Prenzlauer Berg ist zum Zuzugsort von Gutbetuchten geworden, die ins Wohneigentum streben. Ganz gegen den Trend und ungeachtet des hohen Wohnungsleerstands in der Stadt werden hier Wohnhäuser neu gebaut. In dem ohnehin schon dicht bebauten Stadtteil werden auch noch die letzten Lücken geschlossen, auch vor Grünflächen wird nicht Halt gemacht. Das Rennen um die letzten Filetstücke ist im vollen Gange.
Der Mangel an Grün- und Freiflächen galt als eins der größten Probleme in den Altbauvierteln von Prenzlauer Berg. In den Rahmenplänen der Sanierungsgebiete war daher vorgesehen, Baulücken, Brachgrundstücke und Garagenhöfe in Grünanlagen und Spielplätze zu verwandeln. Selbst wenn alle Lücken begrünt worden wären, bliebe der rechnerische Bedarfsrichtwert unerreicht. Doch die Umsetzung der Pläne verlief sehr schleppend, vor allem weil dem Land Berlin für den Ankauf der meist in Privatbesitz befindlichen Grundstücke das Geld fehlte. Auch nach der Anlage einiger neuer Grünflächen und der Neugestaltung vorhandener Spielplätze ist das Gründefizit in Prenzlauer Berg immer noch immens. Dennoch hat der Bezirk in den letzten Jahren mehrere Grünflächenplanungen aus den Sanierungsplänen gestrichen, um dort Wohnungsbau zu ermöglichen.
Die Freifläche Pasteurstraße 20/22 war für einen Spielplatz vorgesehen, auf der Nummer 20 steht nun schon der Rohbau eines Wohnhauses. Als noch die Grube ausgebaggert wurde, hat der Bauträger schon „100 Prozent verkauft“ auf das Bauschild geklebt. Eine ganze Reihe weiterer Grundstücke, auf denen mal Spielplätze vorgesehen waren, sind längst bebaut: Die Marienburger Straße 31 a und die Christburger Straße 26 sind schon bezogen, in der Jablonskistraße 9 und in der Esmarchstraße 3 drehen sich die Baukräne. Und es geht weiter: Im Februar änderte das Bezirksamt Pankow das Sanierungsziel für das Grundstück Kanzowstraße 13/14 von Spielplatz in Wohnbebauung – und gab damit dem Werben einer Baugruppe nach, die gerade hier ein sechsgeschossiges Wohnhaus errichten will. Im April hat der Bezirk auch auf die geplante öffentliche Grünfläche bei der Bebauung des „Marthashof“-Geländes an der Schwedter Straße 37-40 verzichtet. Im Juni wurde dann auch die Spielplatzplanung für den Garagenhof in der Jablonskistraße 29/30 aufgegeben und der Weg für Wohnungsbau freigemacht. Begründet wird dies mit der Fertigstellung des Stadtplatzes „Marie“ in der Marienburger Straße, es bestünde keine Notwendigkeit mehr für weitere Spielflächen.
Steigende Kinderzahl, weniger Grünflächen
„Wir versuchen, in den dicht bebauten Gebieten so viele Grünflächen wie möglich zu halten“, sagt der Pankower Stadtrat für Stadtentwicklung, Michail Nelken (Linke). „Wenn es aber keine Chance gibt, sie innerhalb der Sanierungszeit zu realisieren, muss man die Ziele aufgeben.“ Ansonsten würden die Grundstückseigentümer den Bezirk „in Grund und Boden klagen“, weil sie an der Verwertung ihrer Grundstücke gehindert werden.
Die jüngsten Entscheidungen, Grünflächenplanungen aufzugeben, basieren auf drei bis fünf Jahre alten Daten. In der Zwischenzeit ist die Anzahl der Kinder in den Quartieren aber deutlich angestiegen – und damit der Bedarf an Spielplätzen. Das Problem ist auch finanzieller Natur: Die Grundstücke müssen gekauft werden, der Bezirk muss die Herrichtung der Grünanlagen und Spielplätze bezahlen und für die Unterhaltung aufkommen.
Die Begehrlichkeiten sind groß. Der Bezirk wird bestürmt von Bauträgern und Baugruppen, die ihr Traumgrundstück für ihre Wohnwünsche gefunden haben und dort bauen wollen. Auf dem direkt am Ringbahngraben gelegenen Grundstück Greifenhagener Straße 19 – bislang ebenfalls für einen Spielplatz vorgesehen – will ein Projektentwickler mit bahnbegeisterten Menschen eine Baugruppe bilden und ein „Trainspotting“-Haus bauen, von dem aus man den Zugverkehr auf der Ringbahn bestens beobachten kann. Kaum eine Brachfläche ist noch nicht ins Visier von Immobilienkaufleuten und Baugruppen geraten. So möchte der Träger des „Schweizer Gartens“, einer ziemlich massiven Townhouse-Wohnanlage am Friedrichshain, nach dem gleichen Prinzip auf der „Werneuchener Wiese“ bauen. Diese große Freifläche liegt direkt am Volkspark Friedrichshain und hat seit langem einen planerisch ungeklärten Status. Ob die „Werneuchener Wiese“ bebaut werden soll, ist im Bezirk sehr umstritten. „Ich würde sie gern freihalten“, sagt Michail Nelken. „Wir versuchen, die Verwertungsinteressen im Zaum zu halten.“
Auf bestimmte Standorte fixiert
Klar gegen eine Bebauung ist der Bezirk beim St. Marien- und Nikolai-Friedhof an der Heinrich-Roller-Straße, den die St. Marien-Kirchengemeinde zum Teil als Wohnbauland verkaufen möchte. Das Vorhaben stößt bei Anwohnern auf Widerstand. Der Bezirk wird nun das Gelände mit einem Bebauungsplan als Grünfläche sichern.
