Wie soll es mit Berlins Sozialwohnungen weitergehen? Das Thema ist kompliziert und verwirrend. Berlin braucht dringend bezahlbare Wohnungen, doch der Bestand an Sozialwohnungen geht kontinuierlich zurück. Etwa die Hälfte dieser Wohnungen sind von der Belegungsbindung ausgenommen. Und wo die Bindungen noch gelten, sind die Mietpreise für Wohnberechtigte oft zu teuer. Der Senat hat bisher nur an einigen Symptomen dieser paradoxen Lage herumgedoktert und sich im Übrigen vor der Problematik weggeduckt. Jetzt hat Stadtentwicklungssenator Michael Müller eine Expertenkommission einberufen.
Ende 2013 gab es rund 142.000 Sozialmietwohnungen in Berlin. Inzwischen ist die Zahl auf 137.000 gefallen. Im Jahr 2023 werden es nur noch circa 95 000 sein. Die Durchschnittsmiete im Sozialen Wohnungsbau liegt bei 5,74 Euro pro Quadratmeter netto kalt. Die Warmmiete beläuft sich im Schnitt auf 8,65 Euro pro Quadratmeter. „Sofern die vom Haushalt genutzte Wohnfläche in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der Haushaltsmitglieder steht, sind diese Warmmieten auch für einkommensschwächere Haushalte tragfähig“, erklärt Baustaatssekretär Engelbert Lütke Daldrup auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Andreas Otto. Die Durchschnittsmiete liege auch innerhalb der Angemessenheitsgrenze der Wohnaufwendungenverordnung für Hartz-IV-Haushalte. „Probleme bereitet allerdings, dass durch den jährlichen förderbedingten Mietenanstieg im Sozialen Wohnungsbau sowie durch die in dreijährigem Turnus anstehenden Anpassungen der Bewirtschaftungskostenpauschalen immer mehr Sozialmietwohnungen in Miethöhen oberhalb von 6,50 Euro hineinwachsen“, weiß der Staatssekretär. Im Jahr 2011 überschritten rund 2500 Sozialwohnungen diese Miethöhe, 2013 waren es schon 16.100 Wohnungen.
Grundsätzlich kann man nur mit einem Wohnberechtigungsschein (WBS) in eine Sozialwohnung einziehen. Um einen WBS zu bekommen, darf das Haushaltseinkommen bestimmte Grenzen nicht überschreiten. Aber nur für 69.669 Sozialwohnungen gelten noch diese Belegungsbindungen. Für rund 34.000 Wohnungen in 16 größeren Siedlungen wurde die Bindung ausgesetzt: Zwecks „Sicherung und Verbesserung des Sozialgefüges“ ermöglicht man auch Menschen mit höheren Einkommen den Zuzug. Die Bezirke können darüber hinaus auf ihr Belegungsrecht verzichten. Bei den 28.000 Sozialwohnungen, für die die Anschlussförderung ab 2003 verweigert wurde, sind alle Bindungen entfallen.
In den Sozialmietwohnungen lag der Leerstand im Jahr 2013 bei 5,2 Prozent. In allen zwölf Bezirken liegt er über der sogenannten Fluktuationsreserve von drei Prozent. Bei der Wohnungsknappheit in Berlin ist der erhöhte Leerstand bei Sozialwohnungen erklärungsbedürftig.
Rund 55 Prozent aller Berliner haben Anspruch auf einen WBS und könnten sich auf eine freie Sozialwohnung bewerben. Die Zahl der Wohnberechtigten ist deshalb so hoch, weil das Land Berlin im Jahr 2006 die bundesweit gültigen Einkommensgrenzen um 40 Prozent erhöht hat. Der Senat verkauft das als soziale Wohltat für mittlere Einkommensgruppen. Es ist aber auch eine schlichte Notwendigkeit, die Sozialwohnungen für mittlere Einkommen zu öffnen, denn viele Sozialwohnungen sind für Geringverdiener bereits zu teuer. Sie lassen sich nur bezahlen, wenn man ein bisschen mehr Geld in der Tasche hat.
