An dem bundesweiten Wettbewerb zum Auftakt des Bund-Länder-Programms Stadtumbau Ost im Jahre 2002 beteiligten sich auch zehn Areale in Berlin. Das Konzept von Marzahn-Hellersdorf wurde sogar mit einem Preis ausgezeichnet. Heute, fünf Jahre später, wird bundesweit Bilanz gezogen. Während Wolfgang Tiefensee als zuständiger Minister vorsichtig-optimistisch „positive Wirkungen des Stadtumbaus“ konstatiert und die Ergebnisse zumindest als „ermutigend“ bezeichnet, fällt die Bilanz der Akteure und Betroffenen weit weniger positiv aus.
Als die Expertenkommission „Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Bundesländern“ Ende 2000 empfahl, in den nächsten zehn Jahren 300.000 bis 400.000 leer stehende Wohnungen abzureißen, war allenthalben von „Wertevernichtung“ und „kurzsichtigem Aktionismus“ die Rede. Inzwischen ist der Abriss von Teilbeständen Konsens und firmiert vornehm als „Rückbau“. Im Rahmen des Stadtumbaus Ost wurden bisher über 170.000 Wohnungen „vom Markt genommen“, weitere 180.000 sollen bis 2009, dem vorläufigen Ende des Programms, folgen. Der Leerstand im Osten hat sich verringert – er beträgt inzwischen nicht mehr 16 Prozent, sondern „nur“ noch 14,6 Prozent. Bis Ende 2009 werden insgesamt rund 2,6 Milliarden Euro als Hilfen für die notwendige städtebauliche Entwicklung, zum Abriss bei Leerstand und zur Aufwertung von Wohnquartieren bereitgestellt.
Aber kann der Übergang von einer wachstumsorientierten Stadtentwicklung zu einer Politik der schrumpfenden Städte in historisch so kurzer Zeit tatsächlich gelingen? Auch nach 2009 wird es in den neuen Bundesländern noch etwa 700.000 leerstehende Wohnungen geben. Allein in Berlin sind es derzeit 156.000. Von 2002 bis 2005 stieg die Leerstandsquote in der Hauptstadt sogar von 6,3 Prozent auf 6,8 Prozent. Kritiker sprechen angesichts dieser Zahlen bereits von einem Scheitern des Stadtumbaus Ost. Berlin darf sich allerdings freuen: Bis 2015 wird es 70.000 Haushalte mehr als heute geben, Berlin ist zumindest zurzeit eine wachsende Stadt.
Der zweite Statusbericht „5 Jahre Stadtumbau Ost – eine Zwischenbilanz“ der zuständigen Bundesbehörde räumt ein, dass aufgrund der Leerstände in den Plattenbausiedlungen „zunehmend auch sanierte oder teilsanierte Gebäude abgerissen werden“ müssen. Diese sind zum Teil mit neuen Krediten aus der Zeit nach 1990 belastet. Da auch ein Abriss nur mit neuen Krediten finanzierbar ist, stoßen die Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften schnell an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten. Zunehmend reißen sie deshalb auch unsanierte Bauten der Gründerzeit in den Innenstädten ab, erhalten sie dafür doch Prämien von 60 Euro pro Quadratmeter sowie einen Erlass ihrer Altschulden. Diese Mittel werden dann wieder in die Sanierung der Plattenbauten gesteckt – ein Teufelskreis zu Lasten der Altbauquartiere in den Innenstädten.
Inzwischen ist nach Schätzungen von Fachleuten bereits jede zehnte abgerissene Wohnung eine Altbauwohnung. In jeder fünften Stadt hat sich der Schwerpunkt des Rückbaus in die Gründerzeitquartiere verlagert. Bundesweit sind in den vergangenen Jahren über 14000 Altbauwohnungen der Abrissbirne zum Opfer gefallen, davon mehr als 1000 Wohnungen in Denkmalen.
Die Eigentümerlobby „Haus & Grund“ kritisiert, dass die Fördermittel von EU, Bund und Ländern bisher zum größten Teil in den Rückbau von Beständen der kommunalen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften fließen. Reißen diese auch Teile ihrer Altbaubestände in den Innenstädten ab, sinkt die Wohnqualität in den verbleibenden Restbeständen der privaten Eigentümer. „Die derzeitige Förderpolitik gefährdet die Attraktivität der Innenstädte als Wohnstandort“, so Haus & Grund-Präsident Rüdiger Dorn. In Sachsen haben deshalb private Hauseigentümer bereits Stadtverwaltungen wegen „kalter Enteignung“ verklagt.
Abriss ist kein Allheilmittel
Der Bundesverband der deutschen Wohnungsunternehmen (GdW) hält dagegen, dass gerade die privaten Haus- und Wohnungseigentümer vom Rückbau im Bereich der Plattenbauten profitieren, da die Werte und Mieten der Innenstadtimmobilien steigen würden. Der Bundesverband für Wohneigentum und Stadtentwicklung hat ermittelt, dass durchschnittlich 43 Prozent aller Wohnungsumzüge in die sanierten Altbaubestände der Innenstädte erfolgen – solange die Innenstädte intakt sind. Haus & Grund befürwortet eine ausschließliche Förderung der Aufwertung innerstädtischer Wohnquartiere.
