Berlin ist die Wiege der öffentlichen Energieversorgung in Deutschland: Vor 130 Jahren wurde die Aktiengesellschaft „Städtische Elektricitäts-Werke“ gegründet, die spätere Bewag. Das war der Auftakt einer wegweisenden Epoche und Motor für die rasante Entwicklung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. Es bedeutete umwälzende Veränderungen im öffentlichen und privaten Bereich – beruhend auf der problemlosen ständigen Verfügbarkeit von Strom.
Der Wunsch, Straßen zu erhellen, ist uralt. Schon der Große Kurfürst gab 1682 den Befehl, einige Straßen in Berlin mit Öllampen zu beleuchten. Als Werner Siemens 1866 das dynamoelektrische Prinzip entdeckte, wurde die kontinuierliche Erzeugung von großen Mengen elektrischen Stroms möglich. Zunächst allerdings waren die ersten Versuche mit elektrischen Laternen am Pariser Platz 1878 gescheitert. Doch zehn Jahre später, am 20. September 1888, konnte Oberbürgermeister Max von Forckenbeck auf der Leipziger Straße insgesamt 36 Bogenlampen in Betrieb nehmen. Die Lampen wurden von zwei Dynamomaschinen versorgt, die von Gasmotoren angetrieben wurden. Die Betriebserfahrungen waren ermutigend. Im Bericht der Gemeindeverwaltung heißt es dazu: „… bewährte sich die Anlage so, dass aus den mit derselben gemachten Erfahrungen ein Einwand gegen weitere Verwendung elektrischen Lichtes zur Straßenbeleuchtung nicht hergeleitet werden kann“. Dieser denkwürdige Tag im September 1888 war der Durchbruch für die öffentlichen Beleuchtung, die sich dann zum entscheidenden Motor der weiteren Elektrifizierung entwickelte.
Bereits 1884 war die AG „Städtische Elektricitäts-Werke zu Berlin“ gegründet worden, die als erstes Unternehmen in Europa die öffentliche Stromversorgung aufnahm. Dabei stand die Versorgung von Beleuchtungsanlagen im Vordergrund, wozu der Magistrat der Stadt die Verlegung von Kabeln auf öffentlichem Straßenland erlauben musste. Erst einmal galt es aber, den Bau der Kraftwerkszentrale in der Markgrafenstraße 44 voranzutreiben. Schon Mitte 1885 konnte das erste Kraftwerk mit einer Leistung von 540 Kilowatt in Betrieb genommen werden, das zum Ende des gleichen Jahres genau 28 Kunden mit 5000 Lampen, hauptsächlich in öffentlichen Gebäuden, versorgte. Im Jahr 1915 schließlich übernahm der Berliner Magistrat die gesamten Anlagen der Berliner Elektrizitätswerke: bis dahin sechs Kraftwerke, 7740 Kilometer Kabelnetz, 1044 Kilometer Telefon- und Prüfdrahtnetz zur Versorgung der inzwischen auf 52 347 Abnehmer angewachsenen Kundenzahl.
90 Pfennig für eine Kilowattstunde
Da die elektrische Beleuchtung zunächst noch viel teurer war als das bis dahin gebräuchliche Gaslicht, wurde sie überwiegend in repräsentativen Bereichen eingesetzt. Dies wiederum machte sie für den vermögenden Teil der Bevölkerung zu einem erstrebenswerten Luxus. Allein der Hausanschluss kostete im Jahr 1888 noch 250 Mark, eine Kilowattstunde 80 Pfennig. Dazu kam eine jährliche Miete von 6 Mark für eine Glühlampe, für einen Ausschalter bei drei Lampen musste man 12 Mark pro Jahr bezahlen, und zusätzlich waren 15 bis 40 Mark für den Zähler fällig. Ein Arbeiter bei den Elektrizitätswerken verdiente 22,5 bis 27,5 Pfennig in der Stunde.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde in Berlin zur Beleuchtung hauptsächlich Gas benutzt, auch hielten sich in kleinen Wohnungen noch lange die Petroleumlampen. Doch der Fortschritt kündigte sich auch hier an. Musste im 19. Jahrhundert noch allabendlich der Hauswart die Lampen auf den Höfen und in den Treppenaufgängen anzünden, hieß es 1901 in der Baubeschreibung des vornehmen Hauses Skalitzer Straße 99: „Das Haupttreppenhaus ist außerdem mit einer gut funktionierenden electrischen Beleuchtung zur nächtlichen Benutzung zu versehen“, während in den Wohnräumen Gasanschlüsse installiert werden sollten. Auch ein Werbeprospekt von 1910, der einen Luxusneubau am Treptower Park anpries, strich besonders die Annehmlichkeiten der Stromversorgung heraus: „Selbst Wohnungen mit bis zu drei und vier Zimmer herab sind mit elektrisch betriebener Staubsaugeranlage versehen. Gas und elektrische Beleuchtung (auf den Treppen automatische Nachtbeleuchtung) sind überall zu finden.“ Laut der Grund- und Bodenwerttabelle von 1908 fielen diese Neubauwohnungen in die teuerste Kategorie: die sogenannten „hochherrschaftlichen Wohnungen“.
