Die vergangenen zwei Dekaden des Ost-Berliner Plattenbaus sind geprägt von Bewohnerflucht, Leerständen, potenzieller Verwahrlosung und Abrissen. Soweit die eine Seite. Auf anderer Stelle wurden Gebäude modernisiert, das Umfeld aufgewertet, neue Bewohner akquiriert. Platte ist nicht Platte im Jahr 20 nach der Wiedervereinigung – auch wenn das Urteil vor allem derer, die nicht dort wohnen, noch immer überwiegend ablehnend ist.
Havemannkiez. Hier, am nordöstlichen Rand Berlins haben Planer, Architekten und Vermieter mit den „Ahrensfelder Terrassen“ gezeigt, was sich aus gewaltigen elfgeschossigen Wohnscheiben machen lässt: Apartmenthäuser, mediterran anmutend, ausgestattet mit großzügigen Loggien, Balkonen und Dachterrassen. Dabei standen 2002 die Chancen gerade für diesen Teil Marzahns denkbar schlecht.
Der Bezirk, gegründet im Januar 1979, hatte mit seinen 60.000 Wohnungen für über 160.000 Menschen Berlin in nicht einmal zehn Jahren um eine Großstadt erweitert. Doch was als durchaus großzügig angedachtes „sozialistisches“ Wohnprojekt begann, endete in Mangel und Pfusch am Bau. Hier draußen am Stadtrand waren alle städtebaulichen und architektonischen Anforderungen heruntergefahren worden – es ging nur noch um Masse, nicht mehr um Qualität. Und so blieben bald nach der Wende immer mehr Namensschilder an den Klingelanlagen leer. Aus einst gefragten Wohnungen wurde die gefürchtete „Platte“.
„Ab 1994 setzte eine massive Kündigungswelle ein“, erinnert sich Erika Kröber, Pressesprecherin der Degewo. Mit einem ersten Sanierungsprogramm versuchte man, den Dammbruch aufzuhalten. Aber gedämmte und farbenfreudigere Fassaden konnten den Wegzug nicht stoppen. In wenigen Jahren musste der kommunale Vermieter den höchsten Berliner Leerstand vermelden: 16 Prozent. Erika Kröber selbstkritisch: „Wir hätten damals gleich mehr in die Wohnungen selbst investieren müssen.“ Eine komplexe Sanierung, zu der auch geflieste Bäder und Küchen, Türen mit Zargen und neue Fußbodenbeläge gehören, führte die Wohnungsbaugesellschaft erst nach und nach durch – und auch nicht in allen Objekten. Aber die Zeiten, wo jeder die ihm zugewiesene Wohnung nehmen musste, waren schließlich vorbei. Nun wählten die Mieter und stellten Ansprüche.
Wachsender Leerstand und weiter abnehmende Nachfrage – für das kommunale Unternehmen stand Mitte der 90er Jahre fest, dass nicht alle Bestände zu halten waren. Verkäufe und weiter abnehmende Nachfrage und ab 2002 Abriss mit Mitteln aus dem „Stadtumbau Ost“ waren Maßnahmen, um nach und nach zu einer soliden wirtschaftlichen Basis zurückzufinden. Von den 36.000 Wohnungen, die das kommunale Unternehmen 1990/1991 in Marzahn bewirtschaftete, finden sich heute noch rund 18000 unter dem Dach der Degewo.
Unverhoffter Zuzug aus anderen Bezirken
„Einfach nur von außen nach innen abzureißen, das stand bei uns in Marzahn nicht zur Debatte“, erklärt Erika Kröber entschieden. Zum einen, weil mit Beginn des Programms Stadtumbau Ost ein ganzer Teil der Wohnhäuser bereits saniert war. Zum anderen aber auch, weil ein Abriss für die Kieze kein überzeugendes städtebauliches Konzept darstellte. So entstand auch die Idee zu den vielbeachteten „Ahrensfelder Terrassen“ in der Havemannstraße. Als dort 2002 das Rück- und Umbauvorhaben bekannt wurde, gab es aber erst einmal Empörung. Ein solches Projekt war eben nicht nur eine finanzielle, technische und logistische, sondern vor allem eine soziale Herausforderung. Als dann aber fast die Hälfte der Bewerber um die Wohnungen in den Terrassenhäusern aus anderen Berliner Bezirken kamen, wurde deutlich: Das Projekt ist gelungen – null Prozent Leerstand in den begehrten Wohnungen.
Im Umfeld ist die Zahl der leer stehenden Wohnungen deutlich höher: 7,2 Prozent. Und über ein Drittel der Mieter dort leben von staatlicher Unterstützung. Mit einem gezielten Quartiersmanagement wollen die Wohnungswirtschaftler dem begegnen.
