Naturschutz ist sicherlich eines der letzten Dinge, die man mit dem Deutschen Kaiserreich in Verbindung bringt. Dennoch kam es vor 100 Jahren zu einem weitreichenden Vertrag zwischen dem Land Preußen und dem kommunalen Zweckverband Groß-Berlin, dem Vorläufer der 1920 gebildeten Stadt. Berlin erwarb vom Staat für 50 Millionen Mark 10.000 Hektar Wald und verpflichtete sich, ihn als Fläche zur Erholung, zur Verbesserung des Stadtklimas und zur Gewinnung von Trinkwasser auf Dauer von einer Bebauung freizuhalten. Damit wurde vor allem der Grunewald vor einer weiteren Zersiedlung mit neuen Villenkolonien bewahrt.
Um die Waldfrage war in Berlin schon Anfang des 20. Jahrhunderts leidenschaftlich gestritten und gefeilscht worden. Weil die dicht besiedelte Stadt in ihren damaligen engen Grenzen mit dem Tiergarten nur eine einzige größere Grünfläche besaß, bemühte sie sich, Waldflächen in der Umgebung zu kaufen. Nicht nur zur Naherholung waren die Wälder wichtig. Besonders für die Trinkwassergewinnung der rasch wachsenden Metropole sollten sie eine große Bedeutung bekommen. Die nahe der Spree und der Havel gelegenen Waldflächen eigneten sich besonders gut für die Anlage von Wasserwerken.
Die Stadt verkaufte meistbietend
Bereits 1892 sprach der Berliner Magistrat erstmals beim preußischen Finanzminister vor, um den gesamten Grunewald zu kaufen – allerdings erfolglos. Der Staat verkaufte stattdessen den Grunewald profitabler Stück für Stück an Terraingesellschaften und Bauspekulanten. In der Stadt wuchs der Unmut dagegen: „Wir erheben Protest gegen die Absicht des Fiskus, einen wesentlichen Teil des Grunewalds, den man mit Recht die Lunge Berlins genannt hat, der Bebauung zu erschließen, das heißt, ihn zu vernichten“, hieß es 1904 in einer von zwei Berliner Zeitungen gestarteten Aktion, die 30.000 Bürger unterschrieben haben. Davon unbeeindruckt fraßen sich die großen Villenkolonien Westend, Grunewald und Nikolassee von drei Seiten weiter in den Wald hinein und verkleinerten den Grunewald bis 1910 um 2000 Hektar.
Bis 1909 schaffte es der Berliner Magistrat immerhin, rund 3000 Hektar Forstflächen zu kaufen. Die Wälder lagen jedoch größtenteils weit außerhalb der Stadt, etwa in Buch und bei Wandlitz.
Am 1. April 1915 gelang es dann endlich, mit dem Dauerwaldvertrag auch die stadtnahen Wälder zu erwerben und vor der weiteren Bebauung zu bewahren: 10.000 Hektar Waldfläche der Staatsoberförstereien Grunewald, Tegel, Potsdam, Köpenick und Grünau wechselten zum Preis von 50 Pfennig pro Quadratmeter den Besitzer. Drei Jahre zuvor hatte Preußen noch 1,60 Mark pro Quadratmeter verlangt. Im Vertrag verpflichtete sich Berlin, die Flächen „in ihrem wesentlichen Bestande als Waldgelände zu erhalten“ und „die gekauften Grundstücke weder ganz oder teilweise zu veräußern“. Ausnahmen waren möglich, der Erlös musste dann aber zum Erwerb von Ersatzflächen verwendet werden, die ebenso dauerhaft geschützt zu sein hatten.
Der Dauerwaldvertrag wirkt bis heute. Die Größe der Berliner Waldflächen ist seit 100 Jahren konstant geblieben. „Wer heute im Grunewald die Natur genießt, verdankt dies dem Engagement einer breiten Bürgerbewegung vor über 100 Jahren“, sagt Angela von Lührte, die für den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) die Geschichte des Dauerwaldvertrages erforscht hat. Die Parallelen zur aktuellen Debatte über die zukünftige Stadtentwicklung sind auffällig. Der BUND fordert deshalb einen neuen „Dauergrünvertrag“. „Angesichts des derzeitigen Baubooms müssen sich Stadtgesellschaft und Berliner Politik darüber verständigen, wo und in welchem Umfang gebaut werden kann und wo die Grenzen sind“, erklärt Andreas Faensen-Thiebes vom BUND. „Mit der gleichen Energie, mit der jetzt Bauflächen entwickelt werden, müssen auch wertvolle Flächen für Naturschutz und Erholung gesichert werden.“
Jens Sethmann
Arm, aber grün
Berlin ist eine waldreiche Stadt. 18,3 Prozent des Stadtgebiets sind mit Wald bedeckt. Von den etwa 17 000 Hektar Forstfläche sind 10.000 Hektar Dauerwald. Dem Land Berlin gehören darüber hinaus mehr als 10.000 Hektar Wald im Brandenburger Umland. Insgesamt besitzt Berlin also über 28.000 Hektar Wald. Die Berliner Forsten werden seit 2001 nach den Zertifikaten FSC und Naturland nachhaltig und ökologisch bewirtschaftet.
js
Zum Weiterlesen
„100 Jahre Berliner Dauerwaldvertrag“ von Angela von Lührte
Die Berliner Forsten: www.stadtentwicklung.berlin.de/forsten/
07.07.2019