Auf Berlin rollt eine massive Verdrängungswelle zu. Rund die Hälfte der derzeit 90.000 Sozialwohnungen wird bis Ende 2026 aus der Bindung fallen. Für 47.700 Haushalte bedeutet das: Sie müssen mit drastischen Mietsteigerungen und Eigenbedarfskündigungen rechnen. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um gegenzusteuern.
Mit dem Förderprogramm Soziale Stadterneuerung wurden von 1990 bis 2003 fast 18.000 Wohnungen instandgesetzt und modernisiert. Die Eigentümer:innen erhielten stattliche Fördermittel und mussten sich im Gegenzug vertraglich verpflichten, für den Bindungszeitraum – je nach Fördervertrag zwischen 20 und 30 Jahre – Mietpreis- und Belegungsbindungen einzuhalten. Dabei existieren innerhalb eines Hauses zwei verschiedene Miethöhen: eine, die sich am Mittelwert des Mietspiegels orientiert und eine ermäßigte (derzeit 5,15 Euro netto pro Quadratmeter) für alle mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS).
Damit sollte verhindert werden, dass Einkommensschwache durch die Sanierung verdrängt werden. Bei vielen dieser Wohnungen sind die Bindungen bereits ausgelaufen, andere sind in den nächsten Jahren an der Reihe. Zwar werden auch Sozialwohnungen neu gebaut, doch das reicht nicht aus, um den Verlust aufzufangen, zumal immer mehr Menschen auf eine Sozialwohnung angewiesen sind. Inzwischen haben 60 Prozent der Berliner Anspruch auf einen WBS.
Förderungs-Vorgaben contra Sanierungsziele
Besonders brisant ist die Situation in Friedrichshain. Etwa die Hälfte der Häuser wurde hier nach dem sogenannten Bauträgermodell saniert. Dabei wurden die Wohnungen bereits im unsanierten Zustand in Einzeleigentum aufgeteilt. Daher ist die zehnjährige Kündigungssperrfrist nach Umwandlung meist bereits abgelaufen. Eigentümer:innen können sofort nach Kauf wegen Eigenbedarfs kündigen und müssen nur die Kündigungsfrist einhalten. Beispiel Bänschstraße 83 im Samariterviertel: Seit die Sozialbindung im Juni 2023 ausgelaufen ist, bekam ein Teil der Mieter:innen Mieterhöhungen, ein anderer Teil muss sich vor Gericht gegen Eigenbedarfskündigungen zur Wehr setzen. Es sei ein Skandal, dass die Zielsetzungen der Sozialen Stadterneuerung durch die „widersinnige Ausgestaltung der Förderprogramme“ konterkariert werden, sagt Kerima Bouali, Bezirksverordnete der Linken in Friedrichshain-Kreuzberg und lange Zeit für die Mieterberatungsgesellschaft asum in den Friedrichshainer Sanierungsgebieten tätig: „Dass die Bindungen keinen dauerhaften Schutz vor Verdrängung vorsahen, fällt den Mieter:innen nun auf die Füße.“ Viele hätten große Angst, ihre Wohnung nicht mehr bezahlen zu können.
Gleichzeitig gebe es eine große Unkenntnis. Bouali: „Wir werden nun zusammen mit dem Stadtteilbüro Friedrichshain in die Häuser gehen.“ Manche wüssten gar nicht, dass sie in einem mit öffentlichen Mitteln geförderten Haus wohnen und was es bedeutet, wenn die Mietbegrenzungen wegfallen.
Drastische Mieterhöhungen bei den WBS-Mietern
Die Wohnsicherheit habe einen enormen Verlust erlitten, sagt Aleksandar Perović, Leiter der Bezirksgruppe Pankow beim Berliner Mieterverein und Aktiver in der Initiative „Pankow gegen Verdrängung“. Zwar haben die meisten noch einen Aufschub, weil die Kündigungssperrfrist gilt. Doch es drohe ein Flächenbrand, so Perović. Bei den WBS-Mietern kann die subventionierte Miete nach dem Auslaufen der Bindung im Grundsatz auf den Mietspiegel-Wert erhöht werden, der teilweise 3,00 bis 3,50 Euro pro Quadratmeter über der subventionierten Miete liegt, auch weil durch Sanierungen wohnwerterhöhende Merkmale geschaffen wurden. Allerdings gilt auch hier die Kappungsgrenze, wonach die Miete innerhalb von drei Jahren maximal um 15 Prozent erhöht werden darf. Beim Senat ist man der Ansicht, Wohngeld und Mieterberatung würden ausreichen, um persönliche Härten abzufedern. Die Forderung der Initiative nach einem Härtefallfonds für einkommensschwache Mieter:innen wurde abgelehnt.