Auch die Bahnflächenvermarktungsgesellschaft Vivico will auf den Zug aufspringen und versucht, einen Teil des ehemaligen Güterbahnhofs am Mauerpark in Bauland für Townhouses umzuwidmen. Das Gelände ist nach wie vor vollständig für die Erweiterung des Mauerparks vorgesehen. Während Pankow auf einer vollständigen Realisierung des Parks beharrt, scheint der Bezirk Mitte, zu dem dieser Teil der Fläche gehört, bereit zu sein, hier eine Teilbebauung zuzulassen.
Wenn man daneben die großen Bauvorhaben sieht, die jetzt zum Beispiel rund um den Senefelderplatz auf unstrittigem Bauland hochgezogen werden, kann man schon den Eindruck gewinnen, dass Prenzlauer Berg zugebaut wird. Auf dem Süden des Ortsteils lastet der größte Druck. Die Baugruppen sind sehr fixiert auf die Stadtteile, die ihrer Lebensart entsprechen und in denen sie schon leben. So drängen alle an den Kollwitzplatz, an den Helmholtzplatz und ins Bötzowviertel, obwohl es woanders besser geeignete und billigere Grundstücke gäbe – selbst in Prenzlauer Berg. Auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs werden sogar händeringend Bauwillige gesucht. Vom fehlenden Glamour dieses Standorts hat sich eine Baugemeinschaft immerhin nicht abschrecken lassen und errichtet hier Stadthäuser und ein Mehrfamilienhaus.
Im angrenzenden Friedrichshain ist der Baugruppenboom noch nicht so recht angekommen – Ausnahme: das Entwicklungsgebiet Rummelsburger Bucht, wo ebenfalls schon einige Townhouse-Anlagen von Baugemeinschaften hochgezogen werden.
Jens Sethmann
MieterMagazin 12/07
Begehrlichkeiten groß: Rund um den Kollwitzplatz drängen
sich die Baugruppen
Fotos: Christian Muhrbeck
Statt des geplanten Spielplatzes entsteht ein Wohnhaus: Jablonskistraße 29-30
Die Baugruppen werden von der Politik hofiert: Neubauvorhaben in der Kollwitzstraße, Ecke Belforter Straße
Die Baugruppen werden von der Politik hofiert: Neubauvorhaben in der Pasteurstraße
Mikrozensus 2006
In Pankow ist der Reichtum ausgebrochen
Dem Mikrozensus 2006 zufolge stieg in den vergangenen zehn Jahren das Pro-Kopf-Einkommen in Pankow um satte 29 Prozent. Das ist die höchste Steigerungsrate unter den Bezirken. Ein großer Teil des Wachstums geht auf das Konto des Ortsteils Prenzlauer Berg, der sich zum Zuzugsort der Jungen, Gebildeten und Erfolgreichen entwickelt hat. Der durchschnittliche Pankower – Kinder und Rentner sind mit eingerechnet – hat ein Einkommen von 1000 Euro im Monat. Pankow hat damit zu den traditionellen Wohlstandsbezirken Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf aufgeschlossen.
js
Was sind Baugruppen?
In Prenzlauer Berg und Mitte boomen seit etwa zwei Jahren die Baugruppen. Eigentumswillige schließen sich zusammen, um gemeinsam ohne einen kommerziellen Bauträger ein Wohnhaus nach eigenen Vorstellungen zu bauen. Um sich an einer Baugruppe zu beteiligen, muss man schon etwas Geld in der Hinterhand haben. Die Quadratmeterpreise liegen meist bei 1600 bis 2000 Euro. Die Baugruppen verwirklichen sich denn auch in der Regel den Wunsch nach einem gehobenen Wohnstandard. Sie entscheiden sich bewusst für ein Leben in der Stadt und gegen das Einfamilienhäuschen auf der grünen Wiese. Nicht nur weil sie der Stadt als Steuerzahler erhalten bleiben, werden die Baugruppen von der Stadtpolitik gern gesehen und entsprechend hofiert. Mit ihnen sind nun endlich jene „neuen Stadtbürger“ beziehungsweise „Urbaniten“ aufgetaucht, die sich der Senat schon seit zehn Jahren herbeisehnt. Mit so viel offizieller Wertschätzung überhäuft, treten die Baugruppen auch äußerst selbstbewusst auf – was die Forderung nach Umsetzung ihrer Wünsche betrifft.
js
15.07.2013