Zuzügler und eine steigende Zahl von Singlehaushalten sorgen auf dem Wohnungsmarkt der Hauptstadt für eine immer angespanntere Lage. Wer hier eine Bleibe sucht, kann einiges erleben. Um fündig zu werden, braucht es mindestens eine gute Portion Glück. Meist ist aber auch ein Packen Geld im Spiel.
Die Schreinerstraße im Samariterviertel: Vor der Haustür zu einem sanierten Gründerzeitbau warten 36 Interessenten, als die Maklerin mit ihren Unterlagen um die Ecke biegt. Eine helle, geräumige Altbauwohnung hatte das Online-Inserat versprochen, mit Fenstern zu einem ruhigen grünen Innenhof, mitten im Szenekiez. Letzteres zumindest stimmt. Ansonsten müssen alle erst einmal an Baumaterial vorbei, unter einem Gerüst hindurch – und drängeln sich schließlich im Parterre durch einen langen, schmalen Flur, an Küche und Bad vorbei bis ins große Wohnzimmer mit dem Berliner Fenster in der Ecke.
Die Besichtigung wird zur Casting-Show
Dabei bringt es eigentlich nichts mehr, sich die Wohnung anzusehen, denn sie ist so gut wie vergeben. Gleich draußen vor der Haustür war eine Frau energisch auf die Maklerin zugetreten: „Ich miete die Wohnung für meinen Sohn und habe Ihnen auch eine notariell beglaubigte Bürgschaft mitgebracht.“
Mehr als 1.890.000 Wohnungen gibt es in Berlin – circa 1.630.000 davon sind Mietwohnungen. Die ungebrochene Attraktivität der Hauptstadt, aber auch die ständig wachsende Zahl von Singles – derzeit sind es 54 Prozent der Berliner Haushalte – lassen die Nachfrage permanent steigen. Seit 2001 sinkt der marktaktive Leerstand kontinuierlich. Das heißt: Es gibt immer weniger leer stehende Wohnungen, die tatsächlich vermietbar sind. In Charlottenburg, Friedrichshain, Mitte, aber auch in Lichtenberg liegen die Leerstandsquoten unter zwei Prozent.
Besichtigungsmarathons, Gedränge vor Wohnungstüren, Gerangel um einen Mietvertrag – Tanja Martin will sich so etwas nicht antun und sucht nach einem anderen Weg. Als sie vor Jahren mit ihrem Mann und dem ersten Kind aus der zu kleinen
Wohnung im Graefekiez nach Neukölln zog, war dies noch ganz einfach gewesen. Eine Anzeige, eine Wohnungsbesichtigung, dann unterschrieben sie den Mietvertrag. Mittlerweile hat sich der Neuköllner Reuterkiez gründlich verändert.
„Früher wurde um uns herum türkisch gesprochen – heute ist es mehr englisch.“ Nun ist die Dreizimmerwohnung mit der Geburt ihres zweiten Kindes zu klein geworden. Tanja Martin schrieb Aushänge für die Kita, informierte Freunde und Bekannte, telefonierte mit Hausverwaltungen der näheren Umgebung. Und merkte bald, dass es die Vierzimmerwohnung im Altbau mit genügend Abstellplatz nicht mehr zu geben scheint. „In unserem Haus zum Beispiel hat der Vermieter bei der Sanierung alle großen Wohnungen in kleinere aufgeteilt, weil er damit höherer Mieteinnahmen hat.“
20 Prozent über dem Mietspiegel liegen nach aktuellen Zahlen des Immobilienverbandes Deutschland (IVD) derzeit im Berliner Schnitt die Mieten bei einer Neuvermietung. In nachgefragten Gegenden wie Prenzlauer Berg oder auch Charlottenburg kann es sogar wesentlich mehr sein.
„Mein Eindruck war: Die Mieten steigen von Woche zu Woche“, erzählt Katharina Semper. Jetzt ist sie erleichtert. Denn für sie ist die Suche beendet. Gerade hat die Angestellte ihre neue Wohnung ganz in der Nähe des Stuttgarter Platzes bezogen, wo sie bereits seit drei Jahrzehnten wohnte. Im vergangenen Frühjahr hatte ihr Vermieter allen im Haus mitgeteilt, dass er die Wohnungen verkaufen will. Mit dieser Ankündigung wurden auch die Mieten bis ans Äußerste angehoben – und den Bewohnern eine großzügige Abfindung in Aussicht gestellt, falls sie das Haus verlassen sollten. Katharina Semper blieben zwei Möglichkeiten: Selbst kaufen oder ausziehen.
„Kaufen hätte ich mir gar nicht leisten können, deshalb bin ich zum Mieterverein und habe gefragt, wie ich mich verhalten soll.“ Für den Rat sei sie heute noch dankbar, denn er war klar und realistisch: Sie sollte sich nach einer neuen Wohnung umsehen. „Also hab ich keine Zeit verloren, sondern sofort begonnen, zu suchen.“ Über einen Makler, über Anzeigen im Internet – vor allem aber über Freunde, Bekannte und Aushänge an ihrer Arbeitsstelle. „In fünf Monaten habe ich 52 Wohnungen gesehen: die allermeisten topsaniert – und irre teuer.“ Außerdem habe sie gelernt, die Lügen in den Anzeigen zu erkennen. Wo eine „schöne helle Wohnung“ geboten wurde, fand sie eine dunkle, in die nie ein Strahl Sonne fiel. Die „ruhige und zentrale Lage“ war eine Wohnung an einer Ausfallstraße, die selbst bei geschlossenen Fenstern immer eine dumpfe Geräuschkulisse lieferte. Und der „freie Blick“ war die unverbaubare Sicht über eine Stadtautobahn.
