Seit 2007 hat die „International Union of Tenants“ (IUT), die internationale Mietervereinigung, ein Büro am Hauptsitz der Europäischen Union in Brüssel. Die dortige IUT-Vertreterin Barbara Steenbergen erklärt im MieterMagazin-Gespräch, wie sich die politische Arbeit für Mieterinteressen auf europäischer Ebene gestaltet und wie diese vorankommt.
MieterMagazin: Was waren die Gründe für die Mieterorganisation, Lobbyarbeit bei der Europäischen Union zu betreiben?
Steenbergen: Mindestens 80 Prozent der nationaler Gesetzgebung ist auf Brüsseler Richtlinien zurückzuführen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit unseres Engagements. Der konkrete Anlass war, dass sich das Europäische Parlament seit 2007 mehr mit Wohnungspolitik beschäftigt. Nach dem Initiativbericht des EU-Parlamentes über Wohnraum und Regionalpolitik ist eine Versorgung mit angemessenem Wohnraum notwendig, um ein soziales Europa zu gewährleisten.
MieterMagazin: Das klingt nach einer gemeinsamen Strategie für das Europa der 27 Mitgliedsstaaten. Globale Investoren auf dem deutschen Wohnungsmarkt, Wohnungsknappheit in Frankreich, Instandhaltungsstau und Wohnungsnöte in Osteuropa – sind die Wohnungsprobleme in den Mitgliedsstaaten nicht sehr unterschiedlich?
Steenbergen: Es gibt einheitliche Tendenzen. Wohnraum aus öffentlichem Eigentum wird zunehmend privatisiert, nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Außerdem ist der Kampf um ein soziales Mietrecht, vor allem um den Kündigungsschutz, eine gemeinsame Basis der europäischen Mieterbewegung.
MieterMagazin: Der Anteil der Mietwohnungen ist in den osteuropäischen Beitrittsländern sehr gering. Kann die IUT nach der riesigen Privatisierungswelle im Osten überhaupt Fuß fassen?
Steenbergen: In der Tat ist dies schwierig. EU-weit lag im Jahr 1990 der Anteil der Mieter an allen Haushalten bei 40 Prozent, bis zum heutigen Tag ist er auf 20 Prozent zurückgegangen. Die massive und einseitige Bildung von Wohnungseigentum in den postkommunistischen Ländern fällt uns heute auf die Füße. Man hat Wohnungen privatisiert, um den Instandhaltungsstau aufzulösen. Doch die Übertragung der Sanierung auf die einzelnen Eigentümer von Plattenbau- oder Altbauwohnungen ist ökonomisch und sozial fahrlässig. Der Großteil dieser neuen Eigentümer ist finanziell überfordert – mit dem Ergebnis, dass die Häuser weiter verfallen. Es ist Aufgabe des IUT, die verbliebenen Mieter zu stützen und eine starke Mieterbewegung aufzubauen.
MieterMagazin: Aus Frankreich erzeugen die Bilder von den Obdachlosenzelten am Seine-Ufer den Eindruck von massiven Wohnungsnöten. Das Recht auf bezahlbaren Wohnraum bestimmte bei unseren westlichen Nachbarn sehr schnell die wohnungspolitische Debatte. Wird während der Präsidentschaft Frankreichs im EU-Rat die Diskussion um ein Grundrecht auf bezahlbaren Wohnraum auf den Rest Europas herüberschwappen?
Steenbergen: Denkbar ist, dass die französische Wohnungsministerin Christine Boutin das einklagbare Recht auf Wohnen in der französischen Verfassung als beispielgebend für die europäische Union beim nächsten Ministertreffen in Marseille auf die Tagesordnung setzen wird. Die europäische Verfassung findet auch deshalb keine Akzeptanz, weil in ihr wesentliche soziale Rechte fehlen. Die Verankerung des Rechts auf Wohnen in der europäischen Verfassung ist eine der Kernforderungen der IUT. Es ist ein Fundamentalrecht. Wir erhoffen uns von der französischen Ratspräsidentschaft einen Aufwind für die Debatte.
MieterMagazin: Die Niederlande und die Skandinavier kämpfen in Brüssel für den Erhalt ihres Sozialen Wohnungsbaus. Worin besteht der Konflikt? Hat er auch Konsequenzen für Deutschland?
Steenbergen: Sozialer Wohnungsbau hat in der Regel Finanzhilfen des Staates zur Grundlage. In der EU werden nun die Staatsbeihilfen im Rahmen des europäischen Binnenmarktes sehr genau unter die Lupe genommen. Man will keine wettbewerbsverzerrenden Situationen schaffen. Ausgangspunkt des Konfliktes waren Klagen von privaten Investoren und Wohnungseigentümerverbänden, sowohl in Schweden als auch in den Niederlanden. Die Verbände monierten, dass staatliche Beihilfen der nationalen Wohnungsbauprogramme an die öffentlichen Wohnungsunternehmen gegen das Wettbewerbsrecht innerhalb der EU verstoßen würden. Die EU-Kommission hat diese Klagen angenommen. Die IUT ist der Auffassung, dass die EU-Kommission das sogenannte Subsidiaritätsprinzip beachten sollte. Damit läge die staatliche Wohnraumförderung in den Händen der nationalen Regierungen und Parlamente.
MieterMagazin: Auf nationaler Ebene bestehen oft erhebliche Bedenken gegen die Eingriffswut aus Brüssel. Damit die Haupteinzahlungsländer ihren Frieden haben, werden aus großen Projekten oft nur kleine Schritte. Beim Klimaschutz scheint das anders zu sein.
