In großen Wohnquartieren ballen sich soziale, kulturelle und sprachliche Unterschiede meist mehr als im beschaulichen Altbaukiez. Konflikte in der Nachbarschaft sind häufig die Folge. Die Wohnungsgesellschaft Gesobau hat deshalb Mitte letzten Jahres das Integrationsprojekt „Besser miteinander wohnen!“ ins Leben gerufen. Auf einer Integrationskonferenz tauschten im November Wohnungsunternehmen aus ganz Deutschland Ideen und Erfahrungen aus.
Eigentlich wollte Christel Ghaddar im Sommer nur einen Computer-Kurs mitmachen. Nun hilft sie den Kindern ihrer ausländischen Nachbarn bei den Hausaufgaben. Bis zu dreimal in der Woche arbeitet sie ehrenamtlich in der Nachbarschaftsetage, die die Gesobau im Rahmen ihres Integrationsprojektes „Besser miteinander wohnen!“ im Märkischen Viertel eingerichtet hat. Manchmal übernimmt sie auch die Kinderbetreuung und bastelt mit den Kleinen. Dann zum Beispiel, wenn die türkischen Mütter gerade im Deutschkurs sitzen – auch das ein Angebot in der Nachbarschaftsetage. „So lerne ich viele Nachbarn besser kennen“, erzählt Ghaddar. Seit 28 Jahren wohnt sie im Märkischen Viertel. „Die Kinder und Eltern sind sehr dankbar für dieses Angebot“, ist ihre Erfahrung.
Mehr als eine passende Wohnung
„Vor allem fehlende Sprachkenntnisse und Bildungsdefizite sind entscheidende Integrationsbarrieren“, sagt Helene Böhm. Sie ist bei der Gesobau für das Soziale Management zuständig. Wenn sie von Integration spricht, meint sie nicht nur Migranten, sondern auch die wachsende Anzahl an armen und bildungsfernen Mietern. „Heute leben in unseren Wohnungsbeständen sehr unterschiedliche Mieter, die sich durch Herkunft, Sprache, Alter, Einkommen und Familienstand stark voneinander unterscheiden“, so Böhm. In der Nachbarschaftsetage findet deshalb regelmäßig eine mehrsprachige Sozialberatung statt. Dort wird Mietern bei der Jobsuche, bei Bewerbungs- und Behördenschreiben geholfen und ausgebildete Mitarbeiter vermitteln ehrenamtlich bei der Lösung von Konflikten in der Nachbarschaft. Speziell für Kinder gibt es Ferienangebote und Bastelkurse, für Senioren PC-Kurse und Selbstbehauptungstrainings. „Wer sich im Viertel ehrenamtlich engagieren will – etwa als Lesepate für Kinder oder im Freiwilligen Besuchsdienst für alte oder kranke Menschen – kann sich ebenfalls an die Nachbarschaftsetage wenden.“ Für ihre Wohnungsbestände in Buch plant die Gesobau ein ähnliches Nachbarschaftsprojekt.
Zum Wohnen gehöre mehr als eine passende Wohnung, betont Böhm. „Wichtig ist doch auch ein Umfeld, in dem wir uns wohlfühlen, und Nachbarn, mit denen wir gut leben können.“ Genau das wolle die Gesobau mit ihrem Integrationsprojekt fördern. „Ein Wohnviertel lebt von seinem guten Image, der Qualität seiner Häuser und seiner sozialen Infrastruktur. Das verlangt nicht nur Investitionen in Steine, sondern genauso in das Miteinander der Menschen“, sagt Böhm. Verbunden mit dieser sozialen Verantwortung sind aber auch ökonomische Interessen: Dass es um das Image von Wohnsiedlungen nicht gut bestellt ist, spüren Wohnungsgesellschaften wie die Gesobau besonders an zunehmendem Leerstand.
