Im Grundsatz will Berlin keine landeseigenen Grundstücke mehr verkaufen. Was aber mit und auf dem vorhandenen öffentlichen Grund und Boden geschehen soll, ist immer wieder umstritten. Das Land Berlin habe keinen Plan für den Umgang mit seinem Grundbesitz, so die vielfache Kritik am Runden Tisch Liegenschaftspolitik.
Die Senatsverwaltung für Finanzen beabsichtigt die bisherige Liegenschaftspolitik auszuwerten und eventuell anzupassen. Dazu werden zurzeit Vorschläge aus den anderen Senatsverwaltungen gesammelt. „Das wird nicht zu einem kompletten Sinneswandel führen“, versichert Martin Detlaff, Vertreter der Finanzverwaltung am Runden Tisch. „Es geht wirklich nur um punktuelle Anpassungen.“ Anfang des nächsten Jahres soll es hierzu einen Senatsbeschluss geben.
Nachdem in den Neunziger- und Nullerjahren verschiedene Senatskoalitionen schon viel Tafelsilber verkauft hatten, setzte 2010 ein Umdenken ein. Es wurde eine „Transparente Liegenschaftspolitik“ ausgerufen, bei der seit 2013 alle landeseigenen Grundstücke einer Clusterung unterzogen werden. Das heißt, sie werden nach ihrer Nutzungsperspektive eingeteilt. Der größte Teil – 390 der 420 Quadratkilometer landeseigener Fläche – gehört zum Fachvermögen: Das sind Flächen, die für das Funktionieren der Stadt unerlässlich sind, etwa Verwaltungsstandorte, Schulen, Krankenhäuser, Polizei- und Feuerwachen, Straßen, Parks, Wälder und Gewässer. Die zweite Gruppe ist das Sondervermögen zur Daseinsvorsorge (SODA), das aktuell nicht direkt vom Land Berlin genutzt wird, aber für zukünftige Aufgaben gehalten werden soll. Dazu gehören zum Beispiel die Alte Münze am Molkenmarkt, das Palais am Festungsgraben und zentrale Grundstücke mit hohem Wertsteigerungspotenzial. Liegenschaften mit einer Entwicklungsperspektive sollen nach einem Konzeptverfahren an geeignete Investoren abgegeben werden. Als letztes gibt es noch die Grundstücke mit Vermarktungsperspektive, die veräußert werden sollen. Die Clusterung nimmt der Portfolioausschuss vor, in dem die beteiligten Senatsverwaltungen, die Bezirke und die Berliner Immobilienmanagement (BIM) sitzen.
Seit 2020 Erbbaurecht statt Verkauf
Seit 2020 werden landeseigene Grundstücke nicht mehr verkauft, sondern – falls Berlin die Liegenschaften nicht für eigene Zwecke benötigt – per Erbbaurecht vergeben. Das heißt, der Boden bleibt im öffentlichen Eigentum, gegen Zahlung eines Erbbauzinses können Erbbaurechtsnehmer:innen aber das Grundstück bebauen und wie eigenen Besitz bewirtschaften. Die Laufzeit beträgt 40 bis 99 Jahre. Dennoch geht das Grundstück samt Bebauung wieder an den Eigentümer, also das Land Berlin zurück. Den Zuschlag für ein landeseigenes Erbbau-Grundstück soll nicht bekommen, wer das meiste Geld bietet, sondern wer das beste Nutzungskonzept vorlegt.
Diese „Konzeptverfahren“ genannte Vorgehensweise wurde erstmals 2011 am ehemaligen Blumengroßmarkt in Kreuzberg praktiziert. Aufgeteilt in vier Baufelder entstand hier ein innovatives Wohn- und Gewerbequartier, das schon mehrmals mit Architekturpreisen ausgezeichnet wurde. Aus heutiger Sicht wirkt es allerdings befremdlich, dass bei dieser Konzeptvergabe die Schaffung von preiswerten Mietwohnungen nicht gefordert war. Die Idee, dem besten Konzept ein Baugrundstück zu geben, erntet grundsätzlich Zuspruch.
