Bei den Sanierungen der 1970er und 80er Jahre wurden Innenhöfe entkernt, um für die Bewohner der dicht besiedelten Altbauviertel Spielplätze und Freiflächen anzulegen. Heute geht der Trend in die umgekehrte Richtung. Ein Beispiel aus Kreuzberg.
„Während des ersten Lockdowns war der Garten unsere Rettung“, sagt eine der Bewohnerinnen des Hauses Taborstraße 9. „An Ostern saßen wir hier alle mit Abstand zueinander beisammen, die einen mit einem Buch, die anderen mit dem Laptop.“ Keine der Wohnungen im Haus hat einen Balkon, und der nahegelegene Görlitzer Park war schon vor der Corona-Zeit übernutzt. Die grüne Oase im Innenhof, die vor Jahrzehnten von Hausbewohnern angelegt worden war, hat für die Mieter daher einen unschätzbaren Wert. Doch schon bald werden hier die Bagger anrücken und alles platt machen.
Dass ihr Idyll für einen Neubau mit drei freifinanzierten Wohnungen à 50 Quadratmeter Wohnfläche zerstört wird, macht die Mieter fassungslos. Schon jetzt seien die unteren Wohnungen durch die enge Bebauung recht dunkel.
Beim Eigentümer, der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft, glaubt man dagegen, dass sich die Wohnqualität durch den Neubau für die Bestandsmieter „enorm steigert“. Der Neubau werde eine Dachbegrünung erhalten, zudem will man eine bisher noch versiegelte Fläche im Hof in eine Grünfläche umwandeln, erklärt die Sprecherin des katholischen Unternehmens. Doch weder für die Mieter noch für den Klimaschutz ist das ein adäquater Ersatz für einen Garten mit altem Baumbestand.
Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen) sagt, man habe dem Eigentümer die Baugenehmigung nicht verweigern können. Das Vorhaben sieht er kritisch: „Seit der vorgeschriebene Mindestabstand in der vorletzten, rot-roten Koalition auf das 0,4-fache der Gebäudehöhe gesenkt wurde, sehen wir eine zunehmende Nachverdichtung in den Hinterhöfen, die wieder in Richtung der Gründerzeitdichten geht.“ Um die grünen Höfe zu schützen, müssten die Mindestabstandsflächen in der Bauordnung deutlich erhöht werden, meint Schmidt.
Birgit Leiß
www.lumbricus.world/2021/03/05/innenverdichtung-muss-doppelt-sein/
20.09.2021