Am Warnitzer Bogen in Hohenschönhausen hat auch der Vermieter Howoge Verbesserungsmaßnahmen ergriffen. An vorderster Stelle steht die Sanierung der Bestände. „Wir wollten unsere Häuser nur einmal – dann aber richtig in die Hand nehmen“, kommentiert der Prokurist des Unternehmens, Michael Wagner. Und so wurden taktstraßenähnlich nach und nach nicht nur die Fassaden, sondern auch Versorgungsstränge, Heizungsanlagen und die Wohnungen selbst auf einen modernen Standard gebracht. In Hohenschönhausen und erst recht am Warnitzer Bogen hieß das, Häuser zu sanieren, die eigentlich nicht besonders alt sind: Im Februar 1984 war in der Barther Straße der Grundstein für Ost-Berlins zweitgrößtes Neubaugebiet gelegt und noch im Oktober 1989 in der Passower Straße die letzte Platte gesetzt worden. Als ein knappes Jahr später aus der „Kommunalen Wohnungsverwaltung“ des Bezirks Hohenschönhausen das Wohnungsunternehmen Howoge entstand, setzte auch hier die Fluktuation der Mieter ein. In diesem damals jüngsten Ost-Berliner Bezirk mit einem Durchschnittsalter von 27 Jahren zogen viele gen Westen, der Arbeit hinterher. Andere, die es sich leisten konnten, bauten ein Häuschen am Stadtrand – oder verließen die Platte Richtung Innenstadt.
Gebaut in den 80er Jahren, saniert in den 90ern
1994 startete das Wohnungsunternehmen sein Programm – bis heute sind weit über eine Milliarde Euro verbaut, die Sanierung der Großsiedlungen, aber auch der zum Bestand gehörenden Altbauten ist nahezu abgeschlossen. Der Erfolg ist messbar: Die Leerstandsquote in den einzelnen Hohenschönhausener Plattenbaukiezen liegt inzwischen unter 2 Prozent. Auch die Bestände der einstigen Wohnungsbaugesellschaft Lichtenberg, die seit 1998 zur Howoge gehört, sind nahezu vollständig vermietet. Auf einen Abriss verzichtete das Unternehmen weitgehend, lediglich ein Hochhaus in der Frankfurter Allee mit 120 Wohnungen musste weichen.
Zuzug ins Lichtenberger Sewan-Viertel? Bei einem Leerstand von nur 1,2 Prozent ist das gar nicht so einfach. Und das hat verschiedene Ursachen: innenstadtnahe Lage, die Nähe zum Friedrichsfelder Tierpark, aber auch, dass das zwischen 1961 und 1972 entstandene kleine Neubaugebiet heute unter hohen Bäumen und um schattige Innenhöfe herum liegt. Das Hans-Loch-Viertel, wie es damals hieß, war Ost-Berlins erste Plattenbausiedlung und ist heute eine grüne Oase. Wer damals hier eine Wohnung bekam, konnte sich glücklich schätzen – und wohnt zum allergrößten Teil heute noch hier. Für den heutigen Vermieter Howoge, der im Kiez 5500 Wohnungen bewirtschaftet, ist das allerdings auch ein Problem, mit dem er sich auseinandersetzen muss: Das Durchschnittsalter im Sewan-Viertel liegt inzwischen bei über 60 Jahren.
Senioren sind mittlerweile überall eine zunehmend wichtige Zielgruppe für Vermieter. Aufwändige Umbauten einzelner Wohnungen, aber auch die grundlegend neue Konzeption ganzer Gebäude sollen es richten. Wie in der Baikalstraße 21. Hier sanierte die Howoge ein 17-geschossiges Hochhaus und stattete es nicht nur mit seniorenfreundlichen Wohnungen, sondern auch mit vielen Hilfs- und Pflegeangeboten aus. Ein Concierge am Eingang achtet auf Sicherheit und Sauberkeit und ist auch mal für ein Schwätzchen und die eine oder andere Hilfestellung da. „Es fühlen sich hier wieder viele Mieter heimisch – und wir wollen ihnen das Wohnen bei uns lange ermöglichen“, sagt Erika Kröber. Und fügt hinzu: „Gerade mit der Platte lässt sich da viel machen: Die Gebäude sind flexibel.“ Das werden sie freilich weiter beweisen müssen.
Rosemarie Mieder
MieterMagazin 12/10
Mit den Ahrensfelder Terrassen gelang der Degewo ein vielbeachteter Umbau von elfgeschossigen Plattenbauten
Foto: Degewo
Der Warnitzer Bogen in Hohenschönhausen: Umfassende Sanierung im Taktstraßenverfahren
Foto: Sabine Münch
Neue Serviceleistungen wie zum Beispiel Concierge-Dienste zielen auf die zunehmend ältere Bewohnerschaft
Foto: Sabine Münch
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Größter Leerstand in Hellersdorf
In den Großsiedlungen des Bezirks Marzahn-Hellersdorf gibt es heute rund 40 verschiedene Vermieter. Ein Drittel von ihnen sind kommunal, ein Drittel genossenschaftlich und ein Drittel privat. Während in Marzahn der allergrößte Teil der Bestände saniert ist, gibt es in Hellersdorf noch einige unsanierte Bestände. Nach Zahlen des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) ist hier auch der Leerstand mit 8,1 Prozent am höchsten.
Die Vermieterlandschaft in den Plattenbaugebieten Lichtenbergs ist übersichtlicher. Hier ist die Howoge mit ihren weit über 50000 Wohnungen der mit Abstand größte Vermieter. Darüber hinaus gibt es hier noch einige genossenschaftliche und wenige private Vermieter.
rm
21.12.2016