Am Ablauf gibt es aber harsche Kritik. „Konzeptverfahren sind extrem aufwendig“, sagt der Architekt Florian Köhl, der sich mehrmals daran beteiligt hat. Für die Ausarbeitung eines Konzepts müsste man mehrere zehntausend Euro aufwenden, die bei Nichtzuschlag für die Katz‘ sind. Das ist besonders ärgerlich, wenn die BIM wie in zwei Fällen das Verfahren komplett aufhebt. „Die BIM ist nicht in der Lage, diese Verfahren durchzuführen“, kritisiert Köhl. „Ich finde das extrem enttäuschend und in der Bilanz katastrophal.“
Von Fall zu Fall neue Regeln
Nach welchen Kriterien der Zuschlag im Konzeptverfahren erteilt wird, legt ein Steuerungsausschuss für jede Vergabe neu fest. Dabei sollen stadtentwicklungs-, wirtschafts-, kultur- und sozialpolitische Ziele berücksichtigt werden – die Gewichtung ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Der Runde Tisch Liegenschaftspolitik hat einen Beirat für die Konzeptverfahren eingerichtet, der seit einem Jahr erfolglos versucht, einen Durchblick beim Vergabeablauf zu bekommen. „Welche Grundstücke kommen nach welchem Prozess in die verschiedenen Ausschüsse? Wer entscheidet darüber nach welchen Kriterien? So eine Übersicht fehlt“, sagt Ulrike Hamann-Onnertz, die als BMV-Geschäftsführerin Mitglied dieses Beirats ist. „Transparenz ist da nicht zu erkennen.“ Sie ist besonders erstaunt, dass die Schaffung von leistbaren Wohnungen nur eine von vielen Anforderungen ist.
Die unklaren Regeln führen aktuell zu einem Streit auf dem Dragonerareal in Kreuzberg. In dem Modellprojekt sollen vereinbarungsgemäß 20 Prozent der Wohnungen durch Genossenschaften errichtet werden.
Im Portfolioausschuss musste der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg aber sein Veto gegen die Übertragung einer Baufläche an die städtische Wohnungsbaugesellschaft WBM einlegen, weil sonst zu wenig Platz für die Genossenschaften übrig geblieben wäre. „Das Ziel wird durch die Hintertür aufgekündigt“, beschwert sich der Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne), der davor warnt, hier ein „Symbolschlachtfeld“ aufzumachen. „Das Dragonerareal sehe ich als Lackmustest für die Liegenschaftspolitik.“ Ohne verbindliche Regeln würde die Bodenfrage bei den neu zu bauenden Stadtquartieren wie dem Blankenburger Süden, dem Schumacher-Quartier oder dem Neuen Gartenfeld in noch viel größeren Dimensionen ausgefochten werden.
„Die Zickzack-Kurse in der Bodenpolitik machen dieses Land arm“, sagt Daniela Brahm von der Initiative StadtNeudenken. „Es werden immer nur Einzelprojekte irgendwie durchs Nadelöhr gedrückt. Es gibt keine Strategie.“ Die angekündigte Neujustierung der Berliner Liegenschaftspolitik müsse unbedingt auch am Runden Tisch diskutiert werden.
Jens Sethmann
Runder Tisch Liegenschaftspolitik – Einfluss auch ohne Entscheidungsträger
Der Runde Tisch Liegenschaftspolitik wurde 2012 von der Initiative StadtNeudenken gegründet, um das Abgeordnetenhaus bei der Neuausrichtung seiner Liegenschaftspolitik zu unterstützen. Der Runde Tisch ist ein zivilgesellschaftliches Gremium ohne Entscheidungsbefugnis. An den Sitzungen im Abgeordnetenhaus nehmen aber regelmäßig Abgeordnete, Senats- und Bezirksvertreter teil, und es werden sowohl grundsätzliche Fragen als auch der Umgang mit einzelnen Grundstücken diskutiert. Daher hat der Runde Tisch durchaus Einfluss auf die Politik. Die Sitzungen sind öffentlich, werden live gestreamt und auf Youtube dokumentiert.
js
Einfamilienhaus-Grundstücke für betreutes Wohnen
Berlin vergibt in diesem Jahr 31 Einfamilienhausgrundstücke in Erbpacht für soziale Zwecke. Am 2. August startete dafür ein Interessenbekundungsverfahren, an dem sich ausschließlich gemeinnützige soziale Träger beteiligen durften.
Vorgesehen sind hier betreute Wohnformen. Die sozialen Träger müssen ein Nutzungskonzept einreichen und können dann auf eine Direktvergabe hoffen. Sie schließen mit der BIM einen Erbbaurechtsvertrag über 40 Jahre ab. Die Konditionen sind günstig: Als Erbbauzins sind pro Jahr 1,8 Prozent des Grundstückswerts zu zahlen, für gemeinbedarfsorientierte Nutzungen wird der Bodenwert aber um 50 Prozent reduziert. Die meist unbebauten Grundstücke liegen überwiegend in Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf.
js
Runder Tisch Liegenschaftspolitik:
stadtneudenken.net/runder-tisch
Liegenschaftspolitik des Senats:
www.berlin.de/sen/finanzen/vermoegen/liegenschaften/artikel.702616.php
27.10.2024