Die Zeiten sind lange vorbei, als Studierende in Berlin preiswerte große Altbauwohnungen fanden. Der Mietwohnungsmarkt ist bekanntermaßen leergefegt. Doch irgendwo müssen die jungen Menschen ja unterkommen, wenn sie zum Studieren nach Berlin kommen. Diese Zwangslage machen sich Betreiber privater Studierendenwohnheime zunutze – zum Schaden der Wohnungssuchenden: Eine gesetzliche Regelung erlaubt ihnen, ihr Zimmer zu horrenden Preisen anzubieten.
Im Sommersemester 2024 studierten 193273 Studenten und Studentinnen in Berlin. Die allermeisten wohnen nicht bei den Eltern, brauchen also Wohnraum und suchen danach auf Plattformen wie „WG-Gesucht“. Hier liegt die mittlere Miete der Angebote für ein WG-Zimmer bei 650 Euro, wie eine jüngst erschienene Datenanalyse des „Spiegel“ ausweist. Das ist deutlich mehr als der bundesweite Durchschnitt, der bei 431 Euro liegt. Und ganz erheblich mehr als die Wohnkostenpauschale, die Bafög-Bezieher:innen gewährt wird: Sie liegt bei 360 Euro, knapp die Hälfte der durchschnittlichen Miete muss dann aus eigener Tasche finanziert werden. Wunschwohnform der Studierenden sei die Wohngemeinschaft, sagt die Pressesprecherin des mit öffentlichen Mitteln finanzierten Berliner Studierendenwerks, Jana Judisch. „Die Zimmer in unserem Studierendenwohnheimen sind fast immer ihre zweite Wahl“, beschreibt sie die Wohnwünsche der Bewerber:innen. Doch die Aussichtslosigkeit, auf dem Berliner Mietmarkt eine bezahlbare Wohnung zu finden, lässt das Wohnheim dann doch als annehmbare Ausweichmöglichkeit erscheinen. Die Preise sind mit durchschnittlich 20 Euro für den Quadratmeter durchaus attraktiv, wenn man berücksichtigt, dass es sich hier um eine All-Inclusive-Miete handelt, die neben Heizung auch Strom und alle sonstigen Kosten sowie die Nutzung der Gemeinschaftsräume beinhaltet.
In 31 Heimen in Berlin bietet das Studierendenwerk 9200 Plätze. Doch das ist bei Weitem nicht ausreichend. „Derzeit sind 4100 Bewerbe:innen auf der Warteliste,“ gibt Jana Judisch Auskunft. „Davon ist aber ein Teil auch für spätere Termine vorgemerkt.“
Stand 1. September 2024 sind 1100 Studierende unversorgt, das heißt, sie wollten zu diesem Zeitpunkt oder vorher einziehen, es war aber kein Zimmer in den von ihnen ausgewählten Wohnheimen frei. Bis zu drei Wohnheime kann man sich bei der Bewerbung aussuchen. „Die Chancen, schneller einen Platz zu bekommen, steigen, wenn man sich nicht nur auf die Plätze im Zentrum bewirbt, sondern auch die etwas abgelegeneren Standorte in Erwägung zieht,“ weiß Jana Judisch. In besonders dringenden Fällen werden Ausnahmen gemacht, aber im Durchschnitt beträgt die Wartezeit etwa zwei Semester.
Kürzere Wartezeit bei abgelegeneren Standorten
2015 hatte der Senat 5000 neue öffentliche Wohnheimplätze bis 2020 versprochen. Im August 2022 waren davon 2752 gebaut. Wer hier nicht unterkommt, muss auf andere Wohnheime ausweichen, in denen, Stand 2023, 21637 private Schlafplätze existierten. 7752 waren zu eben dieser Zeit geplant oder im Bau. Doch die hier aufgerufenen Mieten halten mit den vergleichsweise günstigen Preisen in den öffentlichen Wohnheimen keinerlei Vergleich stand. Die privaten Betreiber des „Neon Wood“ in Friedrichshain verlangen beispielsweise für das einfache Basiszimmer 49 Euro pro Quadratmeter. Auch hier ist alles inklusive.
Doch es geht noch deutlich teurer. Im „The Fizz“ in Kreuzberg werden als besonderer „Last-Minute-Preis“ für ein 19 Quadratmeter großes Zimmer 1100 Euro verlangt – all inklusive. Das sind opulente 58 Euro pro Quadratmeter. Für die besten Wohnungen werden in privaten Wohnheimen astronomische 74 Euro verlangt. Neben drei Monatsmieten Kaution kassieren diese Wohnheime noch eine einmalige „Servicepauschale“ von 200 bis 300 Euro. Für manche der „Micro-Apartments“, wie sie in der Branche genannt werden, muss man nicht einmal immatrikuliert sein. Es werden zwei verschiedene Vertragsarten angeboten.
