Bei der Unterbringung Wohnungsloser oder von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen agiert jeder Berliner Bezirk nach eigenem Gutdünken. Dem so entstandenen Wirrwarr will Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) mit gesamtstädtischer Steuerung beikommen – eine Mammutaufgabe, müssen doch alle Einrichtungen und Quartiere auch einem Qualitätscheck unterzogen werden.
MieterMagazin: In Berlin gibt es eine Vielzahl an Wohlfahrtsverbänden, Projekten und privaten Trägern, die sich um die Unterbringung wohnungsloser Menschen kümmern. Wie und durch wen wird das bisher koordiniert?
Elke Breitenbach: Zuständig dafür sind die Bezirke. Wer in Gefahr gerät, seine Wohnung zu verlieren, vielleicht schon wohnungslos ist oder sogar auf der Straße lebt, geht zur Sozialen Wohnhilfe in seinem Bezirk und beantragt dort, untergebracht zu werden. Das ist für die Behörden übrigens eine gewaltige Aufgabe, denn die Zahl der Menschen ohne eine echte Bleibe in Berlin geht in die Zehntausende. Dazu kommt, dass wir heute von einer viel differenzierteren Gruppe als noch vor 10 oder 15 Jahren sprechen. So sind zum Beispiel die Obdachlosen auf Berlins Straßen internationaler, es sind deutlich mehr Frauen unter ihnen, wir haben da ältere Menschen mit Pflegebedarf. Im Gegensatz zu früher sind auch mehr Familien mit Kindern von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen und müssen dringend versorgt werden.
MieterMagazin: Vor einiger Zeit haben Sie ihren Plan vorgestellt, diese Unterbringung zu zentralisieren. Sie soll – über Bezirks- und Behördengrenzen hinweg – gesamtstädtisch gesteuert werden. Warum ist das notwendig?
Elke Breitenbach: Wir machen das, um die Menschen entsprechend ihren unterschiedlichen Bedürfnissen gezielter unterbringen zu können und damit die Wohnungslosenhilfe zu verbessern. Denn bisher wird das von den Bezirken ganz uneinheitlich gehandhabt und entschieden – was auch den unterschiedlichen Voraussetzungen im jeweiligen Bezirk und in der Behörde geschuldet ist: Die einen weisen EU-Bürger ab, andere vermitteln Antragsteller in für sie ungeeignete Unterkünfte. Menschen werden in Heimen untergebracht, deren Bedingungen man im Grunde gar nicht kennt, weil sie niemand kontrolliert hat.
Ein Beispiel: Vor vier Jahren, nach meinem Amtsantritt als Senatorin, hat das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) den Vertrag mit einem Betreiber gekündigt, weil seine Unterkünfte unzureichend waren und nicht einmal Mindeststandards erfüllten. Der hat sich dann ganz einfach an die Bezirke gewandt und seine Unterkünfte erneut vermietet – und das auch noch zu einem höheren Preis. Da ist im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ein Wildwuchs entstanden, den wir mit einer gesamtstädtischen Steuerung beenden müssen.
MieterMagazin: Wie soll die aussehen?
Elke Breitenbach: Wir haben gerade ein Computerprogramm weiterentwickelt, das auf einer Software zur Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge basiert. Mit diesem Programm kann dann beispielsweise schnell gecheckt werden: Wo sind Zimmer frei? Welche Bedingungen erfüllen die? Was wird das kosten? Also wenn etwa eine Unterkunft für einen Rollstuhlfahrer gesucht wird, muss nach barrierefreien Einrichtungen und Zimmern mit barrierefreien Toiletten und Duschen geschaut werden. Eine alleinstehende Mutter mit minderjährigen Kindern darf nicht in ein Wohnheim geschickt werden, in dem vor allem Menschen mit Suchtproblemen leben. Die Familie sollte möglichst auch noch in der Nähe ihres alten Zuhauses bleiben können, damit die Kinder ihre vertraute Umgebung, die Kita, die Schule und ihre Freunde nicht verlieren.
