Das Bundesverfassungsgericht verhandelt derzeit, ob die vorgenommenen gesetzlichen Änderungen bei der sogenannten Pendlerpauschale zulässig sind. Befürworter und Kontrahenten der Kürzung stehen sich nach wie vor unversöhnlich gegenüber.
Viele Augen blicken auf Karlsruhe. Dort stehen die acht Richter des Bundesverfassungsgerichts vor der Frage, ob die von der Bundesregierung Anfang 2007 vorgenommene Kürzung der Entfernungspauschale, im Volksmund Pendlerpauschale genannt, verfassungsgemäß ist oder nicht. Seit dem 1. Januar 2007 können Pendler die Kosten für die Fahrt zwischen Arbeitsplatz und Wohnung erst ab dem 21. Kilometer von der Steuer absetzen. Zuvor war eine steuerliche Anrechnung ab dem ersten Fahrkilometer möglich. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs sowie der Finanzgerichte Niedersachsens und des Saarlandes ist dies verfassungswidrig.
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) verteidigte in Karlsruhe die Kürzung. Durch sie könnten im Bundeshaushalt jährlich 2,5 Milliarden Euro eingespart werden. Entscheidend für die Verfassungsrichter ist die Frage, ob die Wahl des Wohnorts privat veranlasst ist – und deshalb Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz steuerlich unberücksichtigt bleiben müssen – oder aber, ob Fahrtkosten zur Arbeit zwingend anfallen – und deshalb vom ersten Kilometer an von der Steuer abgesetzt werden dürfen. Steinbrück erinnerte daran, dass jeder Arbeitnehmer pauschal 920 Euro im Jahr an berufsbedingten Ausgaben absetzen könne. Die meisten Pendler hätten schon vor der Neuregelung mit ihren Fahrtkosten unter diesem Betrag gelegen.
Klar ist: Wo jemand wohnt und wie weit dadurch sein Arbeitsweg ist, hat fast nie nur berufliche, sondern meistens auch private Gründe. Derart „gemischte Gründe“ aber können nach Auffassung der Bundesregierung keine steuerlichen Vorteile rechtfertigen. So wie der Kauf eines neuen Anzugs nicht von der Steuer abgesetzt werden könne, weil privater und beruflicher Zweck nicht voneinander zu trennen seien, gelte dies auch für die Wohnortwahl.
Die Befürworter der seit 2007 geltenden Regelung argumentieren, dass diese gerechter sei als die vorherige. Schließlich müssten zum Beispiel Berufstätige mit Bereitschaftsdiensten – etwa Feuerwehrleute – häufig in der Nähe ihrer Arbeitsstätte wohnen. Liege diese in Ballungszentren, zahlen die Betroffenen oft höhere Mieten als auf dem Land. „Arbeitnehmer, die in der Stadt wohnen, bekommen auch keine Steuerentlastung für die in der Stadt meist viel höheren Mieten“, sagt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund. Die Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale wäre „aus ökologischer, ökonomischer und städtebaulicher Sicht falsch“, so Ropertz weiter. Eine „Gießkannensubvention“ wie die Pendlerpauschale würde die Zersiedlung freier Flächen weiter vorantreiben. Für die in den Städten verbleibende Bevölkerung führe dies wiederum zu steigenden Kosten für die Aufrechterhaltung der Trinkwasser-, Energie- und Fernwärmeversorgung. „Wir müssen die Städte fördern und nicht die Zersiedlung“, ergänzt Mieterbund-Präsident Dr. Franz-Georg Rips. „Wir müssen in Infrastrukturmaßnahmen investieren und nicht mehr oder weniger lange Autofahrten steuerlich subventionieren.“
Difu: Besser Werbungskosten erhöhen
Der gleichen Meinung ist auch Tilmann Bracher vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Die alte Pendlerpauschale sei für viele Menschen ein Anreiz gewesen, aufs Land zu ziehen. Die Folge: Den Städten gingen Steuerzahler verloren. Gleichzeitig stiegen die Belastungen für die Kommunen: Abgase, Lärm, das Bauen neuer Parkplätze für die Autos der Pendler. „Wir waren froh, als die alte Pendlerpauschale abgeschafft wurde“, sagt Tilmann Bracher. Anstelle einer Pendlerpauschale spricht sich das Difu für eine Erhöhung der allgemeinen Werbungskosten bei der Steuererklärung aus, damit diejenigen, die in den Innenstädten unter vergleichsweise hohen Mieten zu leiden haben, nicht benachteiligt werden gegenüber denjenigen, die auf dem Land von billigem Wohnraum profitieren und dafür die Gesellschaft durch ihre Fahrten belasten.
Mit einer Entscheidung wird nicht vor Dezember gerechnet.
Sina Tschacher
MieterMagazin 11/08
Die Pendlerpauschale bevorzugt die Stadtflüchtlinge – und sorgt für zusätzlichen Verkehr und Umweltbelastungen
Foto: Sabine Münch
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Die Zahl der Pendler steigt
Die bereits seit der Wende hohe Zahl von Pendlern zwischen Berlin und Brandenburg ist in den vergangenen Jahren weiter angestiegen. Nach dem jüngsten Raumordnungsbericht der Brandenburger Landesregierung fahren inzwischen täglich rund 160.000 Menschen aus dem Umland nach Berlin. Im Jahr 2001 waren es erst 140.000. Grund für die Entwicklung ist nach Ansicht der brandenburgischen Landesregierung die steigende Zahl von Berlinern, die ins Umland zieht. Die meisten dieser Neubürger hätten aber weiterhin ihre Arbeit in der Hauptstadt. Auch in der Gegenrichtung hat sich die Zahl der Pendler erhöht. Ende 2006 pendelten rund 61.500 Berliner zur Arbeit nach Brandenburg. Gegenüber 2001 ist das eine Zunahme von 11,5 Prozent.
tsc
09.07.2013