ACHTUNG:
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.4.2021 den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt – mit rechtlichen Folgen für Mieterinnen und Mieter.Was Mieterinnen und Mieter jetzt wissen müssen
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
Die hier folgenden Hinweise zur Nutzung des Mietendeckels sind damit überwiegend hinfällig.
Neun Monate, nachdem das Gesetz über die Mietbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) am 23. Februar verabschiedet wurde, tritt die nächste Stufe des Mietendeckels in Kraft: Ab dem 23. November werden überhöhte Mieten gesenkt. Vermieter müssen auch in laufenden Mietverhältnissen von sich aus die Mieten reduzieren, wenn diese die festgeschriebenen Obergrenzen um mehr als 20 Prozent überschreiten. Da abzusehen ist, dass viele Vermieter dieser Verpflichtung nicht nachkommen werden, sollten Mieter jetzt prüfen, ob sie einen Anspruch auf Mietsenkung haben, und sich dafür rüsten, diesen Anspruch mit Hilfe des Berliner Mietervereins (BMV) und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen durchzusetzen.
Der am 23. Februar 2020 in Kraft getretene Mietendeckel hat bisher die Mieten eingefroren, Mieten nach Modernisierung und Wiedervermietung gekappt. Er gilt fünf Jahre lang für rund 1,5 Millionen freifinanzierte Wohnungen. Das sind mehr als 90 Prozent aller Berliner Mietwohnungen. Ausgenommen sind Sozialwohnungen und Wohnungen, die mit öffentlichen Fördergeldern modernisiert und instandgesetzt worden sind, denn für sie gelten gesonderte Preisbindungen. Auch für Wohnheime, Trägerwohnungen und Neubauten ab 2014 gilt der Mietendeckel nicht.
Am 23. November 2020 tritt die nächste Stufe des Mietendeckels in Kraft. Überhöhte Mieten sind dann verboten und müssen abgesenkt werden. „Das ist ein wichtiger Bestandteil des Mietendeckels“, erklärt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. „Damit wird ermöglicht, dass vor allem die hohen Mieten bei Vertragsabschluss in den letzten Jahren zum Teil korrigiert werden können.“
So benutzen Sie die Tabelle
Als überhöht gilt eine Miete, die mehr als 20 Prozent über der Obergrenze der Tabelle liegt (siehe Seite 16 oben). Dabei ist auch die Wohnlage zu betrachten. In einer einfachen Wohnlage werden von den Tabellenwerten 0,28 Euro pro Quadratmeter abgezogen, in mittlerer Wohnlage beträgt der Abschlag 0,09 Euro, in guter Wohnlage ist ein Zuschlag von 0,74 Euro hinzuzurechnen. Zur Wohnlageneinordnung gilt voraussichtlich das Straßenverzeichnis des Berliner Mietspiegels 2019.
Alle Umstände, die man wissen muss, um nach der Tabelle die Mietobergrenze seiner Wohnung zu ermitteln – also Baualter, ob eine Modernisierung stattgefunden hat und ob eine moderne Ausstattung im Sinne des Gesetzes vorliegt – musste jeder Vermieter bis zum 23. April seinen Mietern mitteilen. Etliche Mieter haben diese Auskunft nicht bekommen. Aber dadurch verliert kein Mieter seinen Anspruch auf eine Mietsenkung.
Liegt beispielsweise der Oberwert für eine Wohnung unter Berücksichtigung von Lage, Modernisierung und Ausstattung bei 7,00 Euro pro Quadratmeter, dann gilt eine Miete über 8,40 Euro als überhöht (7,00 Euro plus 20 Prozent) und kann auf 8,40 Euro abgesenkt werden. Am einfachsten kann man mit dem Mietendeckelrechner des Berliner Mietervereins online herausfinden, ob man einen Anspruch auf Senkung hat.
Der Vermieter muss von sich aus die Miete senken
Die Mietreduzierung greift taggenau am 23. November, also nicht erst mit der Mietzahlung für Dezember, sondern anteilig auch schon für die November-Miete. Der Vermieter muss von sich aus die Mieten verringern. Denn der Mietendeckel ist als Verbotsgesetz formuliert. Weil der Mietendeckel eine öffentlich-rechtliche Mietenbegrenzung ist, kann die Senatsverwaltung als Ordnungsbehörde Maßnahmen ergreifen, um den Vermieter zur Absenkung überhöhter Mieten zu bewegen.
Das heißt nun nicht, dass Mieter untätig bleiben sollen. Wenn der Vermieter eine überhöhte Miete nicht von sich aus auf die zulässige Höhe absenkt, sollte man die Senatsverwaltung informieren. Diese kann Auskunft über die zulässige konkrete Miethöhe erteilen. Für eine mögliche zivilrechtliche Auseinandersetzung mit dem nicht senkungswilligen Vermieter ist das sehr hilfreich. Die Senatsverwaltung kann aber auch einen „Verwaltungsakt erlassen“. Wenn dieser beim Vermieter eingeht, ist die Miete von Amts wegen gesenkt. Bei Verstößen kann die Verwaltung Geldbußen bis zu 500.000 Euro verhängen.
