Wer in der Einflugschneise eines Flughafens wohnt, muss erhebliche Einbußen bei der Wohnqualität hinnehmen. Im Falle des Flughafens Tegel, der eigentlich längst geschlossen sein sollte, hat die Lärmbelastung in der letzten Zeit sogar zugenommen. Nicht bei allen Vermietern scheint sich das herumgesprochen zu haben.
Olaf Weiser wohnt in der Siedlung Schillerhöhe in Wedding. Täglich donnern über 300 Flieger über sein Haus hinweg. Das geht von 6 morgens bis 22 Uhr abends, Postflugzeuge starten und landen mitunter sogar noch nach Mitternacht. Dennoch machte die Wohnungsbaugesellschaft Gesobau bei einem Mieterhöhungsverlangen zum März 2014 die Lage an einer „besonders ruhigen Straße“ als wohnwerterhöhendes Merkmal geltend. „Diese Behauptung ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten“, empört sich der Mieter. Schon in der Vergangenheit hatte die Gesobau abgestritten, dass es am Tessiner Weg Fluglärm gibt.
Doch bisher wurden die Einwände, die Weiser mit Unterstützung des Berliner Mietervereins vortrug, letztendlich immer akzeptiert. Nur in einem Fall wurde 2008 gegen einen anderen Bewohner der Siedlung Klage auf Duldung der Mieterhöhung eingereicht. Zufällig wohnte der mit dem Fall befasste Richter in dieser Gegend. Die Behauptung, dass es hier direkt in der Einflugschneise keinen Fluglärm gebe, war daher schnell vom Tisch. Im aktuellen Streit blieb die Gesobau hartnäckig und reichte Klage ein (AG Wedding, Geschäftszeichen 19 a C280/14). In der mündlichen Verhandlung stellte sich der Richter auf die Seite des Mieters. „Wir konnten die Lärmbeeinträchtigung substanziiert darlegen“, erklärt Rechtsanwalt Pöthke.
Richter mit Ortskenntnis
Das Gericht erließ daher ein sogenanntes Versäumnisurteil, dem die Gesobau innerhalb der gesetzten Frist widersprochen hat. Das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig, der Streit geht Anfang November in die nächste Runde. Unter Hinweis auf das laufende Verfahren wollte die Gesobau gegenüber dem MieterMagazin keine Stellungnahme abgeben.
Unter Fluglärm leiden Hunderttausende von Berlinern. Bei der Geltendmachung von Mieterhöhungen nach dem Berliner Mietspiegel kann das als wohnwertminderndes Merkmal gelten. Die Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung führt in der Merkmalgruppe 5 (Wohnumfeld) die Verkehrslärmbelastung ausdrücklich auf. Relativ eindeutig ist die Sache, wenn die Wohnungsadresse im Straßenverzeichnis des Berliner Mietspiegels mit einem Sternchen versehen ist: die am meisten verkehrslärmbelasteten Straßen – durch Schienen-, Straßen- oder Fluglärm.
Die Fluglärmzonen 1 und 2, die nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm offiziell festlegt sind, fallen automatisch darunter. Ihnen sind jeweils bestimmte Dezibel-Werte (dB) zugeordnet. Der Tessiner Weg in der Schillerhöhe gehört nicht zur Zone 1 oder 2, liegt aber nach Angaben der Senatsumweltverwaltung nur knapp unter den maßgeblichen Dezibel-Werten. Grundsätzlich gilt: Auch Adressen ohne Sternchen können hoch lärmbelastet sein. „Trotzdem erkennen viele Richter eine Fluglärmbelastung nur für Adressen mit Sternchen an“, erklärt Rechtsanwalt Pöthke. Ohne diese Kennzeichnung hat der Mieter in jedem Fall eine gesteigerte Darlegungspflicht.
Diese Situation sei unbefriedigend, meint Mietervereinsgeschäftsführer Reiner Wild. Es sei ohne Weiteres möglich, eine adressenscharfe Ausweisung für die Fluglärmzone 3 vorzunehmen. Die entsprechenden Daten könnte der Senat zur Verfügung stellen, so Wild, der auch Mitglied der Arbeitsgruppe Mietspiegel ist: „Hier bedarf es einer Änderung, um nachteilige Folgen für Mieter zu vermeiden.“
Birgit Leiß
Ist eine Adresse im Straßenverzeichnis zum Berliner Mietspiegel nicht durch Sternchen gekennzeichnet, besteht eine gesteigerte Darlegungslast des Mieters, urteilte das Amtsgericht Mitte. Es reiche nicht, darauf zu verweisen, dass die Wohnung in der Einflugschneise des Flughafens Tegel liegt, ohne konkrete Angaben zur Flughöhe über der Wohnung oder zu bestimmten Lärmmessungen vorzutragen (AG Mitte vom 21. März 2005 – 20 C 526/04). Olaf Weiser aus der Schillerhöhe hatte die Lärmbelastung durch Daten aus dem Flugroutenradar der Berliner Morgenpost nachgewiesen.
Genaue Lärmangaben findet man auch beim FIS Broker der Senatsumweltverwaltung:
www.stadtentwicklung.berlin.de/geoinformation/fis-broker
bl
MieterMagazin 11/14
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Wie hoch die Lärmbelastung an einer Adresse ist, lässt sich auch anhand der Lärmkarten der Senatsverwaltung exakt feststellen:
www.stadtentwicklung.berlin.de/
umwelt/umweltatlas/ia705.htm
25.03.2021