Die Vereinbarungen sind biegsam
Ist man nicht Student oder Studentin, wird das Zimmer „zum vorübergehenden Gebrauch“ vermietet. Eigentlich ist diese Regelung für Monteure und andere gedacht, die sich nur für begrenzte Zeit in einer Stadt aufhalten und dort keinen Lebensmittelpunkt gründen wollen. Die Rechtsprechung begrenzt solche Verträge auf maximal sechs Monate. Doch die Vermieter:innen ignorieren diese Regelung einfach, und da kaum jemand dagegen klagt, kommen sie in vielen Fällen auch damit durch.
Doch wie kann es sein, dass die Quadratmeterpreise so unendlich weit über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürfen, und auch die Mietpreisbremse, nach der bei Neuvermietung die Miete höchstens zehn Prozent über dem Mietspiegel liegen darf, nicht zur Anwendung kommt? Rechtliche Grundlage für Studierendenwohnheime ist § 549 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Hier werden eine ganze Reihe von Vorschriften des Mieterschutzes im BGB im Falle der Vermietung als Zimmer in Studierendenwohnheimen für nicht geltend erklärt.
Wann ist ein Wohnheim ein Wohnheim?
Neben Kündigungsschutzregeln sind dies vor allem auch die Bestimmungen über die zulässige Miethöhe. Dies war lange Zeit kein Problem, da öffentliche Wohnheime allgemein – und auf diese zielte die Vorschrift – moderate Mietpreise nahmen, die unter den Vergleichsmieten lagen. Doch dann wurde dem Bundesgerichtshof (BGH) die Frage vorgelegt, wann rechtlich gesehen eigentlich ein Mietverhältnis in einem Studentenwohnheim vorläge. Durch das Urteil des BGH aus dem Jahr 2012 ist für Ausbeutung von Studierenden durch Vermieter:innen in angeblichen „Studentenwohnheimen“ Tür und Tor geöffnet worden. Als einzigen Prüfpunkt, um das Merkmal Studentenwohnheim zu erfüllen, hat der BGH nämlich nur einen regelmäßigen Austausch der Mieter:innen und deren Gleichbehandlung verlangt. Insbesondere die Miethöhe und die Gewinnerzielungsabsicht spielen also keinerlei Rolle. Vermieter:innen nutzen dies jetzt gnadenlos aus, umgehen die Regelungen des Mieterschutzes und realisieren exorbitante Quadratmeterpreise. Kein Wunder, dass die internationalen Investoren das BGH-Urteil begrüßen.
„Studierendenwohnheime mit 18- bis 24-Quadratmeter-Apartments sind derzeit das lukrativste Investment im Immobilienbereich“, sagte dem „Tagesspiegel“ Prof. Dr. Thomas Beyerle, Head of Research für den schwedischen Projektentwickler Catella, der selbst Studierendenwohnheime im Portfolio hat.
Jetzt ist die Politik gefragt. So sagt die für Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg-Ost direkt gewählte Bundestagsabgeordnete Canan Bayram von den Grünen: „Nach meiner Auffassung gibt es bei der Minderung des Mieter:innenschutzes nach § 549 Abs. 3 BGB erheblichen Handlungsbedarf – es müssen gesetzliche Definitionen für Studentenwohnheime vorgegeben werden.“ Diesem Vorschlag gegenüber gibt sich das Studierendenwerk pessimistisch: „Es würden trotzdem und weiterhin für Studierende nicht mehr bezahlbare Wohnungen entstehen“, meint Jana Judisch.
Stefan Klein
Besuch bis 23 Uhr
Als Vorläufer aller heutigen Wohnheime kann das von Walter Gropius entworfene Wohnheim im Bauhausstil in Dessau gelten. Hier sollte die Verbindung von Wohnen, Essen, Ausbildung und sozialen Kontakten geschaffen werden. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Studierendenzahlen stark anstiegen, wurde 1959 im sogenannten „Düsseldorfer Wohnheimplan“ das Ziel ausgerufen, für 30 Prozent der Student:innen Plätze in Wohnheimen anbieten zu können. Dieses Ziel wurde nie erreicht. Die Regeln in den Wohnheimen waren deutlich strenger als heute: Besuch war damals nur bis 23 Uhr erlaubt, und die Bewohner:innen mussten Gemeinschaftsleistungen wie Telefondienst oder Bibliotheksarbeit erbringen. Im Handbuch über Wohnheime des Studentenwerks fanden sich noch 1969 seitenlange Absätze über den Wert von Heimleitern und Heimordnungen – was die Student:innen aber schon damals als „alten Schinken“ bezeichneten.
stk
25.09.2024