Mieter können selber die Initiative ergreifen
Die Mieter haben also die Behörden im Rücken. Es ist allerdings kaum abzuschätzen, wie schnell die Verwaltung ab November die Fälle bearbeiten kann. Mieter müssen nicht unbedingt deren Reaktion abwarten. Sie haben zwei Möglichkeiten. Die erste: Ein Mieter kann seinen Vermieter direkt zur Senkung der Miete auffordern und im Falle einer Ablehnung vor dem Amtsgericht auf Feststellung der zulässigen Miete und Rückzahlung der bisher zuviel bezahlten Miete klagen. Der Nachteil dabei ist, dass man vorläufig weiterhin die überhöhte Miete zahlt – wenn sich das Gerichtsverfahren hinzieht, möglicherweise über eine lange Zeit. Der Vorteil ist, dass man keine Kündigung wegen eines vermeintlichen Mietzahlungsrückstandes riskiert.
Die zweite Möglichkeit: Der Mieter senkt die Mietzahlung selbst auf den zulässigen Betrag. Wenn der Vermieter das nicht akzeptiert, muss dieser vor Gericht ziehen und seinerseits die vermeintlichen Fehlbeträge einklagen. Solange das Bundesverfassungsgericht noch nicht über die Zulässigkeit des Mietendeckels entschieden hat, dürfte auch hier keine Kündigung wegen des Zahlungsverzuges durchzusetzen sein. Mieter sollten aber bei dieser Variante vorsorglich für den Fall, dass der Mietendeckel scheitert, die eingesparte Miete zurücklegen. Welcher Weg sinnvoller ist, sollte im Einzelfall in einer Rechtsberatung beim BMV geklärt werden.
Viele Mieten werden deutlich günstiger
Der Bundesverband Freier Wohnungsunternehmen (BFW) meint, dass für 31 Prozent der Wohnungen die Mieten ab November gesenkt werden müssen. Im Schnitt beträgt die Absenkung 92 Euro im Monat je Wohnung. Das entspricht 1,40 Euro pro Quadratmeter. Diese Zahlen lassen sich nicht direkt auf den gesamten Berliner Wohnungsbestand hochrechnen, da im BFW vor allem größere profitorientierte Unternehmen organisiert sind, während die im Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) zusammengeschlossenen ehemals gemeinnützigen Gesellschaften und Genossenschaften sowie die bei Haus & Grund organisierten Kleinvermieter tendenziell etwas niedrigere Mieten verlangen und daher auch weniger von der Mietsenkung betroffen sein dürften.
In jedem Fall wird die Mietensenkung dazu führen, dass vor allem in der Innenstadt, wo die Mieten in den letzten Jahren explodiert sind, die gröbsten Exzesse abgemildert werden und dass sich auch wieder Normalverdiener und Familien leisten können, in Friedrichshain, Charlottenburg oder Schöneberg zu wohnen.
Jens Sethmann
Mietendeckel: Was bisher schon gilt
Der Mietendeckel trat am 23. Februar 2020 in Kraft. Zunächst wurden die Nettokaltmieten auf dem Stand vom 18. Juni 2019 eingefroren. Erst ab Januar 2022 können wieder Mieterhöhungen in Höhe der Inflationsrate zulässig werden, maximal aber um 1,3 Prozent und nur bis zu den Obergrenzen.
Auch beim Abschluss eines neuen Mietvertrages darf die Miete nicht höher als die Miete sein, die ein Vormieter am 18. Juni 2019 gezahlt hat. Gleichzeitig dürfen die Obergrenzen des Mietendeckels nicht überschritten werden. Sie liegen nach Ausstattung und Baujahr zwischen 3,92 und 9,80 Euro pro Quadratmeter. Für Wohnungen mit moderner Ausstattung (bei Vorliegen definierter Merkmale) wird ein Zuschlag von 1 Euro pro Quadratmeter gewährt. Liegt die vom Vormieter gezahlte Miete über der MietenWoG-Obergrenze, gilt die Obergrenze als höchstzulässige Miete. Der neue Mieter zahlt dann weniger als der vorherige.
Die Modernisierung hat Grenzen
Modernisierungen dürfen die Nettokaltmiete jetzt höchstens um 1,00 Euro pro Quadratmeter ansteigen lassen. Zugelassen sind nur Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur Barrierenbeseitigung, zum Beispiel der Einbau einer neuen Heizanlage, der Austausch von Fenstern, das Anbringen einer Wärmedämmung oder der Anbau eines Aufzugs.
js
Mietendeckel unter juristischem Beschuss
Gegen den Berliner Mietendeckel haben Bundestagsabgeordnete von CDU und FDP Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie sind zusammen mit den Vermieterverbänden der Meinung, der Mietendeckel verstoße gegen das Grundgesetz, weil erstens das Mietrecht Bundessache sei und das Land Berlin nicht zuständig wäre. Zweitens seien die Mietenbegrenzungen ein zu starker Eingriff in das Eigentumsrecht der Vermieter.
