Als Mark Twain 1878/1879 Europa bereiste, wunderte er sich, warum die Deutschen ihre Häuser aus Stein bauen, wo sie doch so viel Holz in ihren Wäldern haben. Alle zwei Minuten wachsen heutzutage 60 Kubikmeter Holz nach – genug für den Bau eines Einfamilienhauses. Auch mehrgeschossige Wohnbauten aus Holz sind heute problemlos möglich.
Als sich Katharina Fichtenau, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei den Grünen, vor zwei Jahren auf Wohnungssuche begab, war sie bald frustriert: Die Grundrisse der Wohnungen entsprachen nicht ihren Vorstellungen und Ökologie wurde bei den zumeist oberflächlichen Sanierungen klein geschrieben. Die Alternative: ein Haus nach ihren Wünschen. Über Aushänge im Kiez fand sie Gleichgesinnte. Jetzt entsteht in der Esmarchstraße 3 im Pankower Bötzowviertel das weltweit erste siebengeschossige Wohnhaus aus Holz.
Bereits 1930 beschrieb der Architekt Konrad Wachsmann in seinem Buch „Holzhausbau“ seine Vision: „Maschinen in der Fabrik produzieren heute das Holzhaus, nicht der Handwerksbetrieb.“ Weil er Jude war, verbrannten die Nazis sein Buch und trieben ihn in die Emigration. Anfang der 1990er Jahre griff der Freistaat Bayern seine Idee auf und initiierte den Bau von 25 drei- und viergeschossigen Holzhäusern. Mehr Geschosse waren nach der Landesbauordnung damals nicht zulässig.
In Berlin sind mittlerweile Holzbauten mit bis zu fünf Vollgeschossen möglich – für höhere Gebäude sind ergänzende Sicherheitsmaßnahmen vorgeschrieben. Die Berliner Architekten Tom Kaden und Tom Klingbeil haben deshalb für ihr Projekt im Bötzowviertel das Treppenhaus aus Stahlbeton vom eigentlichen Gebäude getrennt und über kleine Brücken, ebenfalls aus Stahlbeton, mit den jeweiligen Etagen verbunden. Im Brandfall dient dies als Fluchtweg. In jeder Wohnung gibt es Rauchmelder, die Außenwände sind mit nichtbrennbaren Baustoffen verkleidet. Tragwerk und Fassade bestehen aus Brettschichtholz.
Die Grundrisse der sechs 120 bis 150 Quadratmeter großen Wohnungen gestalteten die Architekten nach den Wünschen der Bewohner. Auch Tom Kaden und Tom Klingbeil werden im März 2008 mit ihrem Büro in die Esmarchstraße ziehen. 1800 bis 2300 Euro kostet der Quadratmeter einschließlich Grundstück – in konventioneller Bauweise wären es zehn Prozent mehr. Pro Quadratmeter und Jahr werden später nur etwa 40 Kilowattstunden Energie benötigt, auf lediglich 300 bis 350 Euro für eine 150-Quadratmeter-Wohnung schätzen die Architekten die Heiz- und Warmwasserkosten. Zurzeit planen sie bereits ein Nachfolgeprojekt in der Pankower Uhlandstraße. Mark Twain würde sich freuen.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 12/07
Der Welt erster Holz-Siebengeschosser: Esmarchstraße 3
Foto: Kaden und Klingbeil
06.11.2016