Aus Berliner Sicht ist Spandau der verträumte Randbezirk jenseits der Havel. Spandau ist in vieler Hinsicht unauffällig. Doch seit Ende der 90er Jahre ändert sich dort das soziale Gefüge drastisch. Der Sozialstrukturatlas und das „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“ zeigen negative Entwicklungen auf. Spandau ist auf dem Weg zu einem „Problembezirk“. Das Bezirksamt setzt eine Politik der kleinen Schritte dagegen und fordert zwei weitere Quartiersmanagementgebiete.
Dass Spandau älter als Berlin ist, heben Lokalpatrioten gern hervor. Vor 775 Jahren bekam Spandau das Stadtrecht. Zum Jubiläum wurde in diesem Jahr sogar ein eigenes Spandauer Telefonbuch herausgegeben. Traditionell versteht sich Spandau als eigenständige Stadt, und Spandau hat auch alles, was dazu gehört: einen mittelalterlichen Kern, gründerzeitliche Wohnviertel, grüne Vororte wie Kladow und Gatow, Großsiedlungen auf dem Falkenhagener Feld und an der Heerstraße und große Industrieansiedlungen in Siemensstadt.
Vom massiven Abbau industrieller Arbeitsplätze ist Spandau seit den 90er Jahren betroffen. Nach der Öffnung der Mauer zogen viele Spandauer in das nahe Brandenburger Umland. Vor allem Gutverdienende kehrten dem Bezirk den Rücken und bauten in Falkensee, Brieselang oder Dallgow-Döberitz ein Häuschen im Grünen. Eine hohe Arbeitslosen- und Sozialhilfequote verbunden mit einem relativ niedrigen Bildungs- und Ausbildungsniveau sind die Folgen für Spandau.
Überraschung bei Spandaus Politikern
Diese Tendenzen zeigte die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erarbeitete Studie „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“ im Jahre 2004 in aller Deutlichkeit auf. Da es in Spandau zuvor keine kleinräumigen Sozialuntersuchungen gab, war man im Bezirksamt überrascht über die starke Konzentration von Arbeitslosen und Sozialhilfebeziehern in bestimmten Stadtvierteln. Die bislang letzte Fortschreibung für 2006 bestätigte die Entwicklung erneut. Weite Teile Spandaus sind „Gebiete mit überdurchschnittlicher und zunehmender Arbeitslosigkeit sowie überdurchschnittlicher und stark zunehmender Sozialhilfedichte“. Dieser Gebietstyp kommt vor allem in den West-Berliner Großsiedlungen wie dem Märkischen Viertel und der Gropiusstadt vor. In Spandau sind davon hingegen nicht nur die vergleichbaren Neubauviertel Falkenhagener Feld und Heerstraße betroffen, sondern auch die Spandauer Altstadt, die Neustadt, die Wilhelmstadt, Hakenfelde, Haselhorst und die Wasserstadt Oberhavel. Insgesamt weisen elf der 22 Spandauer Teilgebiete eine negative Entwicklungstendenz auf.
In diesen Quartieren gleichen sich die Entwicklungen auffallend stark – egal ob Altbau, Großsiedlung oder Neubau. In allen Gebieten stehen relativ viele Wohnungen leer. In der Wilhelmstadt und der Neustadt wird dies vor allem auf deren schlechten Bauzustand zurückgeführt. Viele sind noch mit Kohleheizungen ausgestattet und insgesamt sanierungsbedürftig. Dass für frei werdende Wohnungen in Spandau nur schwer Mieter von außerhalb zu gewinnen sind, zeigt sich besonders in den Großsiedlungen. Auf dem Falkenhagener Feld und an der Heerstraße haben die beiden großen Vermieter Gewobag und GSW festgestellt, dass Neumieter zum großen Teil aus Spandau kommen, meist sogar Umzügler innerhalb der jeweiligen Siedlung sind. Die Wohnungsbaugesellschaft WIR, mittlerweile in der Gewobag aufgegangen, hatte deshalb in den 90er Jahren auf dem Falkenhagener Feld verstärkt an Aussiedler vermietet. Unter der angestammten, meist älteren Mieterschaft hat das für Verunsicherung gesorgt. Ob dies ein kultureller oder ein Generationskonflikt ist, lässt sich allerdings nicht sicher sagen. Die Aussiedlerbevölkerung ist im Durchschnitt deutlich jünger. Die Jugendarbeitslosigkeit ist unter den Aussiedlern besonders hoch, es haben sich Jugendbanden gebildet. Auch in der Neustadt wurde bei Jugendlichen eine steigende Kriminalität festgestellt.
