Sie haben meist nichts als ihre Kinder und einen großen Packen Probleme bei sich: Frauen, die in Schutzeinrichtungen fliehen, kommen aus schwersten Krisen- und Gewaltsituationen. Sie müssen vom Täter abgeschirmt, betreut und in der Regel auch bei gerichtlichen Verfahren begleitet werden. Vor allem jedoch müssen sie Wege in ein neues Leben finden. Die führen nicht zuletzt auch auf den Berliner Wohnungsmarkt. Ohne professionelle Hilfe hätten viele von ihnen keine Chance.
Als die junge Mutter schließlich im Berliner Frauenhaus ankam, hatte sie eine Odyssee hinter sich. Sie war von ihrem Mann immer wieder gedemütigt und misshandelt, isoliert und schließlich zusammen mit ihren beiden kleinen Töchtern in die türkische Heimat zur Familie des Ehemannes verbracht worden. Dass allen von dort die Flucht zurück gelang, ist nur ihrem mutigen Widerstand und ihrer Energie zu verdanken. Nun will sie in einem geschützten Raum erst einmal zur Ruhe kommen und Kraft für einen Neuanfang sammeln.
„Frauen, die zu uns kommen – entweder aus eigenem Antrieb, mit der Hilfe von Freunden, über eine der Berliner Notrufnummern oder auch mit der Polizei – sind in einer schweren Krisensituation“, sagt Heike Ritterbusch, Mitarbeiterin des Frauenhauses „Cocon“. Sie werden massiv bedroht, sind psychisch und nicht selten auch körperlich schwer verletzt und traumatisiert. 1923 Frauen und Kinder fanden im vergangenen Jahr in den sechs Berliner Frauenhäusern Zuflucht, Beratung und Unterstützung.
Die Angebote dort reichen von Krisenintervention über Rechtsberatung bis hin zu Hilfen bei der Erziehung. Auch wenn über Notrufnummern rund um die Uhr Ansprechpartnerinnen zur Verfügung stehen – aufgenommen werden konnten und können längst nicht alle Schutzsuchenden sofort. Das Frauenhaus Cocon beispielsweise ist etwa zu einem Drittel des Jahres voll belegt. Dann muss erst einmal eine andere Lösung gefunden werden.
Dabei kommen nicht alle, die an die Tür klopfen, aus einem der Berliner Bezirke. „Wir sind offen für jede von Gewalt betroffene Frau, egal wo sie vorher gewohnt, welchen Hintergrund und Aufenthaltsstatus sie hat“, erklärt Heike Ritterbusch. So steigt in den Frauenhäusern der Anteil von Migrantinnen seit Jahren: 2013 lebten im Cocon Frauen aus 35 verschiedenen Herkunftsländern. Nicht wenige Bewohnerinnen der Zufluchtsorte haben keinen deutschen Pass in der Tasche. „In unseren Frauenhäusern bildet sich die Weltpolitik ab“, stellt die Sozialwissenschaftlerin fest. Waren es vor 15 Jahren viele Vietnamesinnen, die Hilfe brauchten, so stammen die Frauen heute oft aus Bulgarien, Rumänien oder aus einem der übervollen Flüchtlingsheime.
Spiegel der Weltpolitik
Meist geht es erst einmal um die pure Sicherung ihrer Existenz: Sie sind von einem Moment auf den anderen zumeist vor ihrem gewalttätigen Partner geflohen und haben keinerlei Papiere für sich und die Kinder in der Tasche. Dazu muss ebenfalls nicht selten geklärt werden, wovon sie künftig leben, ob und welchen Anspruch sie auf Sozialleistungen haben. Die Unterbringung in einem Berliner Frauenhaus ist immer kostenfrei – für die Berliner Zufluchtswohnungen muss ein Mietanteil gezahlt werden -, aber für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder müssen die Bewohnerinnen selbst aufkommen. Und auch die Zukunft will ja abgesichert sein.
