Vom „Kreuzberger Ekel-Haus“ und einem Slum in Top-Lage sprach die Presse angesichts der haarsträubenden Zustände einiger Hochhäuser am Mehringplatz. Die Mieter wollen das nicht länger hinnehmen und haben sich im Herbst 2019 zur Mieterinitiative „Mehringplatz West – Es reicht!“ zusammengeschlossen. Das MieterMagazin sprach mit Christa Hartmann, Hendrikje Herzberg und Axel Grau über ihr Anliegen.
MieterMagazin: Eine Rattenplage, verwahrloste Treppenhäuser, ein leerstehendes Parkhaus, in dem sich Dealer und Obdachlose breit machen – all das gibt es schon seit Jahren. Was war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat?
Axel Grau: Als unsere Mieterkeller wieder mal unter Wasser standen und die toten Ratten zwischen unserem Hab und Gut schwammen, war mir klar: Wir müssen etwas tun, denn die Hausverwaltung macht nichts. Wenn wir nicht das Gesundheitsamt eingeschaltet hätten, das die Keller umgehend sperren ließ, wäre vermutlich bis heute nichts passiert. Und das Schlimme ist: Diese systematische Vernachlässigung strahlt in die Umgebung aus. Der ganze Kiez verslumt allmählich.
MieterMagazin: Innerhalb kurzer Zeit sind Sie eine schlagkräftige Truppe geworden. Wie ist das gelungen?
Christa Hartmann: Wir hatten das Glück, eine Art Coach zu haben, den Mieterbeirat Karl-Marx-Allee. So konnten wir bestimmte Fehler vermeiden und schnell eine innere Organisationsstruktur aufbauen. Im Januar haben wir dann eine Mieterdemo mit Kiezspaziergang auf die Beine gestellt. Das löste ein beachtliches Presseecho aus, und unsere Hausverwaltung, die BauGrund, wurde aufgeschreckt. Öffentlicher Druck ist sehr wichtig.
Hendrikje Herzberg: Wir haben uns schnell entschlossen, einen Stab zu bilden, den wir Steuerungsrunde genannt haben. Man kann nicht immer alle einbeziehen, aber wir wollen alle auf dem Laufenden halten. Wir treffen uns 14-tägig – seit Corona zur Videokonferenz – und verschicken regelmäßig Infobriefe. Durch den Status als Sanierungsgebiet haben wir mit der ASUM eine kostenlose Mieterberatung an unserer Seite. Ohne die wären wir völlig hilflos. Alles muss erkämpft werden. Und wir haben uns inzwischen eine gute Vernetzung in die Verwaltung erarbeitet, etwa zum Gesundheits- und Wohnungsamt.
MieterMagazin: Sie haben eine Liste mit 32 Forderungen erstellt, vor allem zur Behebung der vielen Mängel. Können Sie erste Erfolge verbuchen?
Axel Grau: Ja. So wurde der Wachschutz in den Gebäuden wieder eingesetzt. Seitdem ist es etwas sauberer geworden. Einige der Mängel, etwa am Dach, werden nun endlich in Angriff genommen. Allerdings befürchten wir, dass es nur darum geht, die Häuser aufzuhübschen.
Christa Hartmann: Man rennt allerdings immer gegen Wände – und das ist gewollt. Das Mieterwohl interessiert die Eigentümer nicht. Im Fokus steht die Rendite, und die wird nicht über die Miete erzielt, sondern über die Spekulation mit Boden. Seit 2012 hat sich der Bodenwert in dieser Lage um das Zehnfache erhöht. Das heißt, unsere Eigentümer werden reich durch Nichtstun. Ihr komplexes Konstrukt ist nichts anderes als ein Steuervermeidungsmodell.
Hendrikje Herzberg: Das Ziel kann daher nur die Kommunalisierung der Wohnhäuser sein. Wir haben jetzt Unterschriften für einen entsprechenden Hilferuf gesammelt, den wir dem Bezirk, dem Senat und dem Regierenden Bürgermeister übergeben wollen.
Interview: Birgit Leiß
Pfusch im Wasserschlösschen
Die rund 330 Wohnungen und 40 Gewerbeeinheiten in der Wilhelmstraße 2-6, Friedrichstraße 245-246 und Mehringplatz 12-14 entstanden Anfang der 1970er Jahre im freifinanzierten Wohnungsbau. Bauunternehmer Heinz Mosch, mit dessen Namen einer der größten Bauskandale im West-Berlin der 1970er verbunden ist, hat offenbar wenig Wert auf Qualität gelegt. Rohrbrüche, Schimmel und überflutete Keller sind fast an der Tagesordnung. Scherzhaft wird die Wohnanlage daher auch Wasserschlösschen genannt. Eigentümer ist seit 2012 ein Immobilienfonds, der alle paar Jahre seinen Namen ändert, aktuell ist es die SEF Select Evolution 1 S.à.r.l. mit Sitz in Luxemburg.
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Website der Mieterinitiative:
https://mehringplatzwest.wordpress.com
oder www.mehringplatzwest.de
Das MieterMagazin stellt an dieser Stelle in lockerer Folge Nachbarschafts- und Quartiersinitiativen vor.
22.09.2020