ACHTUNG:
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.4.2021 den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt – mit rechtlichen Folgen für Mieterinnen und Mieter.Was Mieterinnen und Mieter jetzt wissen müssen
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
Die hier folgenden Hinweise zur Nutzung des Mietendeckels sind damit überwiegend hinfällig.
Pressemitteilung Nr. 7/21
„Nach einem Jahr Erfahrungen mit dem Berliner Mietendeckel wird deutlich, dass Senat und Abgeordnetenhaus mit der Einführung einer öffentlich-rechtlichen Mietpreisbegrenzung im Februar 2020 einen riesigen Schritt zur Stärkung des Mieterschutzes gemacht haben, der im Zivilrecht beziehungsweise dem Vergleichsmietensystem kaum denkbar ist“, erklärte der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. „Dabei geht es weniger um die konkrete Eingriffstiefe, mit der Vermieter in ihren Renditeerwartungen beschränkt werden. Vielmehr zeigt ein öffentlich-rechtliches System, dass Wohnungen keine Ware wie andere sind und dass der Staat wegen des ungleichen Verhältnisses auf angespannten Märkten eine große Verantwortung trägt, um den sozialen Ausgleich zu gewährleisten.“ Dass dies erforderlich ist, kann bitter „aufstoßen“. Aber weder die Berliner Verfassung noch die Allgemeinwohlverpflichtung des Eigentums aus Artikel 14 des Grundgesetzes könnten diesen Ausgleich herbeiführen.
Eine öffentlich-rechtliche Mietpreisbindung stärkt der Mieterschaft den Rücken und ermöglicht auch den Bevölkerungsschichten, die aufgrund der Sprache, der prekären Lebenssituationen oder dem fehlenden Zugang zu Informationen benachteiligt sind, einen Chancenzuwachs zur Wahrung der rechtlichen und finanziellen Ansprüche. „Hier wird der Mietendeckel noch deutlich unterschätzt“, so Wild. Das liegt aber auch daran, dass aktuell mannigfaltige rechtliche Auseinandersetzungen mit Vermietern geführt werden müssten, die an ihrer durch die Lücken des zivilrechtlichen Mietensystems genährten Gestaltungsmacht festhalten wollen. So zeigt sich gerade dort, wo der Mietendeckel „Anleihen aus dem Mietspiegel“ genommen hat, eine große Streitanfälligkeit. „Wir haben das bei der Gesetzeseinführung befürchtet“, so Wild. „Mehr als die Hälfte aller Streitigkeiten um die seit November 2020 vorgesehene Absenkung der Mieten drehe sich um die Fragen, ob eine hochwertige Sanitärausstattung oder ein hochwertiger Bodenbelag in der überwiegenden Zahl der Wohnräume vorhanden sei.“
Der Berliner Mieterverein verteidigt gleichwohl nochmals die gesetzlich vorgesehene Absenkung überhöhter Mieten. Das von der Absenkung vorrangig gutverdienende Haushalte profitieren würden, ist barer Unsinn, erklärt Wild. Richtig sei vielmehr, dass in den Genuss der Senkung die Mieterinnen und Mieter kämen, die in den letzten Jahre teure Modernisierungen über sich ergehen lassen mussten oder in jüngster Vergangenheit einen neuen Mietvertrag unterzeichneten. Auch die Menge von rund 365.000 Mietverhältnissen, für die eine Absenkung der Miete wirksam werde, belege, das wohl kaum nur besserverdienende Professoren in Kudamm-Seitenstraßen begünstigt würden, wie die Immobilienlobby der Öffentlichkeit weismachen möchte. „Der Versuch, Neid in der Mieterschaft zu sähen, ist durchsichtig und wird keinen Erfolg haben.“
Die Auswertung des Mietendeckelrechners auf den Internetseiten des Berliner Mietervereins und auf ergab in den letzten drei Monaten 108.762 Abfragen zur Senkung der Miete.