MieterMagazin: Das heißt, sie müssen sich erst einmal einen genauen Überblick über den Bestand der Unterbringungsmöglichkeiten verschaffen …
Elke Breitenbach: … und alle verfügbaren Zimmer kontrolliert haben, die dann ins System eingetragen werden. Deren Standards müssen vom Programm erfasst sein: Welche geeigneten Unterkünfte mit welchen Bedingungen haben wir? Von heute auf morgen ist das nicht zu stemmen. Aber im Februar kommenden Jahres wollen wir mit dem Pilotprojekt starten. Im Sommer 2021 soll das dann fachgerecht ausgewertet werden. Letztendlich wird es ein Prozess sein, der sich über zwei, drei Jahre erstreckt.
MieterMagazin: Und schließlich sollen die Menschen ja möglichst auch wieder aus der Unterbringung herauskommen und in eine eigene Wohnung ziehen …
Elke Breitenbach: Auch wenn es uns erst einmal um die Unterbringung geht – genau dieses Ziel dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren. Derzeit sind rund 35.000 Menschen von den Bezirken in den unterschiedlichsten Unterkünften untergebracht: in bereitgestellten Wohnungen, Wohnheimen, Hostels und Pensionen. Dieses Provisorium ist bei nicht wenigen zu einem Dauerzustand geworden. In den Unterkünften des LAF kommen etwa 20.000 Geflüchtete hinzu. Bei 50 bis 60 Prozent von ihnen ist das Asylverfahren längst abgeschlossen. Diese Menschen haben einen anerkannten Aufenthaltsstatus, bekommen Arbeitslosengeld oder Grundsicherung im Alter oder sie gehen arbeiten. Die Bezirke sind für ihre Unterbringung verantwortlich. Aber die Geflüchteten kommen nicht aus den Gemeinschaftsunterkünften raus, weil sie auf diesem Markt einfach keine Wohnung finden. Die haben bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften so gut wie keine Chance, und von den Privaten will ich gar nicht erst reden. Ganz davon abgesehen, dass diese Menschen eine Wohnperspektive brauchen, benötigen wir auch die Zimmer für andere, die darauf Anspruch haben.
MieterMagazin: Der Berliner Senat hat im Sommer dieses Jahres auch eine Bundesratsinitiative angestoßen, um Hartz-IV-Sanktionen für junge Erwachsene und Bedarfsgemeinschaften für Kinder abzuschaffen.
Elke Breitenbach: Leider ergebnislos. Nur Bremen und Thüringen haben noch dafür gestimmt, damit sind wir gescheitert. Dabei sind solche Sanktionen existenzbedrohend. Gerade wenn man an die Mietpreisspirale denkt: Es wird mehr und mehr Mieter geben, die ihre Wohnung einfach nicht bezahlen können.
Wir versuchen gegenzusteuern und haben die AV Wohnen, also die Kostenübernahme für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung im Alter, für Arbeitssuchende, Asylbegehrende und Sozialhilfeempfangende, zweimal angepasst. Wir mussten sie anpassen, weil die Mieten weiter und weiter steigen. Menschen mit geringem Einkommen haben keinen großen Spielraum: Sie können untervermieten, weniger heizen, am Inhalt des Kühlschrankes sparen. Ich kenne Fälle, da verschulden sich Mieter dramatisch, um ihr Zuhause zu behalten.
MieterMagazin: Welche Perspektive sehen Sie für diese Menschen?
Elke Breitenbach: Ich hoffe auf den Mietendeckel, der für die AV Wohnen von großer Bedeutung ist. Damit beispielsweise der alte Mann mit Grundsicherung nicht seine Wohnung verliert. Und auch die Familie mit Kindern in ihrem vertrauten Kiez bleiben kann. Und nicht zuletzt ist er auch wichtig für Geflüchtete, die endlich in einem eigenen Zuhause leben möchten.
MieterMagazin: Wir bedanken uns für das Gespräch.
Wo es Hilfen gibt
Drohender Wohnungsverlust? Nichts zu essen? Kein Schlafplatz für die Nacht? Die Zentrale Beratungsstelle für Menschen in Wohnungsnot bietet in Berlin seit über 40 Jahren ihre Hilfe an. Die erfolgt persönlich, vertraulich und selbstverständlich kostenlos. Auch wenn keine Wohnungen vermittelt werden und nicht bei der Wohnungssuche geholfen wird, konnten schon viele akute Notlagen gelindert oder auch abgewendet werden. Dafür stehen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Mitarbeitende in Verwaltungen und viele Ehrenamtliche bereit. Träger dieses Hilfsangebotes sind die Berliner Stadtmission und der Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V.
rm
30.10.2020