Menschen mit geringem Einkommen oder niedriger Bildung sind häufiger als andere Teile der Bevölkerung ungünstigen Umweltbedingungen wie Feinstaub und Lärm ausgesetzt. Das besagen mehrere Studien zur Umweltgerechtigkeit, die vom Umweltbundesamt (UBA) veröffentlicht wurden, darunter eine umfangreiche Berliner Modelluntersuchung.
Umweltbelastungen sind in Deutschland sozial ungleich verteilt. Familien mit geringem Einkommen und niedrigem Bildungsstand sind besonders häufig von Lärm und Luftverschmutzungen betroffen. In den Wohngebieten von unteren Einkommensschichten mangelt es außerdem an Grünanlagen. Das sind die Kernaussagen des vom UBA veröffentlichten „Umwelt und Mensch Informationsdienstes“ (UMID) zum Thema Umweltgerechtigkeit.
Ein Modellprojekt zu dem noch neuen Forschungsfeld Umweltgerechtigkeit wird im Land Berlin durchgeführt. Dazu wurden die Daten aus dem „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“ mit Umwelt- und Gesundheitsdaten verknüpft. Die ersten, noch vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass sozial benachteiligte Stadtquartiere, die im Sozialmonitoring auf den hinteren Plätzen landeten, auch überdurchschnittlich von Luftverschmutzung betroffen sind. Etwa zehn Prozent der Berliner Bevölkerung leben in einem Stadtviertel, das sowohl sozial als auch in der Luftqualität schlecht bis sehr schlecht abschneidet.
Einen ähnlichen Zusammenhang gibt es bei der bioklimatischen Belastung. In der dichtbebauten Innenstadt herrscht wegen höherer Temperaturen und geringem Luftaustausch ein ungünstigeres Bioklima. Fast alle Stadtteile mit sozialen Problemen haben auch ein belastendes Bioklima. In den Quartieren, die gleichzeitig sozial und bioklimatisch benachteiligt sind, leben 23 Prozent aller Berliner.
Für das Bioklima spielen die Grün- und Freiflächen eine große Rolle. Aber auch als Naherholungs- und Sportflächen haben sie einen Einfluss auf die Gesundheit. Die Innenstadtquartiere sind mit Freiflächen unterversorgt. Etwa die Hälfte der sozial benachteiligten Quartiere haben auch zu wenige Grünflächen.
Beim Thema Lärm sind zwar eine Reihe von Stadtteilen mit hoher Lärmbelastung und niedrigem sozialen Status sowie umgekehrt gut situierte Viertel mit wenig Lärm zu erkennen, doch einen statistisch auffälligen Zusammenhang hat man auf Quartiersebene nicht festgestellt.
Innenstadtquartiere mit geballter Belastung
Hier muss die Untersuchung offensichtlich kleinräumiger ausfallen, denn die größte Lärmquelle, der Straßenverkehr, belastet vor allem die direkten Anwohner der Hauptverkehrsstraßen, während es schon wenige Meter weiter in den Nebenstraßen oder in den Blockinnenbereichen sehr viel ruhiger sein kann.
Im Modellprojekt zur Umweltgerechtigkeit wurde erstmals der Versuch unternommen, die vier Faktoren Luftbelastung, Bioklima, Freiflächenversorgung und Lärm gemeinsam zu betrachten. Für jeden der 426 Berliner Planungsräume wurde ermittelt, wie viele dieser Einflüsse ihn belasten. Die meisten Quartiere mit Drei- oder Vierfachbelastung befinden sich im Innenstadtbereich, während die einfach oder gar nicht belasteten Viertel ganz überwiegend am Stadtrand liegen. Hohe ökologische Mehrfachbelastungen gibt es zwar auch in sozial stabilen Lagen wie Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg, Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Doch am geballtesten sind die Belastungen in den Stadtteilen mit niedrigem sozialen Status: Nord-Neukölln, Kreuzberg, Tiergarten, Wedding und im südlichen Reinickendorf. Wenn man die im Sozialmonitoring festgestellten Problemlagen als fünften Faktor einbezieht, erkennt man, dass sich die vier- und fünffachen Belastungen in diesen Stadtteilen konzentrieren (siehe Karte). Die sozialstrukturell schwachen Großsiedlungen am Stadtrand machen dabei eine erfreuliche Ausnahme: In Marzahn, Hellersdorf, Hohenschönhausen, in der Gropiusstadt, im Märkischen Viertel und auf dem Falkenhagener Feld sind die Umweltbelastungen verhältnismäßig gering.
„Bereits jetzt ist erkennbar, dass die als mehrfach belastet identifizierten innerstädtischen Gebiete auch durch den Klimawandel besonders betroffen sein werden“, erklärt Benjamin-Immanuel Hoff, Staatssekretär der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, die für das Modellprojekt die Feder führt.
Für ihn belegen die ersten Ergebnisse, dass „neue zukunftsfähige Instrumente und Steuerungsmöglichkeiten“ entwickelt werden müssen.
