In vielen Ost- und West-Berliner Großsiedlungen gibt es noch Müllschlucker, die es den Bewohnern erlauben, ihren Müll aus den oberen Etagen direkt zu entsorgen. Während diese Müllabwurfanlagen lange Zeit als besonderes Ausstattungsmerkmal galten, sind sie heute aus Umwelt-, Kosten- und Sicherheitsgründen umstritten. Viele Mieter wollen auf den Komfort jedoch nicht verzichten.
Klappe auf, Müll rein: Bequemer wird man seine Abfälle kaum los. Doch Essensreste, Plastik, Zigarettenkippen, Papier, all das gelangt unsortiert von den einzelnen Etagen über einen langen Schacht in einen großen Restmüllbehälter im Müllsammelraum des Hauses. Hier wird der Abfall in der Regel zu Ballen gepresst. An Sortieren und Wiederverwerten ist dann nicht mehr zu denken. Vor allem deshalb sind Müllschlucker problematisch, denn Recycling steht nach wie vor hoch im Kurs. So ist zum Beispiel Altglas der bedeutendste Rohstoff bei der Herstellung neuer Glasbehälter. Nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe (DUH) besteht heute jede Flasche zu 70 bis 75 Prozent aus Altglas. Altpapier kann bis zu fünfmal wiederverwertet werden, allein Kartons bestehen zu über 60 Prozent aus recycelten Papierfasern.
Glas in den Müllschlucker macht Krach
Sammelbehälter für Verpackungsmaterial, Glas, Papier und Bioabfall stehen laut Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR) in der Regel zwar zusätzlich in den Innenhöfen der mit Müllschluckern ausgestatteten Mehrgeschosser. Die Mülltrennung lasse jedoch zu wünschen übrig, sagt Dagmar Neidigk, Sprecherin des Wohnungsunternehmens „Stadt und Land“. „Es landen zum Beispiel leider immer wieder Glasflaschen im Müllschlucker und nicht in den Wertstofftonnen.“ Das ist nicht nur in ökologischer Hinsicht bedenklich, sondern verursacht vermeidbaren Lärm.
Die Berliner Stadtreinigung hat vor einigen Jahren zusammen mit den Berliner Wohnungsgesellschaften begonnen, Mieter über das Thema Mülltrennung aufzuklären. „Seitdem hat es sich deutlich verbessert“, so BSR-Sprecherin Sabine Thümler, „auch wenn es natürlich bequemer ist, sämtlichen Müll einfach in die Abwurfanlagen zu kippen, als Glas, Papier und Verpackungsmüll im Hof getrennt zu entsorgen.“
Rund 4000 Müllschlucker sind nach Angaben der BSR in der Hauptstadt derzeit noch in Betrieb. Ihre Zahl nimmt zwar ab, doch häufig würden sich vor allem die Mieter gegen die Stilllegung wehren. „Für alte und gehbehinderte Menschen sind Müllschlucker natürlich eine Erleichterung“, weiß BSR-Sprecherin Thümler. Dafür hat auch Dagmar Neidigk von der „Stadt und Land“ Verständnis: „Viele unserer Mieter sind älter und schätzen die einfache Art, Müll zu entsorgen.“ In den Gebäudebeständen der „Stadt und Land“ sind 52 Müllschlucker in Betrieb, davon 42 allein in der John-Locke-Siedlung in Berlin-Lichtenrade. „Wir würden sie aus ökologischen und aus Betriebskostengründen gerne alle schließen“, sagt Neidigk. Doch 82 Prozent der Mieter seien dagegen, wie eine Befragung ergeben habe. Der Platz in der Küche reiche nicht für getrennte Sammelbehälter, der Aufzug würde bei einer Entsorgung im Hof häufiger benutzt und damit teurer, der Hausflur werde stärker verschmutzen – so die häufigsten Argumente der „Stadt und Land“-Mieter.
Wertstoffstation im Gebäude nicht angenommen
Über die Stilllegung von Müllschluckern wird auch beim Wohnungsunternehmen Degewo viel diskutiert. „Es gibt keine Pauschallösungen“, weiß Degewo-Sprecherin Erika Kröber. Je höher die Häuser, desto unbeliebter sei die Schließung der Ab-wurfanlagen. „Man benötigt natürlich Alternativen und es muss jeweils geprüft werden, ob es auf dem Grundstück Möglichkeiten für einen Müllstandplatz gibt.“
Die Degewo hat Anfang 2007 in der Schlangenbader Straße in Berlin-Wilmersdorf ein neues System der Müllentsorgung getestet. Als Ersatz für den Müllschlucker wurden auf den Etagen der bis zu 14-geschossigen Gebäude Wertstoff-Stationen mit separaten Sammelbehältern für Restmüll, Leichtverpackungen sowie Pappe und Papier aufgestellt. Sie wurden täglich geleert, auch am Wochenende. Doch was nach einer praktikablen Lösung klingt, setzte sich letztlich nicht durch: Eine Eigentümergesellschaft wehrte sich gegen dieses Modell. Ergebnis: „Die Müllabsauganlage bleibt bestehen“, so Kröber. Erfolgreicher war die Wohnungsgesellschaft in ihren Beständen in Köpenick, wo die Müllschlucker im Zuge von Sanierungen geschlossen wurden. „Das führte anfangs zwar zu Anfragen und Einsprüchen“, so Kröber, „doch nach kurzer Zeit hatten sich alle daran gewöhnt.“ Kontrovers wird das Thema „Stilllegung von Müllabwurfanlagen“ auch bei den Bewohnern in den Marzahner Degewo-Beständen diskutiert: „Die einen sind bereit, für den ,Luxus‘ eines Müllschluckers höhere Müllkosten zu zahlen“, so Kröber. Die anderen hielten die Schließung aus Kosten- und ökologischen Gesichtspunkten durchaus für sinnvoll.