Auch der Deutsche Mieterbund und der Berliner Mieterverein fordern eine „dringende Umkehr“: Der Abriss sei kein Allheilmittel, parallel müsse eine ganzheitliche Gestaltung des Wohnumfeldes von „Rückbauvierteln“ erfolgen. „Abrisskündigungen“ seien nicht der richtige Weg, vielmehr müssten die Mieter bei der Entwicklung städtebaulicher Konzepte mehr als bisher einbezogen werden. „Mehr Stadt für weniger Bürger“, definiert Mieterbund-Präsident Dr. Franz-Georg Rips das Ziel.
Ungelöst ist bisher auch das Problem der Anpassung der Ver- und Entsorgungsleitungen für Wasser, Abwasser, Nah- und Fernwärme, Strom und Gas. Die Beendigung der Versorgungsverträge beim Rückbau von Plattenbauten ist ein ständiger Streitpunkt zwischen Wohnungs- und Versorgungsunternehmen. Wer trägt die Kosten bei Anpassungsmaßnahmen? Die Sicherheit der Ver- und Entsorgung muss auch bei schrumpfenden Bevölkerungszahlen – unter Einhaltung der technischen und hygienischen Anforderungen – gewährleistet werden. Nach einer aktuellen Prognose des Statistischen Bundesamtes wird die Bevölkerung in den neuen Bundesländern im Zeitraum von 2006 bis 2050 um 31 Prozent sinken.
Ähnliche Entwicklung auch im Westen
Ähnliche Probleme haben natürlich auch westdeutsche Städte und Gemeinden – wenn auch nicht so akut und flächendeckend wie in den neuen Bundesländern. Mit dem 2004 aufgelegten Programm Stadtumbau West will der Bund die Städte in den alten Bundesländern veranlassen, sich frühzeitig auf notwendige Anpassungsprozesse vorzubereiten. Ein Programmpunkt ist der Erfahrungstransfer zwischen Ost und West.
Laut Koalitionsvertrag wird das Programm Stadtumbau Ost bis 2009 fortgesetzt. Da es für die gegensätzlichen Interessen jedoch offensichtlich keinen goldenen Mittelweg gibt, haben das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung jetzt zwei neutrale Institute mit einer Evaluierung des Programms Stadtumbau Ost beauftragt. Erste Ergebnisse sollen im Frühjahr nächsten Jahres vorliegen. Dann wird die Bundesregierung entscheiden, ob das Programm fortgesetzt wird.
Die Verwaltungsvereinbarung Städtebauförderung 2007 ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Aufwertung innerstädtischer Wohnquartiere steht mehr im Vordergrund als bisher, die bauliche Sicherung von Stadtbild prägenden Gebäuden wird weiter erleichtert. Umfragen haben ergeben, dass die Wohnzufriedenheit dort etwa 20 Prozent höher als in den sanierten Plattenbauten ist. Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee: „Deshalb rückt nunmehr die zweite Säule des Stadtumbaus, die Aufwertung der Innenstädte und erhaltenswerten Stadtquartiere, in den Mittelpunkt. Innenstädte sind für den Charakter einer Stadt identitätsbildend.“
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 11/07
Rund 170.000 Wohnungen sind bislang im Osten abgerissen worden
Fotos: Christian Muhrbeck
Gelungener Stadtumbau der eher seltenen Art: Geschossreduzierung, Balkonanbau, Gartennutzungsmöglichkeit
WeitereInformationen:
„5 Jahre Stadtumbau Ost – eine Zwischenbilanz“, Zweiter Statusbericht der Bundestransferstelle, Berlin, Mai 2007
www.stadtumbau-berlin.de
Die Bewohner sind außen vor
„Die wesentlichen Akteure bei der Gestaltung des Stadtumbaus sind neben den kommunalen Verwaltungen (mit mehr oder weniger intensiv einbezogenen sektoralen Bereichen) die Wohnungswirtschaft und öffentliche Träger. Bisher nur in sehr geringem Maße in den Stadtumbau eingebunden werden hingegen die Bewohner und die Akteure der lokalen Ökonomie in den Stadtumbauquartieren … Die Einbeziehung von privaten Eigentümern in den Stadtumbau Ost wird von der überwiegenden Mehrzahl der Kommunen als wichtiges Handlungsfeld angesehen. Eine tatsächliche Einbeziehung privater Eigentümer in Maßnahmen des Stadtumbaus (über punktuelle Einzelmaßnahmen hinaus) findet allerdings nur in wenigen Kommunen statt.“
Quelle: „5 Jahre Stadtumbau Ost – eine Zwischenbilanz“, Zweiter Statusbericht der Bundestransferstelle, Berlin, Mai 2007, Seite 103
25.03.2021