter mit Wohnberechtigungsschein (WBS) vergeben. 20 Prozent davon sind für besondere Fälle wie Obdachlose oder Flüchtlinge reserviert. Allein an einer negativen Schufa-Auskunft darf eine Anmietung künftig nicht mehr scheitern. Zwangsräumungen sollen so weit wie möglich vermieden werden.
Die Wohnungsbaugesellschaften werden keine Gewinne mehr an das Land abführen. Im Gegenteil: Sie erhalten in den kommenden fünf Jahren eine Eigenkapitalerhöhung um 300 Millionen Euro. Sie sollen damit gezielt Sozialwohnungen zum Verkehrswert ankaufen und neue Wohnungen bauen. In ihren Neubauten sollen 30 Prozent Sozialwohnungen entstehen. „Viel zu wenig“, meint der BMV.
Die Neubauförderung ist der größte Posten im Gesetzentwurf. Der Senat verdreifacht die Fördersumme auf 192 Millionen Euro pro Jahr. Ab 2017 sollen damit jährlich 3000 Sozialwohnungen gebaut werden. Zudem wird die Modernisierung von 1000 Wohnungen pro Jahr gefördert.
Auf das Land Berlin kommen insgesamt für die Jahre 2016 bis 2020 Kosten in Höhe von 1,4 Milliarden Euro zu. Der Anteil von 200 Millionen Euro, der für die Mietzuschüsse in den 125.000 Sozialwohnungen vorgesehen ist, steht für den BMV in einem Missverhältnis zur Neubauförderung, bei der in fünf Jahren mit 900 Millionen Euro 14.500 Sozialwohnungen geschaffen werden.
Trotz der großen Verbesserungen hält es der BMV grundsätzlich für einen Fehler, dass die Vermieter nicht an der Finanzierung des Mietenkonzepts beteiligt werden. Der BMV fordert weiterhin eine politisch festgelegte Richtsatzmiete, die für jedes einzelne Gebäude des Sozialen Wohnungsbaus genau beziffert ist.
Jens Sethmann
Experten statt Wirrköpfe
Nachdem die Initiatoren des Mietenvolksbegehrens locker mehr als doppelt so viele Unterschriften wie benötigt gesammelt hatten, nahm die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit ihnen Verhandlungen auf. Ziel war ein Kompromiss, um eine Volksabstimmung zu vermeiden. Die Annäherung war zunächst schwierig. „Wir haben gedacht, das sind Wirrköpfe“, bekennt Senator Geisel, „aber wir haben gelernt: Das sind Experten.“ Im August kam eine Einigung zustande. Der Senat brachte das Gesetz im September auf den Weg. Am 8. Oktober soll es im Abgeordnetenhaus behandelt und im November beschlossen werden. Am 1. Januar 2016 könnte das Gesetz in Kraft treten – ein Jahr früher als dies möglich gewesen wäre, wenn man den Volksentscheid durchgeführt hätte.
js
16.12.2015