Nicht nur öffentliche Parks und Grünanlagen, auch die Grünflächen in Wohngebieten müssen für den Klimawandel fit gemacht werden. Bei der Pflege ist weniger oft mehr – was bei allen Beteiligten ein Umdenken erfordert.
Ortsbesuch in der Bergaustraße in Treptow. Zwischen den Häuserblocks aus den 1960er Jahren ist viel Grün. Zwei der Wiesenflächen sind eingezäunt, „Naturbelassene Blühwiese“ steht auf dem Schild. Das Pilotprojekt zur klimakompatiblen Pflege von Grünflächen wurde von Dr. Katrin Sell initiiert. Sie wohnt seit 2009 in der dortigen Genossenschafts-Siedlung und hatte sich, wie viele andere Mieter auch, über das dauernde Mähen geärgert. Im Hitzesommer 2018 hatten sich die grünen Wiesen in staubige Steppen verwandelt. Daraufhin schrieb sie einen Brief an den Vorstand der Genossenschaft – „das bringt mehr als eine E-Mail oder ein Anruf“, so ihre Erfahrung. Der Vorstand lud zum Gespräch und ließ sich trotz einiger Skepsis auf ein Experiment ein.
Knapp vier Jahre später führen Katrin Sell und Dr. Antje Jakupi von der Stiftung Naturschutz Berlin über die beiden Wiesen und zeigen begeistert auf Acker-Goldstern, Sand-Grasnelke und all die anderen Pflanzenarten. 67 wurden gezählt, darunter mehrere, die auf der Roten Liste bedrohter Arten stehen. „Dass eine Rasenfläche in einem Wohngebiet eine größere Artenvielfalt aufweist als viele Wiesen in einem Naturschutzgebiet, ist doch erstaunlich!“, freut sich die Biologin Antje Jakupi. Erreicht wurde das ganz ohne Gießen und Aussäen. Einfach wachsen lassen sei das Geheimnis. Was dann nach und nach aus der alten Rasenfläche sproß und aufblühte, überraschte selbst die Expertin. Das vorhandene unterirdische Wurzelsystem war nicht tot, nur wurden durch das Mähen immer wieder die natürlichen Wachstumszyklen unterbrochen.
Anfänglich enttäuschte Mieter
„Ganz wichtig war die Expertise von außen“, sagt Initiatorin Katrin Sell. Mit der Stiftung Naturschutz im Boot ließ sich die Genossenschaft damals viel leichter überzeugen. Heute steht sie voll hinter dem Projekt. Bei der Mieterschaft sind die Meinungen dagegen geteilt. „Viele hatten sich eine fette Alpenwiese vorgestellt und waren zunächst enttäuscht“, erzählt Sell. Auch für sie selber sei es ein Lernprozess gewesen, die kleinen, recht unscheinbaren Wildblumen schätzen zu lernen.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das im Mai 2022 gestartete Projekt „Städtisch Grün“ der Gewobag. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft musste sich erstmals 2018 intensiver mit den Folgen der zunehmenden Trockenheit beschäftigen. „Um die Rasenflächen schön grün zu halten, müsste man ab April sprengen“, erklärt Vorstandsmitglied Snezana Michaelis. Doch das sei zu teuer und nicht nachhaltig. Mit Grundwasser muss bekanntlich sparsam umgegangen werden. In den kommenden drei Jahren will man nun in der Charlottenburger Paul-Hertz-Siedlung ausprobieren, wie man die Flächen so anlegen kann, dass sie dauerhaft klimaneutral sind und bezahlbar bleiben.
Kooperationspartner ist auch hier die Stiftung Naturschutz. Die Paul-Hertz-Siedlung wurde ausgewählt, weil sich hier viele Mieter seit Jahren in der „AG Grün“ engagieren und weil es hier eine große Vielfalt an Flächen gibt. Im Wesentlichen geht es nicht um die Aussaat neuer Pflanzen, sondern um geänderte Pflegemaßnahmen. Acht „Starterflächen“ wurden eingerichtet, wo seltener gemäht wird und das Laub liegen bleibt. Die Erkenntnisse aus dem laut Gewobag „deutschlandweit einmaligen Pilotprojekt“ sollen dann auch auf andere Grünflächen übertragen werden. Insgesamt hat die Gewobag 2 Millionen Quadratmeter Grünflächen im Bestand – da lässt sich einiges bewegen, so Michaelis: „Städtisch Grün ist ein Baustein im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsstrategie.“ Doch die aktiven Mieter aus der AG Grün sind skeptisch. Zum einen sehen die Starterflächen derzeit noch wenig attraktiv aus, zum anderen wird befürchtet, dass sich die Kaninchenplage durch das seltenere Mähen noch verstärken könnte.