Annett Ramminger, Fachanwältin für Familienrecht, berät und vertritt von Gewalt betroffene Frauen seit vielen Jahren: „Für Mütter mit Kindern sind schnell Sorgerechtsentscheidungen zu treffen. Sie brauchen beispielsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Kinder, und das versuchen wir erst einmal über einen Eilantrag vorübergehend, also bis zu einer endgültigen Rechtsentscheidung, zu regeln.“ Ein weiteres Problem: Viele haben den Mietvertrag gemeinsam mit ihrem Partner unterschrieben. Zahlt der die Miete nicht weiter, häufen sich bei der Frau die Schulden an. Die Juristin: „In diesem Fall hilft es nur, gemeinsam mit dem Mann das Mietverhältnis zu kündigen. Weigert dieser sich, lässt sich seine Zustimmung gerichtlich erzwingen. Und ein Vermieter kann letztendlich durch ein Scheidungsverfahren gezwungen werden, das Gewaltopfer aus dem Mietvertrag zu entlassen.“
Wohnungsanspruch in der Praxis untauglich
Schließlich stellt sich die Frage, wo die Frau und womöglich ihre Kinder denn künftig wohnen werden. Seit 2002 ist es zwar zivilrechtlich üblich, dass bei Gewaltdelikten der Täter die Wohnung zu verlassen hat, viele der Frauen stellen dennoch keinen entsprechenden Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz. Heike Ritterbusch: „Das hat verschiedene Gründe: Die einen möchten nicht immer wieder an das Geschehene in der einstigen gemeinsamen Wohnung erinnert werden. Andere haben Angst, weil der Täter die Adresse ja kennt und sie trotz strikter Auflagen möglicherweise weiter belästigt. Und manche können die große Familienwohnung ganz einfach nicht allein bezahlen.“
Aber eine neue Wohnung für sich und die oft genug auch vorhandenen Kinder zu finden, wird in Berlin immer schwieriger. Martina Arend, die sich mit dem Verein „Hestia“ um die Wohnungsvermittlung für Frauen aus Gewaltsituationen kümmert, ist ständig auf der Suche. Dabei muss sie in der Regel auf das sogenannte „Geschützte Marktsegment“ zurückgreifen, das Wohnungen für diejenigen bereithält, die auf dem freien Markt keine Chancen hätten: von Obdachlosigkeit betroffene Menschen, jene, die aus stationären oder betreuten Einrichtungen kommen, Haftentlassene – oder Suchende aus Schutzeinrichtungen wie Frauenhäusern.
1350 Wohnungen im „Geschützten Marktsegment“ sollen in Berlin jährlich zur Verfügung gestellt werden: „119 konnte ich im letzten Jahr vermitteln – zwischen 40 und 60 Wohnungen suche ich ständig.“ Dabei beobachtet sie auch, wie sich die Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt verändern: „Während wir früher auch mal Unterlagen nachreichen konnten, muss heute bei einer Bewerbung alles in einem Ordner vorliegen, was ein Vermieter sehen will.“
„In den letzten zwei, drei Jahren ist es mehr und mehr zu einem Lotteriespiel geworden, eine Wohnung zu finden.“ So suchte Hestia fast ein Jahr lang für eine junge Frau eine Wohnung. Obwohl ihre Unterlagen in Ordnung waren und sie keinerlei Schulden hatte, bekam sie nie den Zuschlag. Ihr Manko: Sie war Analphabetin. Den meisten Vermietern war es egal, dass sie von einer Sozialarbeiterin begleitet und nach dem Umzug in allen schriftlichen Angelegenheiten unterstützt werden sollte. Den Grund für die sich zuspitzende Situation sieht die erfahrene Wohnungsvermittlerin Martina Arend auch in einer verfehlten Wohnungspolitik der letzten Jahre: „Früher hatten wir in dem Wohnungsunternehmen GSW einen großen Rückhalt – dort fand ich Wohnungen für 42 Prozent der Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden waren.“ Die GSW wurde dann bekanntlich an einen privaten Investor verkauft. Arend: „Berlin hat sich damit seiner Hilfemöglichkeiten selber beraubt.“ Und so ist die Suche nach einer Wohnung für Frauen wie die junge türkische Mutter buchstäblich zu einer Betteltour geworden, die Monate dauern kann.
Rosemarie Mieder
MieterMagazin 11/14
Fotos: Sabine Münch
„Herkunft, Hintergrund, Status spielen für die Aufnahme keine Rolle“: Heike Ritterbusch vom Frauenhaus „Cocon“
Die Unterkünfte in den Frauenhäusern bieten einen geschützten Raum für den Neuanfang
Der 25. November ist der „Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen“
Rat und Tat
Zahlen & Fakten
Die Berliner Polizei registrierte 2012 fast 16.000 Fälle von „häuslicher Gewalt“. 76,1 Prozent der Tatverdächtigen waren männlich.
In den sechs Berliner Frauenhäusern stehen 322 Plätze für Frauen und ihre Kinder zur Verfügung. Außerdem gibt es 117 Plätze in 41 Zufluchtswohnungen. Die Adressen sind geheim.
Die Aufenthaltsdauer richtet sich nach den Bedürfnissen der Bewohnerinnen. Alkohol-, drogen- und medikamentenabhängige Frauen werden nicht aufgenommen.
Die Altersbegrenzung für Jungen liegt in den meisten Häusern bei 14 Jahren. Mütter mit älteren Söhnen finden in den Zufluchtswohnungen Unterkunft und Schutz.
rm
Rat und Tat
Hilfen für von Gewalt betroffene Frauen:
BIG-Hotline bei häuslicher Gewalt:
Tel. 611 03 00
Bundesweites Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen:
Tel. 08000 11 60 16
Frauenhaus Cocon:
Tel. 91 61 18 36
Hestia Frauenhaus:
Tel. 559 35 31
2. Autonomes Frauenhaus:
Tel. 37 49 06 22
Frauenhaus Bora:
Tel. 986 43 32
Frauenhaus des Caritas Verbandes:
Tel. 851 10 18
Frauenhaus der Interkulturellen Initiative e.V.:
Tel. 80 10 80 50
Die Nummern sind rund um die Uhr erreichbar.
Betroffene Frauen und ihre Kinder finden zu jeder Tages- und Nachtzeit Aufnahme.
rm
09.05.2018