Steenbergen: Beim Klimaschutz haben wir eine klare Zuständigkeit der EU im Rahmen der Gesetzgebung. Da sind zum Beispiel die European Performance Buildings Directives, eine Gebäuderichtlinie, die wir vor allem wegen der Vorlagepflicht von Energieausweisen bei der Wohnungsanmietung kennen. Die aus dem Jahre 2002 stammende EU-Richtlinie wird im Moment überarbeitet und vermutlich verschärft. Im Vordergrund steht dabei eine verbesserte Transparenz der Marktteilnehmer über den energetischen Zustand von Gebäuden. Das hält auch die IUT für notwendig, zumal die bisherige Richtlinie offenbar zuviel Spielraum für nationales Recht enthält und damit die erwünschten Effekte, nämlich die In-vestitionen in energetische Sanierungen, ausbleiben. Außerdem werden wir eine neue Richtlinie über den Einsatz von erneuerbaren Energien erhalten: „Renewables Directives“. In dieser Renewables Directives hat die IUT zwei Änderungsanträge, eingebracht. Demnach soll der Einsatz von erneuerbaren Energien nicht nur im Neubau verpflichtend werden, sondern auch im Wohnungsbestand. Außerdem muss der Wechsel zu regenerativen Energien auch obligatorisch mit weitergehenden Energieeinsparmaßnahmen an Gebäuden gekoppelt werden. Zum Richtlinienentwurf gab es 1200 Änderungsanträge, das ist normal im Brüsseler EU-Parlament.
MieterMagazin: Das IUT-Verbindungsbüro gibt es seit Februar 2008. Wer trägt das Büro?
Steenbergen: Das Büro wird im Wesentlichen vom Deutschen Mieterbund und der schwedischen Mieterorganisation Hyresgästföreningen finanziert. Weiterhin gibt es ein Aktivitätenbudget, das von den Mieterorganisationen aus Tschechien, Norwegen, Frankreich, Finnland, Dänemark und den Niederlanden finanziert wird. Unsere EU-Arbeit ist also stark geprägt von der Solidarität untereinander.
MieterMagazin: Wie muss man sich die Lobbyarbeit in Brüssel vorstellen?
Steenbergen: Es gibt in Brüssel insgesamt 15.000 Lobbyisten, die alle ihre Interessen durchsetzen wollen. Die Wohnungswirtschaft der anbietenden Seite ist seit Jahrzehnten in Brüssel vertreten, die Mieterschaft jetzt gerade mal seit acht Monaten. Unter dieser Rahmenbedingung ist es nicht leicht, sich gegen starke Organisationen, insbesondere in der Wirtschaft, durchzusetzen. Nichtsdestotrotz lassen wir uns nicht entmutigen.
MieterMagazin: Können die Mietervereine in Deutschland und der Deutsche Mieterbund etwas zum Gelingen der IUT-Arbeit in Brüssel beitragen?
Steenbergen: Das hoffe ich. Ganz konkret: Im Juni 2009 sind Europawahlen. Die Mietervereine sollen sich in die europapolitische Debatte einschalten und die wohnungspolitische Kompetenz ihrer Europa-Abgeordneten testen. Ich halte es für notwendig, den Einfluss des europäischen Parlamentes gegenüber EU-Rat und EU-Kommission zu stärken. Dafür wird eine hohe Wahlbeteiligung benötigt. Durch das aktive Einmischen der Mietervereine in den Wahlkampf kann dies unterstützt werden. Die IUT wird europäische Wahlprüfsteine aus Sicht der Mieter aufstellen. Wir sind jetzt schon auf die Antworten der Kandidatinnen und Kandidaten für das Europaparlament gespannt.
MieterMagazin: Frau Steenbergen, wir danken für das Gespräch.
MieterMagazin 11/08
„Es ist nicht leicht, sich in Brüssel gegen die Lobby der Wirtschaft durchzusetzen“: Barbara Steenbergen im MieterMagazin-Gespräch
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Das Gespräch mit Barbara Steenbergen führte MieterMagazin-Redakteur Reiner Wild
Wer ist die IUT?
Die International Union of Tenants (IUT) ist eine nichtstaatliche Organisation, die 1926 in Zürich mit dem Ziel gegründet wurde, die Interessen der Mieter zu vertreten und zu schützen. Sie ist überparteilich. Ihr sind 56 Mitgliederverbände in 48 Staaten angeschlossen, davon 36 aus Europa. Die IUT hat beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen Beraterstatus. Generalsekretär ist Magnus Hammar. Sitz der IUT ist Stockholm.
Am 6. Oktober 2008, dem Internationalen Mietertag, veranstaltete das IUT-Verbindungsbüro Brüssel eine große Konferenz zum Thema „Bezahlbares und angemessenes Wohnen“. Sven Carlsson, Präsident der IUT, unterstrich die Aktualität des Tagungsthemas, während Dr. Franz-Georg Rips, der Präsident des Deutschen Mieterbundes, sich zu den Abhängigkeiten von Wohnungspolitik, Stadtentwicklung und Energiepolitik äußerte. „Ein unkontrollierter Markt funktioniert nicht“, so sein Credo zur derzeitigen europäischen Wohnungsmarktsituation.
rw
Im Internet findet man unter
www.iut.nu
weitere Informationen.
09.07.2013