Mit etwa 42.000 Wohnungen in Reinickendorf, Wedding, Pankow, Weißensee, Buch und Wilmersdorf zählt die Gesobau zu den größten kommunalen Wohnungsunternehmen Berlins. Im Märkischen Viertel in Reinickendorf gehören ihr 95 Prozent der Wohnungen. Hier liegt deshalb auch der Schwerpunkt des Integrationsprojektes. Die Gesobau holte sich dafür tatkräftige Hilfe: Barbara John, die langjährige Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, unterstützt die Gesobau als Integrationsbeauftragte. „Sie ist Ansprech- und Diskussionspartnerin und unterstützt uns darin, Mieter zu aktivieren“, so Böhm. Wichtige Kooperationspartner sind außerdem die zahlreichen Akteure vor Ort: Kitas, Schulen, Jugendzentren, freie Träger der Sozialarbeit, aber auch Geschäfte und Unternehmen aus dem jeweiligen Wohnumfeld.
Dass die Bewohner sich aktiv beteiligen und sich dadurch mitverantwortlich für eine gute Nachbarschaft fühlen, ist entscheidend für einen dauerhaften Erfolg. So entstand zusammen mit einer Gruppe eher schwieriger Jugendlicher aus dem Märkischen Viertel das Sportprojekt „BoxGym Hof 26“. Auf dem Programm stehen zum Beispiel Trainingseinheiten mit Gästen wie dem Profiboxer Markus Beyer. Es finden aber auch Exkursionen und Workshops statt. „Die Jugendlichen des BoxGyms feilen zum Beispiel gerade an ihrer ersten CD-Produktion“, erzählt Böhm.
Bewohner erarbeiten Hausordnung
Zurzeit arbeitet die Gesobau zusammen mit der Humboldt-Universität an einem weiteren Nachbarschaftsprojekt: Eine Hausgemeinschaft wird eingeladen, eine eigene, ihren Bedürfnissen entsprechende Hausordnung zu erarbeiten. „Durch Beteiligung aller kann ein gemeinsames Regelwerk gefunden werden, in dem sich die Mieter wiederfinden“, erklärt Böhm den Gedanken dahinter.
Strukturen, die sich über Jahre gebildet und festgefahren haben, lassen sich nicht von heute auf morgen ändern. Die Gesobau hat sich deshalb auf einen längerfristigen Prozess der Nachbarschaftsbildung eingestellt. „Unsere Angebote wurden von Anfang an gut angenommen“, freut sich Böhm. „Sprachkurse und Hausaufgabenhilfe sind überbucht und die Bewohner nutzen die angebotenen Möglichkeiten.“
Kristina Simons
MieterMagazin 12/07
Im „BoxGym Hof 26“ der Gesobau mischen Jugendliche im Studio einen Pop-Song für ihre erste CD
alle Fotos: Christian Muhrbeck
„Sprachkenntnisse und Bildung sind wichtig“: Gesobau-Sozialmanagerin
Helene Böhm
Mit Bastelnachmittagen …
… und Hausaufgabenhilfe sind auch die Kleinen in der Nachbarschaftsetageder Gesobau gut versorgt
Zum Thema
Integration trotz Segregation
Unter dem Motto „Gut miteinander wohnen!“ trafen sich am 9. November Vertreter von Wohnungsunternehmen, Kommunen und Vor-Ort-Initiativen im Märkischen Viertel. Auf dieser Integrationskonferenz wurden vor allem Ideen und Erfahrungen ausgetauscht. Schnell wurde klar: Die Probleme wie auch die Konzepte gleichen sich. Wohnen übernimmt heute beim Thema Integration die Funktion, die Arbeit noch vor etwa 30 Jahren eingenommen hat – so eine zentrale Aussage. Gerade in großen Wohnsiedlungen leben heute überdurchschnittlich viele Menschen, die einen Großteil ihrer Zeit zu Hause und nicht mehr am Arbeitsplatz verbringen – sei es, weil sie arbeitslos, zu alt oder noch zu jung sind. Häufig ziehen sich einzelne Bewohnergruppen zurück und bleiben unter sich. Fachleute sprechen dabei von „Segregation“. Es gehe gar nicht darum, die Bildung solcher Parallelgesellschaften rückgängig zu machen – darin waren sich die Vortragenden einig. Vielen Menschen gibt es gerade ein Gefühl von Schutz und Sicherheit, sich mit Menschen gleicher Herkunft oder gleichen sozialen Standards zusammentun. Integration trotz Segregation ist deshalb die Devise.
ks
15.07.2013