Um das vor eineinhalb Jahren nach langer Debatte eingeführte Gleichbehandlungsgesetz ist es erstaunlich ruhig geworden. In Berlin sind bislang keine Fälle von Diskriminierung vor Gericht gelandet. War das Gesetz daher überflüssig, wie einige Vermieterverbände meinen?
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), früher als Antidiskriminierungsgesetz diskutiert, war von Anfang an ein Kompromiss. Gerade im Wohnbereich hat die Vermieterlobby zahlreiche Ausnahmeregelungen durchgesetzt. So greift das Diskriminierungsverbot dann nicht, wenn Vermieter und Mieter auf einem Grundstück wohnen. Und Vermieter, die weniger als 50 Wohnungen im Bestand haben, dürfen auch weiterhin schwule oder behinderte Bewerber ablehnen, hier ist ausschließlich die Ungleichbehandlung wegen der ethnischen Herkunft unzulässig. Besonders erleichtert zeigte sich die Wohnungswirtschaft darüber, dass auch künftig eine Mieterauswahl zugunsten „sozial stabiler Bewohnerstrukturen“ getroffen werden darf. Darauf kann sich im Grunde jeder Vermieter berufen, genaue Regelungen sind nicht gegeben.
Nach wie vor hätte daher die fünfköpfige türkischstämmige Familie Cönt vor Gericht kaum Chancen, sich zu wehren. Unter Hinweis auf den angeblich hohen Ausländeranteil wurden sie von einer Genossenschaft als neue Mieter abgelehnt. Das MieterMagazin hatte in seiner Ausgabe 3/05, also vor Inkrafttreten des AGG, über den Fall berichtet.
„Da kommt noch viel Arbeit auf die Gerichte zu, die Ausnahmeregelungen sind viel zu schwammig gefasst“, meint Reza Rassouli vom Anti-Diskriminierungsbüro Berlin. In seiner Beratung spielt das neue Gesetz bisher keine große Rolle. „Das hat sich noch nicht herumgesprochen, außerdem ist die Diskriminierung schwierig nachzuweisen“, meint Rassouli.
Kritik aus Brüssel
Auch beim Antidiskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bundes hatte man es noch nicht mit gerichtsrelevanten Fällen zu tun – „was nicht heißt, dass es sie nicht gibt“, wie Florencio Chicote betont. Nach 50 Jahren Migration und 50 Jahren kollektiver Erfahrung von Diskriminierung gebe es nun endlich eine rechtliche Handhabe, sich zur Wehr zu setzen. Das sei noch nicht in allen Köpfen angekommen. Die aufgebauten Hürden, insbesondere die Beschränkung auf Bestände über 50 Wohnungen, seien willkürlich und entsprächen nicht den Richtlinien der EU, so Chicote. „Wir raten Betroffenen, zu klagen und bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen.“
In der Tat gibt es bereits deutliche Signale aus Brüssel, dass die bundesdeutsche Regelung nicht mit den Mindeststandards der EU-Richtlinien vereinbar ist. Auf einer Fachtagung in Berlin Anfang Oktober hatte der Vertreter der EU-Kommission sein Unverständnis über die geltenden Einschränkungen geäußert. Nach Angabe der zuständigen Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Integration müsse dies aber zunächst von den Juristen der EU-Kommission geprüft werden.
Berlin hat als bisher einziges Bundesland eine Antidiskriminierungsstelle eingerichtet. Zusammen mit Beratungsstellen von freien Trägern soll hier demnächst eine Datenbank zur Erfassung von Diskriminierungsfällen aufgebaut werden.
Birgit Leiß
MieterMagazin 12/07
Am Fall der Familie Cönt hätte auch das Antidiskriminierungsgesetz nichts geändert
Foto: Rolf Schulten
Weitere Informationen und Erläuterungen zum AGG:
Landestelle für Gleichbehandlung
Oranienstraße 106, 10969 Berlin
Telefon 9028-2708
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Zum Thema
Was bringt das Gleichbehandlungsgesetz?
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist am 18. August 2006 in Kraft getreten. Es besagt, dass niemand aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Alters, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts, der sexuellen Identität oder einer Behinderung benachteiligt werden darf. Das Gesetz gilt nicht nur für den Arbeits- und Wohnbereich, sondern auch beim Einkauf, beim Abschluss von Versicherungen, bei der Eröffnung eines Bankkontos und so weiter. Es gibt jedoch zahlreiche Ausnahmen, nicht nur für Vermieter. Wer gegen das Diskriminierungsverbot verstößt, hat den entstandenen Schaden zu ersetzen (zum Beispiel Kosten für Wohnungssuche).
bl
15.07.2013