Ähnliche Probleme gibt es auch in den Neubaugebieten der Wasserstadt Oberhavel. Besonders im Quartier Pulvermühle, das in den 90er Jahren im Sozialen Wohnungsbau errichtet wurde, stellt die Wohnungsbaugesellschaft GSW hohe Leerstände fest. Auch hier gebe es viele Aussiedler und Bezieher von Transfereinkommen, von denen viele als „sozial auffällig“ eingeschätzt werden. Bei der Begründung für die Vermietungsprobleme wird nebenbei eine Reihe von schweren Planungsfehlern aufgelistet: Es gibt keine sozialen Einrichtungen vor Ort, keine Einkaufsmöglichkeiten, eine schlechte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und den erheblichen Lärm der Einflugschneise von Tegel.
Planungsfehler und vernachlässigte Instandhaltung
Jürgen Wilhelm, Spandauer Bezirksleiter des Berliner Mietervereins, weiß vor allem aus den Großsiedlungen von Problemen zu berichten: „Da klappt es von der Struktur der Mieterschaft her nicht.“ Die Mischung von Migranten und Deutschen stimme nicht. Außerdem sieht er, dass etliche Wohnanlagen herunterkommen. „Da wird von Seiten der Wohnungsbaugesellschaften nichts reingesteckt“, so Wilhelm. Er bereitet gerade für ein stark vernachlässigtes GSW-Hochhaus auf dem Falkenhagener Feld eine Mieterversammlung vor, um eine Instandsetzung durchzusetzen. Das übliche Druckmittel der Mieter, die Mietminderung, können viele Bewohner nicht ausüben, weil sie Empfänger von Arbeitslosengeld II sind und somit das Amt die Miete trotz gravierender Mängel vorbehaltlos zahlt. In den Großsiedlungen mangelt es nicht nur an der Instandhaltung, viele Gebäude sind auch grundlegend sanierungsbedürftig. Vor allem die Heizungsanlagen und die Dämmung der Fassaden entsprechen häufig nicht mehr dem Stand der Technik.
„Spandau hat schwerwiegendere soziale Probleme, als dies hinnehmbar ist“, stellt Sozial- und Gesundheitsstadtrat Martin Matz (SPD) fest. Die Untersuchungen der letzten Jahre und die Presseberichte darüber hätten im Bezirk einen „heilsamen Schock“ ausgelöst. „Bei den Ursachen liegt die Langzeitarbeitslosigkeit ganz vorn“, sagt Matz. Daraus würden viele weitere Probleme wie etwa Verschuldung und Alkoholismus folgen. Die Arbeitslosigkeit kann man auf Bezirksebene kaum beseitigen. „Wir versuchen mit einer Politik der tausend Lichter die Lage zu drehen“, erklärt der Sozialstadtrat. Mit vielen kleinen Projekten sollen sowohl die Ursachen der Probleme als auch die Symptome bekämpft werden. Die Einrichtung von drei Stadtteilmanagements auf dem Falkenhagener Feld und an der Heerstraße habe die Arbeit des Bezirks erleichtert. Bei der nächsten Überprüfung der Gebiete will sich Matz dafür einsetzen, dass die drei Spandauer Gebiete vom Status des „Präventionsgebiets“ zu „Interventionsgebieten“ hochgestuft werden – womit mehr Geld in die Quartiersarbeit fließen würde. Außerdem sollen nach dem Willen des Bezirks mit der Wilhelmstadt und der Neustadt zwei weitere Gebiete in das Quartiersmanagementprogramm aufgenommen werden.
Jens Sethmann
MieterMagazin 11/07
Mieter aus anderen Quartieren oder Bezirken sind für das Falkenhagener Feld nicht zu gewinnen
Fotos: Rolf Schulten
Vermietungsschwierigkeiten gibt es auch in der Spandauer Neustadt …
… und auch der Handel hat Probleme
Quartiersmanagement light
Aufgrund der Ergebnisse des „Monitorings“ hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2005 drei Stadtteilmanagements – sozusagen „Quartiersmanagement light“ – in Spandau eingesetzt: Unter dem Titel „Prävention“ sollen die Quartiere Falkenhagener Feld-Ost und -West sowie Heerstraße „sozial aufgewertet und stabilisiert“ werden. Vom Senat steht jedem Gebiet zwar nur ein „Integrationsfonds“ von 100.000 Euro im Jahr zur Verfügung, die Quartiere können aber zusätzlich Gelder aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ beantragen und Fördermittel der EU in Anspruch nehmen. Seit 2005 ist das Falkenhagener Feld auch eines von fünf Berliner Gebieten im Programm Stadtumbau West. Damit sollen vor allem bauliche Defizite bei Parks, Sportanlagen oder Stadtplätzen beseitigt werden.
js
15.07.2013