Quartiersmanagementgelder sind in Öko-Projekten gut investiert
Die Senatsverwaltung möchte deshalb die Analysen in den kommenden zwei Jahren mit aktuellen Daten zu einem kleinräumigen Umweltbelastungsmonitoring weiterentwickeln. Die Politikfelder Gesundheit, Soziales, Stadtentwicklung und Umwelt sollen zudem stärker als bisher ressortübergreifend bearbeitet werden. Die Untersuchung liefert auch gute Argumente dafür, gezielt in den Quartiersmanagement-Gebieten ökologisch wirksame und gesundheitsfördernde Investitionen vorzunehmen.
Das UBA berichtet von mehreren Studien, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie das Berliner Modellprojekt. Auch in München und im Ruhrgebiet gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Armut und schlechter Umweltqualität. In Sachsen-Anhalt wurde festgestellt, dass Schulanfänger aus bildungsfernen und ärmeren Haushalten öfter an Hauptverkehrsstraßen wohnen, stärker Autoabgasen ausgesetzt sind und häufiger unter Atemwegserkrankungen leiden.
Nicht nur im Wohnumfeld, sondern auch in Innenräumen können Gesundheitsrisiken auftreten. Die steigenden Energiepreise bringen vor allem finanzschwache Haushalte dazu, im Winter weniger zu heizen und zu lüften. Bei einer schlechten Bausubstanz kann das zu Feuchteschäden und Schimmelpilzbefall führen und Infektionen oder Allergien auslösen. Das Bremer Gesundheitsamt hat beobachtet, dass in den letzten fünf Jahren das Beratungsangebot zum Thema Schimmel zunehmend von Haushalten mit niedrigem Einkommen und geringem Bildungsstand wahrgenommen wurde.
Wie kommt es dazu, dass in Gegenden mit hohen Umweltbelastungen vorwiegend untere Sozialschichten wohnen? Dafür gibt es zwei Erklärungen: Industrieansiedlungen, Verkehrsstraßen, Einflugschneisen oder Mülldeponien werden überwiegend in der Nähe von einfachen Wohngebieten geplant, weil die politischen und industriellen Entscheidungsträger glauben, dort auf geringeren Widerstand zu stoßen. Zum anderen senkt Umweltverschmutzung den Wert der betroffenen Immobilien und damit auch die Mieterhöhungsmöglichkeiten. Einkommensschwache Mieter sind auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung häufig gezwungen, Umweltbelastungen in Kauf zu nehmen. Wer es sich hingegen leisten kann, zieht in eine Wohngegend ohne Lärm und Abgase. Dass zum Beispiel Stadtautobahnen zu einer sozialen Abwertung der angrenzenden Wohngebiete führen und Haushalte umso ärmer sind, je näher sie an der Autobahn wohnen, hat das Stadtforschungsbüro Topos in einer Studie über die A 100 gezeigt (MieterMagazin 4/2011, Seite 21: „Arm in der ersten Reihe“).
„Auch Menschen in sozial benachteiligten Vierteln brauchen ein gesundheitsförderndes Wohnumfeld. Das zu garantieren, ist Aufgabe der Umweltpolitik und ihrer Kooperationspartner“, sagt UBA-Präsident Jochen Flasbarth. Umwelt- und Sozialpolitik dürfen dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es wäre verheerend, wenn der Umweltschutz zu Lasten derer ginge, die in der Gesellschaft ohnehin schon benachteiligt sind.
Jens Sethmann
MieterMagazin 12/11
Wer wenig verdient, ist auf preiswerten Wohnraum angewiesen, der wiederum mehr Umweltbelastungen aufweist
Fotos: Sabine Münch
Mehrfachbelastung durch die Umweltfaktoren Lärm, Luft, Bioklima, Freiflächenversorgung sowie Entwicklungsindex (Soziale Problematik)
Quelle: Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz
Das UMID-Themenheft „Umweltgerechtigkeit“ (Ausgabe 2/2011)
kann kostenlos unter
info@umweltbundesamt.de
und unter Telefon (0340) 21 03-21 30
bestellt werden,
man findet es auch im Internet unter
www.umweltbundesamt.de
Zum Thema
Umweltgerechtigkeit
Der Begriff Umweltgerechtigkeit („environmental justice“) wurde in den 1980er Jahren in den USA geprägt. Auslöser waren mehrere Aufsehen erregende Umweltskandale und die lange gängige Praxis, Giftmülldeponien, Fabriken, Kraftwerke, Autobahnen, Klärwerke oder Schweinemastanlagen in oder neben Sozialwohngebieten anzulegen, in denen hauptsächlich Schwarze und Arme lebten. Seit der Bürgerrechtsbewegung ist in den USA die Aufmerksamkeit für solche Diskriminierungen stark gewachsen. In Deutschland gibt es zum Thema Umweltgerechtigkeit erst seit etwa zehn Jahren umfangreichere Forschungen.
js
07.07.2019