Wenn eine Gemeinde in der Stadtplanung und -entwicklung handlungsfähig bleiben will, braucht sie einen gewissen Bestand an Grund und Boden im eigenen Besitz. Berlin verkauft indessen schon seit Jahren alle Grundstücke, die die Stadt nicht direkt selbst benötigt. Eine vorausschauende Bodenpolitik sieht anders aus, meinte der versammelte Sachverstand, den sich die Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer, Anfang Oktober ins „Stadtforum“ eingeladen hatte. Eine Kurswende zeichnet sich dennoch nicht ab.
Das Diskussionsforum zur „Zukunft der Liegenschaftspolitik in Berlin“ stand unter der Überschrift „Alles muss raus!?“. Was von der veranstaltenden Senatsverwaltung ironisch gemeint war, trifft die Realität beim Umgang mit städtischen Grundstücken recht genau: Was das Land Berlin nicht für eigene Zwecke benötigt, wird auf den Markt geworfen. Das Spektrum reicht von kleinen Wohnungsbauparzellen über Schulen, Gerichtsgebäude und Betriebshöfe bis hin zu ganzen Gewerbearealen. Einzig das Rote Rathaus scheint bislang vor dem Ausverkauf sicher. Dieser ist nur möglich, weil frühere Stadtregierungen vorausschauend Flächen in ihren Besitz gebracht haben: Wälder, Rieselfelder, Krankenhausgelände und auch Wohnungsbaustandorte.
Dass ein vorausschauender Umgang mit Grund und Boden auch heute noch nötig und möglich ist, darüber waren sich die zum „Stadtforum“ geladenen Experten einig. „Eine aktive Liegenschaftspolitik ist Voraussetzung für eine gesteuerte Stadtentwicklung“, meinte etwa Egbert Dransfeld vom Dortmunder Institut für Bodenmanagement. Aber: Anders als hunderte anderer deutscher Städte habe Berlin keine grundsätzlichen Ziele der Liegenschaftspolitik beschlossen. „München hat damit hervorragende Erfahrungen gemacht – eine Stadt, die kaum Grundbesitz hat“, so Dransfeld. Der Planungsökonom Guido Spars von der Bergischen Universität Wuppertal empfahl: „Man sollte versuchen, die Stadtrendite durch intelligente Bodenpolitik zu heben.“ Der Verkauf zum Höchstpreis sei nicht immer der größte Nutzen für die Stadt.
Mehr Stadtrendite durch intelligente Bodenpolitik
Doch genau dies ist bei den Verkäufen durch den Liegenschaftsfonds der Normalfall. „Unsere Aufgabe ist es, Grundstücke unter Berücksichtigung stadtentwicklungspolitischer Ziele zu verkaufen – unter Ausschöpfung der Wertschöpfungspotenziale für das Land Berlin“, erklärte Liegenschaftsfonds-Geschäftsführer Holger Lippmann. „Aufgrund europarechtlicher Vorgaben müssen wir uns marktgerecht verhalten.“ Das heißt, in dem ganz überwiegend angewandten Bieterverfahren wird eine Immobilie immer an den Meistzahlenden veräußert, wenn nicht der Steuerungsausschuss überzeugt werden kann, im Sinne des Allgemeinwohls davon abzuweichen. In der Praxis müssen Interessenten „von unten“ – etwa bisherige Mieter, soziale oder kulturelle Projekte – alles Mögliche in Bewegung setzen, um bei der Vergabe eine Chance gegen meist weitaus finanzkräftigere Investoren „von außen“ zu haben. Ausnahmen gelten nur für weniger attraktive Immobilien, die zum Verkehrswert direkt vergeben werden, und für eine Hand voll Wohnbaugrundstücke, die zum Festpreis an Baugruppen verkauft werden.
„Wir werden auch in Zukunft keine Bodenbevorratung betreiben können“, fasste Staatssekretärin Maria Krautzberger zusammen. Das Stadtforum könne man aber als „Anstoß für eine Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik“ begreifen, so Krautzberger in ihrem Schlusswort. Die zuständige Senatorin Junge-Reyer hatte zu diesem Zeitpunkt die Veranstaltung schon verlassen.
Jens Sethmann
MieterMagazin 11/09
Berlin verkauft sein Tafelsilber an den Meistzahlenden: Zum Bestand des Liegenschaftsfonds gehört auch das Amerika-Haus in der Charlottenburger Hardenbergstraße
Foto: Sabine Münch
Rat und Tat
Der Liegenschaftsfonds –
Milchkuh für den Landeshaushalt
Der Liegenschaftsfonds wurde 2001 vom Land Berlin gegründet, um städtische Immobilien zentral zu vermarkten. Seither wurden rund 3000 Grundstücke im Gesamtwert von 1,2 Milliarden Euro verkauft. Alles in allem hat der Fonds über 5000 Liegenschaften im Portfolio. Im Jahr 2008 wurden 584 Immobilien verkauft und eine Rekordsumme von 284 Millionen Euro an den Berliner Landeshaushalt abgeführt. Die Bezirke waren mit 37,6 Millionen Euro am Erlös beteiligt. Mit der Finanzkrise sind gegen Ende 2008 die Umsätze allerdings eingebrochen. Für dieses Jahr wird deshalb nur noch mit einem Verkaufsvolumen von 230 Millionen Euro gerechnet.
js
06.06.2013