Das Wohnungsunternehmen Gagfah sorgt für immer neue Schlagzeilen: Nach einer Regressklage der Stadt Dresden wurde zur Jahresmitte bekannt, dass auch die finanzielle Lage des Unternehmens Anlass zur Sorge gibt. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen fünf Personen wegen „Insiderhandels“: Sie sollen Unternehmens-Interna genutzt haben, um sich an der Börse persönlich zu bereichern.
Im Jahr 2004 kaufte der amerikanische Finanzdienstleister Fortress das Wohnungsunternehmen Gagfah, das bis dahin der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gehört hatte. Es war die Zeit einer großen Welle von Privatisierungen, mit der die öffentliche Hand versuchte, ihre Schulden durch Verkauf von Staatsunternehmen in den Griff zu bekommen.
2006 verkaufte die Stadt Dresden ihre Wohnungsbaugesellschaft Woba. Die Einnahme von 1,7 Milliarden Euro sorgte dafür, dass die sächsische Landeshauptstadt mit einem Schlag schuldenfrei war. Die 48.000 Wohnungen gingen ebenfalls an den Finanzmakler Fortress, der sie in seinen Gagfah-Bestand integrierte. Der ehemalige Sozialminister und SPD-Parteichef Franz Münterfering nannte Investoren wie Fortress seinerzeit „Heuschrecken“. Ihre Strategie: einkaufen, abkassieren, abstoßen.
Gemäß dieser Maxime brachte Fortress schon im Herbst 2006 einen Teil der Gagfah in den börslichen Handel. Was folgte, war Ernüchterung – bei den Anlegern, bei den Wohnungsverkäufern und bei den Mietern. Wirtschaftskrise und eine Unternehmenspolitik, die schnelle Gewinnausschüttungen an die Stelle einer soliden Bewirtschaftung rückte, verschreckte fast alle, die im Gagfah-Boot saßen. Zwischen 2006 und 2009 verlor die Aktie 80 Prozent ihres Werts, in den Wohnungsbestand wurde fast nichts investiert, und die ehemaligen Verkäufer beschlich allmählich eine Ahnung, dass sie nicht nur wirtschaftliches, sondern auch politisches Tafelsilber verscherbelt hatten.
Der nächste Paukenschlag folgte Anfang dieses Jahres. Die Dresdner Kommunalpolitiker, die mit Fortress beim Verkauf der Woba eine „Sozialcharta“ im Interesse der Wohnungsmieter vereinbart hatten, monierten unzählige Verstöße gegen eine der Vereinbarungen und reichten Klage ein. Forderung: 1 Milliarde Euro. Noch einmal sackte der Unternehmenswert ab. Zur Jahresmitte 2011 wurde bekannt, dass die Gagfah obendrein Probleme mit der Refinanzierung ihrer Unternehmensschulden hatte: Für die bis 2013 fälligen 3,4 Milliarden Euro fanden sich keine neuen Geldgeber – Umstände, die den Anteilsschein der Gagfah, der einmal bei 25 Euro lag, auf einen Tiefststand von 3,43 Euro drückte.
Die Schäfchen ins Trockene gebracht?
Doch zu diesem Zeitpunkt, so die Vermutung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, waren einige kundige Aktienbesitzer längst aus dem Papier ausgestiegen. So soll der Gagfah-Chef William Joseph Brennan Anfang Februar Aktien aus seinem Privatbesitz in Höhe von 4,7 Millionen Euro verkauft haben. Vermutet wird nun, dass Brennan und einigen der Seinen Anfang Februar bereits klar war, dass Dresden Klage erhebt und sie deshalb ihre Aktien abgestoßen haben, bevor der Kurs weiter in den Keller ging. Dass Firmenangehörige unternehmensinterne Informationen zum finanziellen Vorteil bei Aktiengeschäften verwerten, ist in Deutschland strafbar. Brennan bestreitet alle Vorwürfe.
Wenn jetzt die Gagfah ins Schlingern kommt, lässt das aber vor allem diejenigen das Schlimmste befürchten, die mit den milliardenschweren Geschäften nichts zu tun hatten: die Mieter der deutschlandweit 155.000 Gagfah-Wohnungen. Der Sprecher des Dresdner Mietervereins, Mathias Wagner: „Gerät das Unternehmen in eine finanzielle Schieflage, werden die Investitionen in den Wohnungsbestand weiter zurückgefahren und notwendige Reparaturen unterlassen.“
Udo Hildenstab
MieterMagazin 11/11
Wer im Gagfah-Boot sitzt, hat nichts zu lachen
Foto: Christian Muhrbeck
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Das Wechselbad hat Tradition
Die Gagfah („Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten“) ist 1918 von gewerkschaftlichen Angestelltenverbänden gegründet worden, um ihre Mitglieder mit Wohnraum zu versorgen. Das Unternehmen ging infolge der NS-Machtergreifung und des damit verbundenen Verbots der Gewerkschaften zunächst an die „Deutsche Arbeitsfront“ und Mitte der 1930er Jahre an die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte. Deren Rechtsnachfolger, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), verkaufte es 2004 auf Betreiben des damaligen SPD-Bundesfinanzministers Hans Eichel an den US-Fondsgesellschaft Fortress, um Defizite in der Rentenkasse auszugleichen. Nach Dresden ist Berlin mit 24.000 Wohnungen der zweitgrößte Gagfah-Standort in Deutschland.
uh
01.04.2013