In 78.111 Fällen bzw. 71,82 Prozent wurde ein Senkungsanspruch festgestellt, bei 30.651 Fällen bzw. 28,18 Prozent lag die gezahlte Miete unter den Oberwerten, ab denen Absenkungsansprüche entstehen.
Der durchschnittliche Absenkungsanspruch betrug 211,10 Euro Nettokaltmiete pro Monat.
Der Berliner Mieterverein rät daher allen Mieterinnen und Mietern dringend, ihre Ansprüche zu prüfen, falls der Vermieter nicht von sich aus die Miete reduziert.
Die Absenkungsansprüche teilten sich wie folgt auf:
Absenkungsanspruch in € monatlich |
Anzahl der Fälle | Prozentsatz der Absenkungsansprüche |
unter 50 € | 14.020 | 18,20 |
über 50 € bis unter 100 € | 13.240 | 17,13 |
über 100 € bis unter 150 € | 11.306 | 14,63 |
über 150 € bis unter 200 € | 9.147 | 11,83 |
über 200 € bis unter 250 € | 7.408 | 9,58 |
über 250 € bis unter 300 € | 5.578 | 7,22 |
über 300 € bis unter 350 € | 4.366 | 5,65 |
über 350 € bis unter 400 € | 3.143 | 4,07 |
über 400 € bis unter 450 € | 2.208 | 2,86 |
über 450 € bis unter 500 € | 1.757 | 2,27 |
über 500 € | 5.119 | 6,62 |
Der Mietendeckel hat zweifellos bei bestehenden Mietverhältnissen für eine Entlastung bei der Mietpreisentwicklung gesorgt und einen weiteren Anstieg der Wohnkostenbelastung verhindert. In Anbetracht der Einkommensrückgänge wegen der Pandemiefolgen ist der Mietendeckel ein „Segen“. Auch ein Rückgang der tatsächlich gezahlten Mieten bei neuen Angebotsmieten ist erkennbar, der aber geschmälert wird durch das Ziel der Anbieter, mittels „Schattenmieten“ sich zumindest für spätere Zeiten eine höhere als nach dem Deckel zulässige Miete versprechen zu lassen.
Wegen der deutlich gestärkten Wohnsicherheit in bestehenden Mietverhältnissen – keine normale Mieterhöhung bis Ende 2021, kaum modernisierungsbedingte Mieterhöhungen – sinkt allerdings die Umzugsbereitschaft, wodurch für Wohnungsuchende weniger Angebote zur Verfügung stehen. Ein mindestens genauso wichtigen Anteil am aktuell geringeren Wohnungsangebot haben – neben den Corona-Effekten – allerdings die Schattenmieten bei Wiedervermietung. Denn rund 80 Prozent – so unsere Schätzung – der Anbieter halten an ihren Mietforderungen, wie wir sie schon aus der „Vor-Deckelzeit“ kennen, fest. Sollte der Mietendeckel vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß eingestuft werden, erwarten wir hier eine Verbesserung. Als negativ hat sich insgesamt herausgestellt, dass zahlreiche Anbieter den Mietendeckel zu umgehen versuchen und prekäre Mietverhältnisse schaffen, auch wenn dies Rechtsverstöße darstellt.
Der Mietendeckel löst natürlich nicht das Problem des insgesamt vorhandenen Defizites an leistbarem Wohnraum. Die Mietenkappung des Deckels gilt für Neubauten nicht, ein direkter Einfluss auf diese Neubautätigkeit besteht nicht. Nach bisherigen Erkenntnissen hat der Deckel auch keinen Einfluss auf die Neubauinvestitionen der kommunalen Wohnungsunternehmen. Die Anzahl der Neubauten von Genossenschaften ist grundsätzlich sehr gering, ihr vereinzelter Rückzug aus der Neubauplanung ist nach BMV-Einschätzungen eher politisch als ökonomisch motiviert.
29.10.2023