Forderung: keine temporären Bindungen mehr
Auf dem Krisengipfel, den Pankow gegen Verdrängung zusammen mit dem BMV im März 2023 organisiert hatte, wurde ein Pilotprojekt für die Kommunalisierung betroffener Häuser gefordert. „Wir wollen, dass sozial gebundener Wohnraum langfristig erhalten bleibt“, betont Perović. Doch die Hoffnung, dass der Senat gemeinsam mit der Initiative Lösungen erarbeitet, hat sich zerschlagen.
Der Berliner Mieterverein fordert seit Langem, dass der Senat endlich aktiv wird. Der alte Fehler, für viel staatliches Geld nur temporäre Bindungen zu erkaufen, müsse endlich aufhören, sagt Ulrike Hamann-Onnertz von der BMV-Geschäftsführung.
Birgit Leiß
Rettungsprogramm der Linken: Bauen, Rekommunalisieren, Regulieren
Die Linke im Abgeordnetenhaus hat kürzlich ein Rettungsprogramm Sozialer Wohnungsbau vorgestellt. Gefordert wird ein „Dreiklang“ aus Bauen, Rekommunalisieren und Regulieren. Vorgeschlagen wird zum einen, die landeseigenen Wohnungsunternehmen mit Eigenkapitalzuschüssen auszustatten mit dem Ziel, jährlich 7500 preisgünstige Wohnungen zu schaffen. Der Clou, so der wohnungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schenker: Es soll sich um dauerhaft gebundene Wohnungen handeln. Zweitens wird ein Ankaufprogramm vorgeschlagen, um Wohnungen mit auslaufenden Sozialbindungen in die öffentliche Hand zu bringen. Kostengünstiger und effizienter als ein Ankauf zu Marktpreisen sei jedoch die Vergesellschaftung von großen privaten Wohnungsunternehmen, heißt es in dem Positionspapier. Der dritte Schritt in dem Maßnahmenbündel betrifft die stärkere Regulierung des Wohnungsmarkts, etwa indem die Modernisierungsförderung aufgestockt und mit der Schaffung von Sozialbindungen verknüpft wird.
Der Berliner Mieterverein (BMV) begrüßt ausdrücklich, dass sich eine Partei im Abgeordnetenhaus der Frage annimmt, wie die dramatisch schwindende Zahl der Sozialbindungen aufgefangen werden kann. „Ein solches Programm wünschen wir uns zuallererst von der amtierenden Regierung. Es ist enttäuschend, dass hier nichts vorgelegt wird“, so Ulrike Hamann-Onnertz, BMV-Geschäftsführerin. Die auf den Tisch gelegten Vorschläge seien zwar nicht neu, aber es seien notwendige Maßnahmen, die angepackt werden müssen, um den Verlust an Sozialwohnungen auszugleichen, der durch frühere Förderprogramme vorprogrammiert war.
bl
Annerose Schröder lebt seit 67 Jahren in Prenzlauer Berg
Ich wohne seit 20 Jahren mit meinem Mann in dem Eckhaus Danziger Straße / Schliemannstraße. Wir sind damals wegen der Sanierung von der Eberswalder Straße umgesetzt worden. Hier im Haus wohnen noch viele Umsetzmieter, die bangen alle. Bei uns ist die Bindung am 15. Oktober 2024 ausgelaufen. Schon vor einem Jahr hat uns die Covivio angekündigt, dass man die Miete anheben werde. Besonders schlimm trifft es die WBS-Mieter bei uns im Haus, die jetzt noch eine gedeckelte Miete zahlen. Wo sollen die denn hin, das sind die letzten bezahlbaren Bestände im Prenzlauer Berg! Was mich besonders ärgert: 2019 wurden unsere Wohnungen umgewandelt, noch schnell, bevor das Umwandlungsverbot in Kraft trat. Zwar haben wir noch ein paar Jahre Schonfrist, bis wegen Eigenbedarf gekündigt werden kann, aber die Uhr tickt. Ich bin vor 67 Jahren am Kollwitzplatz geboren worden und habe mein ganzes Leben im Prenzlauer Berg verbracht. Ich will hier nicht weg und ich möchte, dass auch meine Nachbarn bleiben können. Daher habe ich mich von Anfang an bei „Pankow gegen Verdrängung“ engagiert. Wir unterstützen uns gegenseitig, zum Beispiel, wenn Kaufinteressenten durch die Wohnung geführt werden oder bei Gerichtsverhandlungen. Bei einigen ist die Bindung ja schon vor Jahren abgelaufen, da haben schon viele die Eigenbedarfskündigung bekommen.
bl
27.11.2024