Das hat zwei negative Auswirkungen: Geringverdiener haben schlechtere Chancen, eine freie Sozialwohnung zu bekommen, weil sie mit Beziehern von höheren Einkommen konkurrieren müssen und Vermieter diese erfahrungsgemäß bevorzugen. Und es entsteht ein Leerstand bei den teureren Sozialwohnungen, die sich die ärmsten Sozialmieter nicht leisten können, während Durchschnittsverdiener, die sie bezahlen könnten, zu diesem Preis auf dem freien Markt gleichwertige oder sogar bessere Wohnungen finden.
Der Berliner Mieterverein (BMV) fordert deshalb, die Berliner WBS-Einkommensgrenzen auf höchstens 20 Prozent über dem Bundeslimit zurückzuschrauben.
Die Ursache für die absurde Situation des Berliner Sozialen Wohnungsbaus liegt im früheren Fördersystem. Die öffentliche Hand zahlt heute noch für die absichtlich aufgeblähten Baukosten der 70er bis 90er Jahre. Die Kostenmieten erreichen nicht selten schwindelerregende Höhen von 13 Euro pro Quadratmeter, in einzelnen Fällen sogar 21 Euro. Der Berliner Landeshaushalt zahlt den Eigentümern die Differenz zwischen der Kostenmiete und den von den Bewohnern gezahlten Mieten. Der Senat fährt die Förderung Jahr für Jahr um 13 Cent pro Quadratmeter zurück. Um diesen Betrag erhöhen die Vermieter der Sozialwohnungen alljährlich die Miete.
Ein Milliardengrab
Obwohl der Soziale Wohnungsbau in den vergangenen Jahrzehnten mit Milliardenbeträgen aus Steuergeldern gefördert wurde, erfüllt er seinen eigentlichen Zweck – Geringverdienern Wohnraum bereitzustellen – nicht mehr. Im November hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine Expertenkommission einberufen, die bis Anfang 2015 eine Lösung für das Dilemma finden soll. Der Berliner Mieterverein (BMV) ist daran beteiligt.
Zur Vorbereitung hat die Senatsverwaltung verschiedene Modelle durchgerechnet. Sie neigt offenbar zu einer Subjektförderung: Bei bedürftigen Sozialmietern soll die Miete auf ein bestimmtes Maß heruntersubventioniert werden. Dies müsste das Land Berlin finanzieren.
Der BMV fordert seit Jahren, ganz aus dem preistreibenden Kostenmietensystem auszusteigen und eine staatlich festgelegte soziale Richtsatzmiete ähnlich wie Stuttgart einzuführen. Stuttgart hat im Jahr 2009 für Sozialwohnungen Höchstmieten festgesetzt. Dort gibt es eine Liste, in der Haus für Haus die Miete bestimmt ist. Grundsätzlich bleibt sie zehn Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete, oft noch weiter darunter. In Einzelfällen kam es bei der Einführung der Richtsatzmiete sogar zu geringen Mietsenkungen. Die Eigentümer müssen dabei ihre Einnahmeerwartungen reduzieren. Die Regelung hat sich als bislang rechtssicher und praxistauglich erwiesen.
Ein von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten bestätigte 2013, dass eine Richtsatzmiete auch unter den Berliner Bedingungen verfassungskonform wäre.
„In Berlin dürfte die Richtsatzmiete im Durchschnitt nicht mehr als 5,50 Euro pro Quadratmeter monatlich betragen“, erklärt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Auch hier sollte die Höchstgrenze bei zehn Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Bei diesem Modell sollen sich die Eigentümer mit einer Verringerung ihrer Eigenkapitalverzinsung beteiligen. Dadurch reduzieren sich die Kosten für die öffentliche Hand. Zur Wahrung einer gerechten Kostenbelastung könnten die Unterstützungsmaßnahmen vom Senat und den Eigentümern auch einkommensabhängig gewährt werden.
Jens Sethmann
Nach Redaktionsschluss des MieterMagazin wurde bekannt, dass Andreas Geisel (SPD) im Dezember neuer Senator für Stadtentwicklung werden soll. Der ehemalige Lichtenberger Baustadtrat äußerte in einem Interview gegenüber der „Berliner Zeitung“, dass es sein Hauptanliegen sei, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dazu sollen die Mieten der Bestandswohnungen im Sozialen Wohnungsbau abgesenkt werden.
Die Redaktion
06.03.2015