Eingriff ins Eigentumsrecht ist verhältnismäßig
Der Berliner Senat und der Berliner Mieterverein sind hingegen zuversichtlich, dass der Mietendeckel von den Karlsruher Richtern bestätigt wird. Sie sind der Überzeugung, dass das Land eine öffentlich-rechtliche Mietenbegrenzung einführen darf, denn die Zuständigkeit für das Wohnungswesen ist mit einer Grundgesetzänderung von 2006 den Ländern übertragen worden. Mit Zahlen zu den fehlenden Wohnungen, den hohen Mietbelastungen der Haushalte und den drastischen Verwerfungen auf dem Mietmarkt ist zudem die Notwendigkeit einer Mietenregulierung bestens begründet. Der Eingriff in das Eigentumsrecht der Vermieter ist deshalb nicht unverhältnismäßig.
Das Bundesverfassungsgericht wird voraussichtlich im zweiten Quartal des nächsten Jahres entscheiden.
Die Rechtsprechung der Berliner Gerichte ist uneinheitlich. Von den fünf Zivilkammern des Landgerichts Berlin, die für Berufungen in Wohnungsmietfragen zuständig sind, haben die 65. und die 66. Kammer ausdrücklich keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Mietendeckels. Von der 63. und 64. Kammer liegen dazu keine Urteile vor. Lediglich die 67. Kammer hält das Gesetz für grundgesetzwidrig und hat es zur Prüfung an das Bundesverfassungsgericht weitergereicht.
Die meisten Amtsrichter entscheiden zugunsten der Mietendeckelung
Die Amtsgerichte, bei denen Mietstreitigkeiten immer zuerst landen, gehen mit der Situation in unterschiedlicher Weise um. Die meisten Amtsrichter haben keine Bedenken gegen den Mietendeckel und wenden ihn bisher so an, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt. Nur wenige stellen sich offen gegen den Mietendeckel. Würde ein Amtsrichter das Gesetz für verfassungswidrig halten, müsste er ebenso wie die 67. Kammer des Landgerichts das Verfassungsgericht anrufen. Einige Richter sparen sich den Aufwand und stellen Mietendeckel-Verfahren zurück, bis das Bundesverfassungsgericht die ihm ohnehin schon vorgelegte Frage beantwortet. Das hat leider zur Folge, dass nicht wenige Gerichtsprozesse, die sich mit dem Mietendeckel beschäftigen, liegen bleiben und sich unnötig in die Länge ziehen.
Für eine anhaltende Verunsicherung sorgt auch das Phänomen der sogenannten Schattenmieten. Bei der Wiedervermietung werden in den meisten Wohnungsanzeigen zwei Miethöhen genannt: eine, die den Regeln des Mietendeckels entspricht, und eine meist viel höhere Miete, die der Vermieter für den Fall verlangt, dass der Mietendeckel vor Gericht scheitert oder ausläuft. Manche Vermieter wollen sich auf diese Weise auch rückwirkend Mietnachzahlungen sichern. Der Eigentümerverband Haus & Grund meint, es sei nicht verboten, eine höhere Miete in den Mietvertrag zu schreiben, solange nur eine mietendeckel-konforme Miethöhe tatsächlich verlangt wird. Deshalb empfiehlt die Organisation ihren Mitgliedern ausdrücklich, so vorzugehen.
Wohnungssuchende werden dadurch allerdings abgeschreckt – die Vermieter wollten ihnen zu verstehen geben, dass sie sich nicht auf den Mietendeckel verlassen können und sich im Zweifelsfall auch die höhere Miete müssen leisten können. Nach Ansicht des BMV verstößt dieses Vorgehen sowohl gegen das MietenWoG als auch gegen die im BGB geregelte Klauselkontrolle für Allgemeine Geschäftsbedingungen.
Etliche Verfahren ziehen sich unnötig in die Länge
Gerichte haben allerdings noch nicht darüber entschieden, ob Schattenmieten bei Wiedervermietung zulässig sind. Im Juli urteilte das Landgericht Berlin, dass einer Mieterhöhung in einem laufenden Mietverhältnis gegebenenfalls zugestimmt werden muss (LG Berlin vom 15. Juli 2020 – 65 S 76/20), ohne dass allerdings die Zahlung gefordert werden kann. Anderer – mieterfreundlicherer – Auffassung ist die 66. Kammer des Landgerichts in einer Entscheidung über eine Mieterhöhung nach dem Gesetzesinkrafttreten. Die Umstände sind zwar etwas anders als bei den Schattenmieten, die so häufig in neu abgeschlossene Mietverträge hineingeschrieben werden, „aber es steht zu befürchten, dass die 65. Kammer auch bei einer Neuvermietung die Schattenmiete für zulässig erklärt“, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild.
Selbst wenn der Mietendeckel im Ganzen für verfassungswidrig erklärt werden sollte, heißt das nicht unbedingt, dass er auch rückwirkend ungültig wird. Damit Mieter allerdings auf der sicheren Seite sind, empfiehlt der Berliner Mieterverein, die eingesparten Mietbeträge zur Seite legen, um sie im schlimmsten Fall nachzahlen zu können.
js
23.09.2021