Wer sich für die Vergangenheit seines Mietshauses interessiert, sollte einen Blick in alte Adressbücher werfen. Diese kleine, sehr authentische Zeitreise ermöglicht zum Beispiel das Online-Archiv der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, das die Berliner Adressbücher der Jahre 1799 bis 1943 in digitalisierter Form kostenlos zur Ansicht bereit hält.
In den Adressauflistungen werden die Haushaltsvorstände akribisch mit ihren Berufen registriert, deren Ehefrauen, Kinder oder Untermieter bleiben allerdings unberücksichtigt. Die wechselnde Mieterschaft gleich nach Bau eines Hauses über die Jahre hinweg zu verfolgen, spiegelt nicht zuletzt im Mikrokosmos die großen Ereignisse wider. Wenn 1918 plötzlich vermehrt Frauen als Haushaltsvorstände mit dem Zusatz „Witwe“ geführt werden, sind das die Folgen des Ersten Weltkrieges. Wenn nach 1939 der Name Silberstein nicht mehr unter der langjährigen Adresse auftaucht, weist das auf den Holocaust hin.
Alltägliches Zeitkolorit lässt sich erahnen, wenn man die vielfältigen, heute längst ausgestorbenen Berufe der Bewohner Revue passieren lässt. So erfährt man vielleicht, dass sich vor 100 Jahren unter gleicher Adresse ein Posamentier, Galanteriehändler, Droschkenkutscher, Küfer oder Stellmachermeister eingemietet hatte.
js
MieterMagazin 12/12
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22.11.2016