Enormes Einsparpotenzial
Müllschlucker schlucken nicht nur Müll, sondern verursachen auch enorme Kosten. Denn gerade die Restmüllabfuhr ist am teuersten. Hingegen fallen für die Abfuhr der Glas- und der Gelben Tonne keine zusätzlichen Müllgebühren an – schließlich zahlt man zum Beispiel für das Recycling von Verpackungen mit dem Grünen Punkt schon beim Einkauf seinen Teil. Je weniger also in der grauen Tonne landet, desto günstiger wird die Müllentsorgung. „Allein die Müllabfuhr kostet in der John-Locke-Siedlung etwa doppelt so viel wie bei einer Entsorgung ohne Müllschlucker“, so Neidigk. Denn um die schweren Container zu entsorgen, muss die BSR extra mit einem Kranwagen vorfahren. Hinzu kommen die Kosten für Wartung und Reinigung der Müllabwurfanlagen: Zwischen 150 und 460 Euro im Jahr machen sie je nach Gebäudegröße und Anzahl der Einwurftrommeln etwa bei der Degewo aus.
All diese Kosten tragen letztlich die Mieter, nämlich über die Betriebskosten. „Wir haben ausgerechnet, dass unsere Mieter in der John-Locke-Siedlung bis zu 2,95 Euro pro Quadratmeter und Jahr sparen würden, wenn wir die Müllabwurfanlagen stilllegen könnten“, sagt Neidigk. Bei einer 60 Quadratmeter großen Wohnung macht das jährlich 177 Euro aus. Doch auch dieses Argument habe die Mieter bislang nicht überzeugen können.
In der Regel bemühen sich die Wohnungsgesellschaften um eine einvernehmliche Lösung. Ob sie Müllabwurfanlagen auch gegen den Willen der Mieter schließen können, ist umstritten. Nach Meinung des Berliner Mietervereins sollte Mietern ein Ausgleich etwa in Form einer günstigeren Miete geboten werden, wenn der Eigentümer den Müllschlucker abschafft. Gemietet haben sie die Wohnung schließlich mit der Anlage und eine Stilllegung verändere die Mietsache.
Kristina Simons
MieterMagazin 12/08
Auf die lieb gewordene „Müllabwurfanlage“ wollen viele Mieter nicht verzichten
alle Fotos: Rolf Schulten
Die preiswertere und ökologisch sinnvollere Mülltrennung hat es schwer in Gebäuden mit Müllschluckern
Feuer im Schacht
Immer wieder kommt es zu Bränden in Müllschluckern. „Zehn- bis zwölfmal im Jahr brennt es im Schacht von Müllabwurfanlagen“, sagt Wolfgang Rowenhagen von der Pressestelle der Berliner Feuerwehr. Aufsehen erregte zum Beispiel ein Großeinsatz der Feuerwehr in der Neuköllner Gropiusstadt im Oktober 1999. Brandherd war eindeutig der Müllabwurfschacht, das Feuer entstand vermutlich im elften Obergeschoss. „Im Laufe von Jahren hatten sich Müllreste zwischen Fallrohr und Schachtwand in allen Geschossen, insbesondere im Bereich der Einwurfstellen, angesammelt“, heißt es im Bericht der Brandexperten. Durch herunterfallende Glut sei es zu weiteren Bränden in darunter liegenden Geschossen gekommen, bis auch der Inhalt des Müllcontainers im Kellergeschoss in Brand geraten sei. „Bereits beim Eintreffen der ersten Feuerwehrmänner glühten die Klappen der Müllabwurfanlage vom dritten bis zum sechsten Obergeschoss.“ Wurden die Klappen geöffnet, verqualmten umgehend die Flure auf der gesamten Etage bis hin zum Sicherheitstreppenraum.Bereits am darauf folgenden Tag brannte ein 13-geschossiges Wohnhaus in Buckow. Auch hier waren Müllreste zwischen dem Fallrohr und der Schachtwand der Müllabwurfanlage sowie Isoliermaterial in einem daneben verlaufenden Versorgungsschacht der Grund. „Durch das Rohrsystem und die Einwurfstellen der Müllabwurfanlage kam es zu einer starken Verrauchung des gesamten Gebäudes“, heißt es im Feuerwehr-Bericht.
ks
08.07.2013