Freier Blick auf die Autobahn
„Was derzeit vor allem an preiswerten Wohnungen angeboten wird, ist eine Zumutung“, sagt Thomas Fischer-Lück vom Berliner Mieterverein. Und der Druck auf dem Wohnungsmarkt erhöht die Gefahr, bei der Besichtigung Mängel zu übersehen – oder sie hinzunehmen, weil sonst eben ein anderer den Zuschlag erhält. „Man sollte sich schon mal die Betriebskostenabrechnung zeigen lassen, oder fragen, woher denn die Wärme im Haus kommt“, rät Fischer-Lück. Gibt es Wasseruhren in den Wohnungen? Betreibt ein teurer Wärmelieferant die Heizung? Stimmt die angegebene Wohnungsgröße und ist die Kaution sicher angelegt?
„In der Nassauischen Straße habe ich eine Wohnung mit ungefähr 60 anderen Interessenten angesehen“, erinnert sich Katharina Semper. Die Wohnung sei schön gewesen, sie habe sich auf die Warteliste setzen lassen. Bereits am nächsten Tag hat der Makler sie angerufen mit der Mitteilung: Dies sei eine Wohnung, für die eigentlich ein Wohnberechtigungsschein (WBS) verlangt werde. Der Vermieter könne natürlich beantragen, dass die Beschränkung aufgehoben würde, die Miete würde sich aber dadurch erheblich erhöhen. „Der Nachweis eines WBS stand überhaupt nicht in der Anzeige“, sagt Katharina Semper noch immer empört. Sie vermutet: „Die wollten da natürlich auch niemanden mit WBS im Haus haben, sondern sich in Ruhe die neuen Mieter aussuchen“ – solvente Mieter, die auch bereit sind, eine höhere Miete zu zahlen.
Ein Skandal sei es, so hatte Mietervereinsgeschäftsführer Reiner Wild kritisiert, dass der Senat jahrelang die angespannte Situation am Berliner Wohnungsmarkt geleugnet hat. Und nach wie vor heißt es aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: Es gäbe durchaus noch Wohnungen auf dem Berliner Markt – manchmal müsse man eben auch bereit sein, ein paar Straßen weiter zu ziehen. „Ein paar Straßen weiter“ sind für Tanja Martin kein Problem: „Aber für uns steht auch fest: Wir wollen im Kiez bleiben. Hier haben wir uns ein Netzwerk aufgebaut, auf das wir uns verlassen können“: die Kita, in der es schon einen Platz für ihren Jüngsten gibt, Freunde mit gleichaltrigen Kindern, die auch mal einspringen, wenn es nötig sein sollte.
„Ich habe es nur dem Tipp einer Bekannten zu verdanken, dass ich diese Wohnung in meinem Kiez bekommen habe“, sagt Katharina Semper. Die Vormieterin war bereit gewesen, sie zu empfehlen – gegen Zahlung von 1500 Euro für einen abgezogenen Holzfußboden. Dafür bekam die Angestellte die Wohnung – unrenoviert, versteht sich: „Ich habe meine gesamte Abfindungssumme von 20 000 Euro hier reingesteckt.“ Die Mieterin hat Bad und Küche erneuert, Türen aufgearbeitet, die Räume gemalert. Jetzt hofft sie, dass der Vermieter in ein paar Jahren nicht auch wieder verkauft. Er hat es ihr versprochen: „Aber kann ich da sicher sein?“
Rosemarie Mieder
MieterMagazin 12/11
Der Marktdruck führt dazu, dass Wohnungsmängel übersehen oder hingenommen werden
Foto: Christian Muhrbeck
Bei allgemeinen Besichtigungsterminen muss man mit Gedränge rechnen
Foto: Christian Muhrbeck
Zum Thema Wohnungsmakler und Provision:
Infoblatt 4 des Berliner Mietervereins („Makler(recht)“)
BMV-Infoblatt 4
Rat und Tat
Abfindung und Abstand
Es kommt öfter vor, dass Vermieter versuchen, dem Mieter einen Auszug durch „goldenen Handschlag“ – die Bezahlung einer Abfindung – schmackhaft zu machen. Der erste Weg führt dann zur Rechtsberatung: Sollte die ergeben, dass man als Mieter nichts oder nicht viel in der Hand hat, um sich gegen eine Kündigung zu wehren, ist die Annahme der Abfindung oft die beste Option. Das gilt selbstverständlich auch, wenn man ohnehin vorgehabt hat, sich eine neue Wohnung zu suchen. Je nach Höhe der Abfindung – bei entsprechendem Interesse des Vermieters geht es schon mal um fünfstellige Summen – sind zumindest die Kosten des Umzugs abgedeckt.
Häufige Praxis ist auch, dass der Altmieter vom neuen bei Überlassung der Wohnung eine Ablösesumme („Abstand“) verlangt. Werden für die verlangte Summe keine reellen Gegenwerte in Form von Möbeln und Einbauten geboten, dann ist eine solche Vereinbarung unzulässig. Der neue Mieter kann sie beruhigt unterschreiben und später sein Geld zurückverlangen. Das gilt auch, wenn die überlassenen Gegenstände in einem auffälligen Missverhältnis zur Ablösesumme stehen. Als unverhältnismäßig gilt, wenn der Wert der überlassenen Einrichtungen unter 50 Prozent des Kaufpreises liegt.
Udo Hildenstab
16.07.2018