Christiane F. wurde als Drogenabhängige durch das Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ bekannt. Heute ist sie 44 Jahre alt und lebt mit ihrem Sohn in einem Berliner Vorort. Jeden Tag nimmt sie eine kleine Dosis der Ersatzdroge Methadon, damit sie nicht „in ein tiefes seelisches Loch“ fällt. So wie ihr geht es vielen. Methadon und demnächst vielleicht auch Heroin werden in Berlin in Arztpraxen ausgegeben, von denen sich viele in Wohnhäusern befinden. Manche Mieter stören sich daran.
Seit November 1987 werden in Berlin Heroinabhängige auch in Arztpraxen offiziell mit Methadon als Substitutionsmittel behandelt – auf der Grundlage der Richtlinien der Bundesärztekammer. Unberücksichtigt bleiben dabei die Auswirkungen auf das Wohnumfeld. Immer wieder gibt es Beschwerden von Anwohnern über Beeinträchtigungen der Wohnqualität in den Häusern, in denen sich solche Arztpraxen befinden, und in deren Umgebung. Schwer Drogenabhängige sind oft körperlich und durch diverse psychische Störungen erheblich beeinträchtigt und zum Teil auch verwahrlost und verhaltensauffällig.
Unliebsame Begleiterscheinungen
3750 Drogenabhängige erhalten in Berlin eine Substitutionsbehandlung mit Methadon – bundesweit sind es etwa 65000. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen fordert in seinen Arzneimittel-Richtlinien: „Die Substitutionsbehandlung sollte von einem in der Behandlung Drogenabhängiger erfahrenen Arzt vorzugsweise in Zentren erfolgen, die sich auf die Behandlung der Drogenabhängigkeit spezialisiert haben.“ Aber die Mehrzahl dieser „Zentren“ sind ganz normale Arztpraxen in Wohnhäusern. Und das verursacht Probleme: Mieter und Vermieter wollen keinen Treffpunkt von Drogenabhängigen im Hausflur oder vor dem Haus. Viele Behandelte nehmen auch andere Drogen, im Umfeld der Arztpraxen treten deshalb verstärkt Drogendealer auf. Da die Wirkung des verabreichten Methadons lediglich 24 Stunden vorhält, muss die Praxis an 365 Tagen im Jahr geöffnet sein. Oft werden die Ersatzdrogen trotz entsprechender Vorschriften nicht in der Praxis eingenommen, sondern im Umfeld und gemeinsam mit anderen Drogenabhängigen – gelegentlich wird mit dem Substitutionsstoff sogar schwunghafter Handel betrieben.
Das Referat Drogen und Sucht der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz hat sich bisher nicht mit den Unannehmlichkeiten beschäftigt, die von der Methadonbehandlung in Arztpraxen für die Anwohner ausgehen.
Bewohner miteinbeziehen
Soll die Abgabe aus Arztpraxen aber weiterhin praktiziert werden, so ist über Bedingungen nachzudenken, die ein weitgehend störungsfreies Miteinander gewährleisten. So könnte beispielsweise die Auflage erteilt werden, dass ein separater Eingang zur Arztpraxis vorhanden sein muss und Vermieter sowie sonstige Nutzer des Gebäudes in das Vorhaben eingeweiht und deren zustimmende Mitwirkung vorausgesetzt werden, schlägt Reiner Wild, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins, vor. Zudem sollten sich in der Nähe der Substitutionspraxis keine Schulen und Kindergärten befinden.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 11/07
Wie ein reibungsfreies Miteinander bewerkstelligen? Drogenhilfeeinrichtungin der Kreuzberger Kochstraße
Fotos: Christian Muhrbeck
Weitere Informationen:
Die Drogenbeauftragte des Landes Berlin,
Oranienstraße 106, 10969 Berlin,
Telefon 9028-1662, Fax 9028-2078,
www.berlin.de/lb/drogen-sucht
Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz:
Sucht & Drogen –
Band 1: Rat und Hilfe,
Band 2: Selbsthilfe. 17., vollständig überarbeitete Auflage 2007
Die Berliner Drogenszene
In Berlin gibt es schätzungsweise 8000 intravenös konsumierende Drogenabhängige, 700 bis 800 davon gelten als schwerstabhängig und gesundheitlich besonders stark beeinträchtigt. Während die Zahl der Drogentodesfälle im Bundesdurchschnitt rückläufig ist, steigt sie in Berlin seit einigen Jahren wieder – wie auch die Zahl der Rauschgiftdelikte. Mit einem dichten Netz von Hilfsangeboten werden immer mehr Drogenabhängige erreicht. Insbesondere die seit 2003 bestehenden Drogenkonsumräume in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg sowie die mobilen Hilfsangebote an Szenetreffpunkten werden gut genutzt.
rb
25.11.2016