Das Umdenken kommt in Gang
Man müsste akzeptieren, dass es auch mal „etwas mickriger“ aussieht, meint Regina Otters von der Stiftung Naturschutz. Bei einem Projekt zur Artenvielfalt in Tempelhof, das die Stiftung mit der Genossenschaft Märkische Scholle durchgeführt hat, habe es am Anfang auch Bedenken gegeben. Jetzt würden manchmal Leute auf dem Balkon stehen und ausrufen: „Das ist ja richtig schön geworden!“ Die Naturschutzexpertin registriert ein allmähliches Umdenken, bei der Mieterschaft ebenso wie bei den Wohnungsunternehmen. Ein großes Problem seien Dumping-Preise und unqualifizierte Mitarbeiter bei den Grünpflegefirmen.
Wohnungsunternehmen interessiert in erster Linie die preisgünstigste Pflege ihrer Grünflächen – und das ist selten die ökologischste. Doch allmählich findet eine Sensibilisierung statt. So hat das Wohnungsunternehmen Heimstaden im Mai dieses Jahres zusammen mit dem Verein Stadtbienen e.V. eine Wildblumenwiese mit insektenfreundlichen Pflanzen in der Tempelhofer Hoeppnerstraße angelegt. Ein weiteres Projekt in Spandau folgte im Juni. „Heimstaden ist auf uns zugekommen, wir sind mit weiteren Immobilienunternehmen in Kontakt“, erklärt Paul Hartmann, beim Verein zuständig für Unternehmensprojekte. Bedenken, nur für PR-Zwecke missbraucht zu werden, hat er nicht: „Heimstaden macht das nicht fürs Image – das Projekt läuft super und macht viel Spaß.“ Die Mieter seien von Anfang an eingebunden gewesen, eine Studenten-WG hat das Gießen übernommen, berichtet Hartmann: „Die Wohnungsunternehmen haben nun mal die Flächen und die Menschen, die wir zwecks Sensibilisierung erreichen wollen.“
Ähnlich pragmatisch sieht es der Berliner Landesverband des Naturschutzbundes (Nabu), der für seine Kampagne „Natürlich Strauch“ mit dem umstrittenen Wohnungsunternehmen Vonovia zusammenarbeitet. In zwei Wohnanlagen im Berliner Norden wurden im Frühjahr 250 heimische Sträucher gepflanzt, als Unterschlupf für Insekten und Vögel. Im Fokus steht die Förderung der Artenvielfalt, aber das überschneidet sich zumindest teilweise mit einer klimagerechten Anpassung. „Alles ist besser als Rasen“, erklärt Ansgar Poloczek, Artenschutzreferent beim Nabu Landesverband Berlin. „Das Wassermanagement ist das Entscheidende, durch Sträucher beschattete Flächen senken den Wasserverbrauch.“ Dass die Vonovia mit solchen Aktionen auch ihr Image aufpolieren will, weiß man beim Nabu: „Das ist uns klar, aber uns geht es um praktische Naturschutzarbeit. Wenn unterm Strich etwas Positives dabei herauskommt, können wir mit der beabsichtigten Imagepflege leben.“
Birgit Leiß
Es wird zuviel weggeschnitten
Ein kompletter Bodenaustausch und die Aussaat neuer, an Trockenheit angepasster Pflanzen wäre eine Möglichkeit, eine an das Klima angepasste, artenreiche Bepflanzung zu schaffen. Doch das ist teuer und wenig nachhaltig. Viele Naturschützer favorisieren mittlerweile einen anderen Weg. Die Stiftung Naturschutz hat dazu ein Handbuch mit Praxis-Empfehlungen für Wohnungsunternehmen veröffentlicht.
An dem Pilotprojekt „Vielfalt Leben“ mit der Wohnungsbaugenossenschaft Märkische Scholle wird aufgezeigt, wie ohne große Investitionen naturnahe, vielfältige Grünflächen entstehen können, die auch für die Bewohner ein Plus an Wohnqualität mit sich bringen. Und was sind die häufigsten Fehler bei der Grünpflege? „Es wird zu viel weggeschnitten und weggeräumt“, sagt Regina Otters von der Stiftung. Da werden Sträucher zum beliebten Kastenschnitt zurechtgestutzt – auch „Hausmeisterschnitt“ genannt – und Laub penibel entfernt, unter Umständen sogar mit Laubbläsern. Das sei pflegeintensiv und nicht ökologisch, so die Expertin.
bl
www.stiftung-naturschutz.de/fileadmin/user_upload/pdf/Florenschutz/VL_M-Scholle_Handreichung_web.pdf
Das „Handbuch Gute Pflege“ des Berliner Senats wurde zwar für öffentliche Grünflächen entwickelt, enthält aber auch für wohnungsbezogene Grünflächen zahlreiche praktische Tipps:
www.berlin.de/sen/uvk/natur-und-gruen/stadtgruen/pflegen-und-unterhalten/handbuch-gute-pflege/
29.09.2022