Bis 1910 waren erst 3,5 Prozent der Berliner Wohnungen an das Stromnetz angeschlossen. Der elektrische Haushalt spielte vor dem Ersten Weltkrieg so gut wie keine Rolle. Steckdosen wurden vorerst selten installiert, da Strom hauptsächlich für Licht genutzt wurde. Die Lampen hingen mitten im Raum, meist dicht unter der Decke. Um ein elektrisches Bügeleisen benutzen zu können, wurde die Glühlampe aus der Fassung genommen und der Steckanschluss in der Lampenfassung befestigt. Dieses Bügeleisen, das sich an die Lichtstromleitung anschließen ließ, fand schnell große Verbreitung. Es war das erste elektrifizierte Haushaltsgerät, das sich die Leute wegen des moderaten Preises auch leisten konnten. Um den bis dahin schleppenden Stromabsatz zu fördern, stellte das Städtische Elektrizitäts-Werk Berlin-Steglitz auf Wunsch ein Bügeleisen für vier Wochen kostenlos zur Verfügung.
Eine Siedlung ohne Rauch
Erst in den 1920er und 1930er Jahren hielt Elektrizität auch vermehrt Einzug in die Berliner Privathaushalte. Aber der „Stromhunger“ der Berliner in Zeiten von Kohleöfen, wöchentlicher Badezeiten und hoher Strompreise war noch gering. Von einer Vollelektrifizierung war man weit entfernt. Kochapparate waren 1928 nur in 5,9 Prozent der Berliner Haushalte anzutreffen, ungeheizte Waschmaschinen in 0,5 Prozent und Kühlschränke sogar nur in 0,2 Prozent. Als fortschrittlich galt deshalb die „Rauchlose Siedlung“, die 1930 in Steglitz am Munsterdamm und dem Steglitzer Damm errichtet wurde: Statt Feuerstellen und Gasanschlüssen wurden ausschließlich elektrische Herde installiert. Die übrige Heizungs- und Warmwasserversorgung erfolgte damals über das Fernheizkraftwerk Steglitz in der Birkbuschstraße.
Doch in der Bevölkerung existierten immer noch deutliche Vorbehalte gegenüber dem Strom. So beklagten sich Hausfrauen, dass Kekse aus dem Elektro-Ofen „elektrisch“ schmeckten. Um den Köchinnen die Vorbehalte gegenüber der neuartigen Energie zu nehmen, brachte die Bewag 1936 eigens ein Kochbuch mit dem Titel „Das elektrische Kochen“ heraus, das in den folgenden Jahrzehnten mehrfach neu aufgelegt wurde.
Eine breite Anschaffungswelle von elektrischen Haushaltsgeräten löste erst das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg aus: Zunächst kam der Kühlschrank, anschließend folgten Waschmaschine und Elektroherd. 1989 hatten schließlich 94 Prozent der deutschen Haushalte ein Kühlgerät, 91 Prozent eine Waschmaschine und 87 Prozent einen elektrischen Herd.
Jens Sethmann
MieterMagazin 11/14
Im Jahr 1915 hatte Berlin sechs Kraftwerke (oben: Charlottenburg; unten: Markgrafenstaße)
Abb.: Wikimedia
Das AEG-Markenzeichen huldigte 1894 dem elektrischen Licht
Abb.: Wikimedia/Ludwig Sütterlin
Im Jahr 1888 erlebte die elektrische Straßenbeleuchtung in Berlin ihren Durchbruch
Abb.: Wikimedia/Carl Saltzmann
Mit den elektrischen Haushaltshelfern kam auch der „Stromhunger“
Abb. aus dem Buch „Oikos. Von der Feuerstelle zur Mikrowelle“
Abb. Mitte: Wikimedia/Nilfisk-Advance
Rat und Tat
Schöne, neue Elektrowelt
Die neuartige Energie Strom förderte den Erfindergeist, zunächst entstanden unter anderem Kaffeemühlen, zentrale Staubsaugeranlagen, Heizplatten, Haartrockenapparate. Zahlreiche direkt beheizte Einzelgeräte wie Bratpfannen, Wasserkessel, Eierkocher oder Kochkisten sollten die Küche in ein „Elektro-Zentrum“ verwandeln. Diese schöne, neue Welt wird 1927 in einer Illustrierten den Leserinnen – und potenziellen Kundinnen – nahegebracht: „Das neue ‚Mädchen für alles‘ heißt: Elektrizität. Bereits am frühen Morgen ist diese Perle dienstbereit. Beim Aufstehen erstrahlt im Winter im Schlafzimmer eine elektrische Sonne oder ein kleiner Heizofen, wohlige Wärme verbreitend. Um das Frühstück zu bereiten, braucht die Hausfrau gar nicht erst in die Küche zu gehen. An der Lampe des Esszimmers ist ein Anschlusswürfel angeschaltet, und so ist es möglich, mit einem Tauchsieder rasch das Rasierwasser für den ungeduldigen Gatten zu bereiten, gleichzeitig den Topf mit dem Kaffee- oder Teewasser zu erhitzen und dann noch Eier zu kochen und für den verwöhnten Eheherrn Brot zu rösten.“
js
17.11.2014